Unterschätzt – die Gastarbeiterinnen

Die klassische Vorstellung eines Gastarbeiters in Deutschland ist die eines 18 bis 45 Jahre alten Mannes, der entweder unverheiratet ist oder Ehefrau und Kinder in seinem Heimatland zurückgelassen hat. In den Hochzeiten der Anwerbung allerdings war fast jeder dritte und in manchen Branchen jeder zweite Gastarbeiter eine Gastarbeiterin.

Die Migrations-Ausstellung will der Situation weiblicher Arbeitskräfte in der Anwerbung besondere Aufmerksamkeit widmen. Im Januar wird ein Vortrag zur Rolle der Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik angeboten.

Zur Frage der Anwerbung weiblicher Arbeitskräfte lohnt ein Blick in die Archive der Arbeitsämter, denen – eigentlich - die alleinige Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer obliegt:

Mitte Oktober 1959 unterrichtete das Arbeitsamt Göttingen das Landesarbeitsamt Baden-Württemberg darüber, dass Schweizer Arbeitsvermittlungsbüros bei württembergischen Textilbetrieben "darüber Propaganda machen, dass sie ausländische Kräfte unbeschränkt heranführen können." Außer in Italien liefen die Bemühungen in Spanien und Griechenland bereits auf Hochtouren, selbst die spanische Botschaft in Deutschland betätigte sich aktiv als Arbeitsvermittlungsstelle.

Obwohl es außer mit Italien (1955) noch keine Anwerbevereinbarung gab und damit keine reguläre Arbeitsaufnahme vorgesehen war, führt der Arbeitskräftebedarf Ende der 50er Jahre zu einem starkem Zuzug von Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Ausland.

Die Textil- und Bekleidungsindustrie, die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die metallverarbeitende und die Elektroindustrie waren klein- wie großindustrielle Branchen, die grundsätzlich auf kostengünstige Frauenarbeit ausgelegt waren, und im wirtschaftlichen Erfolg dringend nach weiblichen Arbeitskräften suchten.

Folgt man beispielsweise dem Erfahrungsbericht des Landesarbeitsamtes Nordbayern 1967 spielten familienpolitische Erwägungen keine wesentliche Rolle. Die beschäftigten Gastarbeiterinnen würden sich „in weit größerem Maße als deutsche Frauen bereit erklären, Schichtarbeiten anzunehmen und auch vor Arbeitsplätzen mit schmutziger Arbeit nicht zurückschrecken.

Außerdem stellen sie sich fast ausschließlich für Ganztagsbeschäftigungen zur Verfügung und machen kaum häusliche Bindungen geltend.“

Der bundesweite Trend ist auch in Freiburg, z.B. bei der Nähgarnfabrik Mez in der Karthäuserstraße zu beobachten.

Die veramtlichte Anwerbung in Spanien und Griechenland durch das Abkommen von 1960 brachte allerdings nur begrenzten Erfolg. Die Arbeitsmigration der nachgefragten jungen, bevorzugt ledigen Frauen stieß schnell auf gesellschaftliche, familienpolitische Grenzen, zumal der zu erwartende Lohn nicht die Attraktivität des Gehalts für männliche Arbeitskräfte besaß. Im Oktober 1961 war die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften noch nicht einmal zur Hälfte gedeckt, und das erste Anwerbeabkommen 1961 mit der Türkei – einem Staat, der den „Europäer-Grundsatz“ der bisherigen Abkommen aufweichte – dürfte auch in der Hoffnung abgeschlossen worden sein, aufgrund des sehr niedrigen Lohnniveaus in der Türkei, nicht nur mehr männliche Arbeitskräfte, sondern weibliche Arbeiterinnen gewinnen zu können.

Noch Ende 1964 mussten Unternehmen Wartezeiten von sechs bis neun Monaten bei der Vermittlung von weiblichen Arbeitskräften in Kauf nehmen. Doch der Anreiz war hoch: Die ausländischen Arbeitnehmerinnen galten als „geschickter, billiger und williger.“ Wegen der stockenden Vermittlung von weiblichen
Arbeitskräften hatte ein Hauptnachfrager, der Großkonzern Siemens, überlegt, in den „Leichtlohngruppen“ auf schneller anzuwerbende männliche Arbeitskräfte umzustellen. Das Ergebnis der Kalkulation
ließ auch Siemens wieder zu den Geduldigen in der Warteschlange zurückkehren – die Siemens-Buchhalter hatten einen jährlichen Lohnmehraufwand von 17 Millionen Deutsche Mark errechnet.

Nach der Rezession 1966/67 kam der eigentliche Boom der Gastarbeiterinnen. In der zweiten Phase der Anwerbung von 1967 bis 1973 waren 26 % aller offiziell vermittelten Arbeitnehmer weiblich, die meisten wurden aus Griechenland (145.000 Personen) und der Türkei (138.000 Personen) vermittelt, der höchste Frauenanteil kam aus Griechenland (44,4 %). Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hatte sich bei den ausländischen Arbeitnehmerinnen von 15,5 % im Jahr 1960 auf 31,1 % im Jahr 1974 verdoppelt.

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