Erinnerung braucht Orte

Dokumentationszentrum Nationalsozialismus eröffnet

Hausfassade mit der Aufschrift "Dokumentationszentrum Nationalsozialismus"

Am Wochenende wird das Dokumentationszentrum Nationalsozialismus (DZNS) eröffnet. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schafft die Stadt Freiburg mit diesem Erinnerungs- und Lernort einen dauerhaften Raum zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur und zur Demokratieförderung. Denn in das direkt angrenzende Rotteckhaus zieht zeitgleich die Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) ein.

Mit dem Dokumentationszentrum Nationalsozialismus ist an zentraler Stelle in der Stadt eine Einrichtung entstanden, die sich gezielt mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Freiburg und der Region befasst. Mit der Eröffnung des Zentrums will die Stadt Freiburg ein Zeichen setzen: für Toleranz und Menschlichkeit und gegen das Vergessen.

Mann in einem Ausstellungsraum
Die Dauerausstellung "Hinter den Fassaden" blickt auf Ereignisse und Personen aus Freiburg und der Region zwischen 1918 und heute zurück. Sie ist chronologisch aufgebaut und verteilt sich auf vier "Zeit Räume". (Foto: Seeger/Stadt Freiburg)

Die dreisprachige (Deutsch, Englisch, Französisch) Dauerausstellung im (DZNS) "Hinter den Fassaden. Freiburg im Nationalsozialismus“ ist in den Räumen des früheren Verkehrsamts von 1936 untergebracht, zu denen auch ein ziviler Luftschutzkeller aus dem Zweiten Weltkrieg gehört. Das Haus steht unter Denkmalschutz, seine eigene Vergangenheit ist Teil der Präsentation. Auf drei Etagen leiten historische Objekte, Reproduktionen, interaktive Elemente und digitale Medien die Besucher*innen in vier Zeiträumen chronologisch durch die Geschichte.

Ein besonderer Ort der Erinnerung befindet sich im überdachten Innenhof. Der neu errichtete Gedenkraum ist allen Menschen aus Freiburg gewidmet, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. In der Mitte befindet sich ein kleiner Innenraum, an dessen Außenwänden alle bislang recherchierten Namen von Menschen stehen, die zwischen 1933 und 1945 ermordet wurden oder im Kontext ihrer Verfolgung starben. Im Inneren sind private Fotografien der Verfolgten zu sehen.

Neben einer Sonderausstellungsfläche und Seminarräumen ist auch die Gertrud-Luckner-Bibliothek Teil des DZNS. Die Museen Freiburg App bietet inklusive Touren und umfangreiche Inhalte zu Dauerausstellung und Gedenkraum.

Erinnerung braucht Orte

Seit viereinhalb Jahren plant Julia Wolrab als wissenschaftliche Leiterin zusammen mit vielen anderen das Dokumentationszentrum Nationalsozialismus. Jetzt konnte sie mit ihrem kleinen Team endlich in das umgebaute ehemalige Verkehrsamt am Rotteckring einziehen. Warum Freiburg ein solches Haus braucht und was sie bei der Vorbereitung am meisten überrascht hat, hat die Historikerin im Gespräch mit der Amtsblattredaktion erzählt.

Amtsblatt: Warum braucht Freiburg ein Dokumentationszentrum Nationalsozialismus – gerade jetzt?

Julia Wolrab: Freiburg hat sich vergleichsweise spät auf den Weg gemacht, ein solches Dokumentationszentrum aufzubauen. Gleichzeitig kommt es jetzt, wo wir uns intensiv mit Demokratieentwicklung und -gefährdung beschäftigen, genau zur richtigen Zeit. Wie resilient ist die Demokratie? Unser Wunsch als Team ist es, dass mit dem Dokumentationszentrum auch ein Raum für diese Frage entsteht. Denn ich bin davon überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit Diktaturgeschichte dazu beitragen kann, Schlüsse zu ziehen für Gegenwart und Zukunft – auch wenn wir historische Strukturen sicherlich nicht eins zu eins auf die Gegenwart übertragen können.

Was ist das Dokumentationszentrum: Lernort? Erinnerungsort? Ein Museum ist es nicht, oder?

Wir sind ja eine Außenstelle des Augustinermuseums, und auch wir zeigen Objekte aus der Sammlung, die sukzessive weiter aufgebaut werden soll. Aber wir haben einen starken Fokus auf der Geschichtsvermittlung. Wir wollen zum Nach- und Weiterdenken anregen. Dazu zählt auch die Aufgabe, Erinnerungs- und Gedenkort zu sein – das ist in der Regel nicht Aufgabe eines klassischen Museums. Wir versuchen ein Innehalten und ein Gedenken an die im NS verfolgten Menschen zu ermöglichen.

Welche Alters- und Zielgruppen wollen Sie ansprechen?

Ursprünglich stand der Wunsch im Vordergrund, vor allem junge Menschen zu erreichen. Ich sehe diesen Ansatz ein bisschen kritisch, weil er suggeriert: Wenn junge Menschen sich mit der NS-Diktatur beschäftigen und die Ausstellung gesehen haben, sind sie quasi "imprägniert" gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung. Aber so einfach ist es nicht. Das Dokumentationszentrum kann nur ein Angebot, ein Baustein sein. Wir wollen junge Menschen, aber auch andere Zielgruppen erreichen. Freiburger*innen ebenso wie an Geschichte Interessierte oder Tourist*innen. Deshalb ist die Ausstellung dreisprachig – Deutsch, Englisch, Französisch.

Sie haben Ihre Stelle im Oktober 2020 angetreten. Wie weit waren da die Planungen? Und wie plant man überhaupt einen solchen Ort?

Ich war bereits vor meinem Dienstbeginn in Freiburg in einer Historikerinnen-AG, die sich mit dem Dauerausstellungskonzept auseinandergesetzt hat. Die Vorbereitungen laufen ja schon seit 2018. Meine Vorgängerin Kathrin Ellwart hat gemeinsam mit engagierten Kolleg*innen aus der Verwaltung hier maßgebliche Arbeit geleistet und die zivilgesellschaftlichen Organisationen von Anfang an mit eingebunden. Auch das Verkehrsamt als Ort stand seit Ende 2019 schon fest und die ersten Ideen für die einzelnen Stockwerke. Diese Ideen haben wir ab 2020 zum Teil umstrukturiert und, ebenso wie den Gedenkraum, gemeinsam mit dem Arbeitskreis Gedenken, dem Ausstellungs- und Programmbeirat sowie dem wissenschaftlichen Beirat weiter konkretisiert.

Gibt es etwas, das Sie in der Planungsphase überrascht hat?

Überrascht hat mich, dass noch relativ viele Fragen unbeantwortet sind. Zwar wurde in den letzten Jahrzehnten punktuell sehr intensiv geforscht, aber Fragen von Beteiligung, auch von Täterschaft, können teilweise noch gar nicht richtig beantwortet werden. Da sehe ich ein Potenzial für das Dokumentationszentrum, diese Fragen in den nächsten Jahren in Zusammenarbeit mit der Universität und anderen Akteur*innen anzugehen.

Was für eine Wirkung erhoffen Sie sich von einem Besuch im Dokuzentrum – was soll es mit den Menschen "machen"?

Uns ist wichtig, dass man die Geschichte des Nationalsozialismus mit ganz bestimmten Orten verbinden kann. Auch wenn wir als Nachgeborene nicht Schuld daran sind, was in der NS-Zeit auch hier in Freiburg geschehen ist, so haben wir doch eine Verantwortung, uns damit zu beschäftigen. Mein Wunsch wäre, dass die Besucher*innen Impulse und Denkanstöße aus der Ausstellung mitnehmen. Konkrete Beispiele verdeutlichen, wie schnell Menschen in der Diktatur zu bis heute beispiellosen Verbrechen fähig waren. Auch die Gleichgültigkeit, die in diesem Zusammenhang bei vielen vorherrschte, ist immer wieder erschreckend. Und das kann zu jeder Zeit – davon bin ich überzeugt – auch heute wieder passieren. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir uns immer wieder bewusst machen, was die Abwesenheit von Werten wie Solidarität und Empathie im schlimmsten Fall bedeuten kann. Meine Hoffnung wäre, dass wir aus der Beschäftigung mit der Geschichte auch Mut schöpfen und Kraft, die wir sicherlich brauchen, um künftigen Bedrohungen entgegenwirken zu können.

Haben Sie sich als Team darauf eingestellt, dass ein Besuch des Dokuzentrums die Menschen womöglich sehr mitnimmt?

Damit haben wir uns sehr intensiv auseinandersetzt. Wir verzichten beispielsweise auf die Abbildung von Erschießungsfotografien und Leichen. Gleichwohl ist Gewalt das beherrschende Thema der Ausstellung. Wir empfehlen den Besuch der Dauerausstellung deshalb erst ab dem Alter von 14/15 Jahren, am besten im Rahmen einer Führung. Wenn man sich dafür entscheidet, das Haus zu besuchen und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, muss man letztlich auch damit rechnen, dass einen diese Geschichte tangiert. Und das ist ja auch gut.

Sie waren vorher in Berlin tätig. Was hat Sie gereizt an der Stelle in Freiburg?

Ich habe mich bei meiner vorherigen Tätigkeit intensiv mit historisch-politischer Erwachsenenbildung beschäftigt. Mein Bezug zu Freiburg war – abgesehen davon, dass ich hier studiert hatte –, dass mich die Stadt angefragt hat, eine wissenschaftliche Recherche zum Platz der Alten Synagoge vorzunehmen. So entstand der Kontakt zu den Städtischen Museen. Gereizt hat mich, hier in Freiburg ein neues Haus aufzubauen – was eine unglaubliche Verantwortung und große Herausforderung ist.

Porträt Julia Wolrab

Zur Person
Julia Wolrab, geboren 1985, hat 2020 die wissenschaftliche Leitung des Dokumentationszentrums Nationalsozialismus übernommen. Zuvor arbeitete sie acht Jahre lang für den Verein "Gegen Vergessen – für Demokratie" in Berlin und war Mitbegründerin von "past [at] present – Geschichte im Format". Wolrab studierte Geschichte, Islamwissenschaften und Public History in Freiburg und Berlin und ist darüber hinaus ausgebildete systemische Beraterin.

Das Interview ist in der Broschüre "Hinter den Fassaden – Freiburg im Nationalsozialismus" erschienen, herausgegeben vom Amtsblatt Freiburg anlässlich der Eröffnung des NS-Dokuzentrums am 21. März 2025.

Besuch

Der Besuch des Hauses am Rotteckring 14 mit Dauerausstellung und Gedenkraum ist ab 21. März möglich. Das Dokumentationszentrum Nationalsozialismus ist eines von fünf Häusern im Verbund der Städtischen Museen Freiburg.
Es ist dienstags von 10 bis 19 Uhr und mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
Bis März 2026 ist der Eintritt frei, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu ermöglichen.
Informationen zum DZNS, zum weiteren Programm und zu den Bildungsangeboten gibt es unter museen.freiburg.de/dzns.

Veröffentlicht am 20. März 2025