Fabrikarbeiterinnen

Station 9: Sofie Heidinger

19. Jahrhundert

Industrialisierung und Fabrikarbeiterinnen

Das 19. Jahrhundert brachte für alle Menschen grundlegende Veränderungen in ihrer Lebenswelt, besonders im Bereich der Erwerbsarbeit, mit sich. Sowohl Männer- als auch Frauenerwerbsarbeit verlagerte sich seit der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend in die außerhäusliche Welt der entstehenden und immer größer werdenden Fabriken.

Unzählige Fabrikarbeiterinnen gingen im 19. Jahrhundert wie Sofie Heidinger vom Land in die Städte, um dort Arbeit zu finden. Häufig arbeiteten sie in der Textilindustrie. In diesem Industriezweig waren im 19. Jahrhundert besonders viele Frauen beschäftigt. Der  Freiburger Unternehmensgründer Carl Mez erklärte 1867: "Bei unserem hiesigen Beginnen erkannten wir bald, daß wir hier zu unsrem Seidenzwirngeschäft […] nur Mädchen verwenden könnten, und daß wir auch fremde herbeiziehen müßten, wenn wir die zu einem größeren Geschäft notwendige Arbeitskraft haben wollten."

Vermutlich wurden die Arbeiterinnen bei der Mez, wie in der Textilindustrie allgemein üblich, vor allem für wenig qualifizierte Arbeiten eingesetzt. Frauenarbeit war gemeinhin ungelernte Arbeit und sie war wesentlich schlechter bezahlt als diejenige der Männer. Das galt auch in der Seidenfabrik Carl Mez & Söhne. Hier verdienten Frauen im Extremfall 85 % weniger als Männer. Natürlich bei gleicher Arbeitszeit von 12 Stunden pro Tag.

Trotz dieser Ungleichheit: die Arbeiterinnen der Firma Mez waren insgesamt sicherlich bessergestellt, als in vielen anderen Industriebetrieben des 19. Jahrhunderts. Das Freiburger Unternehmen galt besonders unter Leitung des Gründers Carl Mez als Vorbild der Arbeiterinnenfürsorge. Beispielsweise wurde auf dem Fabrikgelände ein eigenes Arbeiterinnenheim unterhalten, in dem etwa 100 Mädchen und Frauen lebten.

Die Unternehmenskultur der Firma Mez hatte sich im 20. Jahrhundert jedoch verändert. Statt vom Freiburger Musterbetrieb war nun "Von der Freiburger Elendsindustrie" die Rede. 1909 wurde das Arbeiterinnenheim aufgelöst. Später, in der Weimarer Republik, zählte die Seidenzwirnerei zu jenen Unternehmen, die tarifliche Lohnsteigerungen so lange wie möglich hinauszögerten. Zu dieser Zeit mussten besonders die Arbeiterinnen der Textilindustrie aufgrund unzureichender Verdienste durch die städtische Fürsorge unterstützt werden.

Das Wichernhaus

Junge Frauen, die arbeitssuchend und häufig unerfahren nach Freiburg kamen, hatten von Seiten der Behörden keine Hilfe zu erwarten. Sie liefen Gefahr, von vermeintlichen Hilfsangeboten von Fremden geblendet zu werden. Daher organisierten verschiedene Frauenvereine Hilfe, so auch die Freiburger Diakonissen. Sie gründeten 1876 die "Herberge zur Heimat", in der Frauen Unterkunft und Hilfe bei der Arbeitssuche fanden. Zunächst lag die Herberge im evangelischen Stift in der Hermannstraße und später am Holzmarkt, bevor sie zu Beginn der 1890er Jahre hierhin, in das heutige "Wichernhaus", verlegt wurde. Vielleicht fand auch Sofie Heidinger Hilfe in der "Herberge zur Heimat", als sie nach Freiburg kam.