Zeichen gegen das Vergessen
80. Jahrestag der Bombardierung Freiburgs
In den Abendstunden des 27. November 1944 ging das alte Freiburg im Feuersturm eines zwanzigminütigen Großangriffs der britischen Royal Air Force zugrunde. Die Altstadt lag zu 80 Prozent in Trümmern, angrenzende Stadtteile waren schwer getroffen. Fast 3.000 Menschen starben bei dem Angriff. Zum 80. Jahrestag der Bombardierung finden mehrere Veranstaltungen statt: auf ein Nachtgebet im Münster am Abend des Jahrestags folgt am Tag danach ein Gesprächsabend mit Augenzeugen im SWR-Studio Freiburg. Noch bis zum 21. Dezember ist im c-punkt Münsterforum eine Ausstellung zu sehen.
Nachtgebet im Münster
Mit einem ökumenischen Nachtgebet wird am 27. November um 20 Uhr im Freiburger Münster des britischen Bombenangriffs auf Freiburg am Abend des 27. November 1944 gedacht. Mit dabei sind Oberbürgermeister Martin Horn sowie die Bürgermeisterinnen aus Freiburgs Partnerstädten in England und Frankreich, Sallie Barker aus Guildford und Anne Vignot aus Besançon, die gemeinsam eine Friedenskerze entzünden werden. Zu Beginn wird die Hosanna-Glocke eine Minute lang läuten.
Gesprächsabend mit Augenzeug*innen
Zu einem Gesprächsabend mit Augenzeug*innen lädt das SWR-Studio Freiburg am Donnerstag, 28. November, ein. Mit dabei ist die 1936 in Freiburg geborene Ursula Giessler, die sich ab 1944 bis zum Kriegsende zusammen mit ihrer jüdischen Mutter im Herz-Jesu-Kloster in Stegen versteckte. Weitere Gesprächspartner sind Andreas Meckel und der ehemalige SPD-Europaabgeordnete Dietrich Elchlepp, der zum Zeitpunkt des Angriffs in der Gegend von Kappel war und davon berichtet, was sein Vater in Freiburg erlebte. Im Anschluss findet ein Talk mit dem Historiker Professor Ulrich Herbert aus Freiburg zur Einordnung des 27. November 1944 statt. Eine Klanginstallation des SWR-Experimentalstudios wird akustisch an die Minuten erinnern, die Freiburg für immer verändert haben.
Ausstellung "Sonst war es still"
Der Freiburger Münsterbauverein zeigt in Kooperation mit dem c-punkt Münsterforum die Ausstellung "Sonst war es still". Zu sehen sind teils bislang unveröffentlichte Fotografien aus der Sammlung des Vereins sowie aus privaten Fotoalben und Archiven. Zahlreiche Zeitzeug*innen folgten einem Aufruf, ihre Erinnerungen an die Bombennacht mitzuteilen. Einige Berichte sind in der Ausstellung zu hören und zu sehen. Moderierte Zeitzeug*innengespräche, Filmvorführungen, Vorträge und Führungen vor Ort und am Münster ergänzen das Programm.
Programm:
Gesprächsabend mit mit Augenzeug*innen
28.November, 19 Uhr,
SWR-Studio Freiburg, Kartäuserstr. 45
Eintritt frei
- Gesprächsabend mit mit Augenzeug*innen
28. November, 19 Uhr
SWR-Studio Freiburg, Kartäuserstr. 45
Eintritt frei - Ausstellung "Sonst war es still"
Bis 21. Dezember
c-punkt Münsterforum, Herrenstr. 33
Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 10 bis 16 Uhr
Eintritt frei.
Der Film zur Ausstellung wird an folgenden Terminen gezeigt:
Mittwoch, 27. November um 17, 18.30 und 21.30 Uhr
Donnerstag, 5. Dezember, 16 Uhr
Infos: www.c-punkt-freiburg.de
Damit die Erinnerung lebendig bleibt
Seit dem 27. November 1944 gedenken die Bürger*innen regelmäßig dieses großen Einschnitts in der Stadtgeschichte. Die Angehörigen der Opfer besuchen die Gräber, und jedes Jahr tönt zur Stunde des Luftangriffs das Geläut der "Hosanna" über die Stadt.
Gedenken zum 10. Jahrestag
Zum zehnjährigen Gedenken 1954 fanden noch keine offiziellen Veranstaltungen statt. Oberbürgermeister Wolfgang Hoffmann hatte aber schon 1953 aus eigenen Mitteln ein Denkmal gestiftet, das an die Bombennacht erinnern sollte und einen von Richard Bampi gestalteten Erpel zeigt. Das Tier soll durch sein Geschrei schon vor dem Angriff Menschen gewarnt und vor dem Tod geschützt haben.
Auch in den Folgejahren wurde immer wieder Bezug auf das Datum des Luftangriffs genommen, so bei der Einweihung des neu gestalteten Massengrabs für die Bombenopfer auf dem Hauptfriedhof, das zum 14. Jahrestag 1958 eingeweiht wurde, oder für den neuen Bertoldsbrunnen, der am 27. November 1965 aufgestellt wurde.
Gedenken zum 40. Jahrestag
Im Hinblick auf den 40. Jahrestag 1984 hatte Walter Vetter zwei vielbeachtete Bände "Freiburg in Trümmern" mit Fotos und Zeitzeug*innenberichten vorgelegt, und das Stadtarchiv publizierte eine Broschüre zum Münster.
Gedenken zum 50. Jahrestag
Nie vorher und auch nicht danach wurde dieses Tages derart umfangreich gedacht wie zur 50. Wiederkehr 1994. Wie der damalige Oberbürgermeister Rolf Böhme in seiner Rede zum offiziellen Gedenken am 27. November im mit 4000 Menschen zum Bersten gefüllten Münster betonte, war das Schicksal der Stadt 1944 die "Antwort auf Krieg und Verbrechen, die von Deutschen und im deutschen Namen ausgeübt wurden". Für Böhme standen „nationale Überheblichkeit und Intoleranz am Anfang der Entwicklung [. . .], die mit der Zerstörung der Demokratie in Deutschland zu Diktatur und Krieg führten. Diese politische Hinwendung zu Unrecht und Gewalt schlug auf uns alle zurück und führte [. . .] zur Zerstörung unserer Stadt."
Am 9. November 1939 brannte die Synagoge. Viele Menschen schauten damals weg und schwiegen. Sechs Jahre später brannte die ganze Stadt, und niemand blieb mehr unbetroffen.
Oberbürgermeister Rolf Böhme am 27. November 1994
Erschreckend aktuell wirken Rolf Böhmes vor drei Jahrzehnten formulierten Sätze: "Wir wissen, dass der Appell zum ‚Nie-Wieder-Krieg‘ [. . .] heute von uns eingelöst werden muss in einer Zeit, da Krieg wieder zum Mittel der Politik geworden ist, und Krieg und Zerstörung unmittelbar vor unserer Haustür geschehen. [. . .] Aber wir alle haben dafür einzustehen, wie die damalige Zeit in unserer Geschichte weiter wirkt. Deshalb treten wir ein für eine offene, tolerante Gesellschaft, die vom Miteinander, vom solidarischen Zusammenlegen geprägt wird." Diese 1994 erstmals veranstaltete Gedenkstunde im Münster, an die eine Gedenktafel am Turm erinnert, ist seither ein Fixpunkt am Abend des 27. November.
Ein Freiburger Schicksalstag
Anlässlich des 80. Jahrestags der Bombardierung hat das Amtsblatt einen Gastbeitrag von Peter Kalchthaler veröffentlicht, der von 1994 bis 2023 das Museum für Stadtgeschichte geleitet hat. Der Beitrag findet sich in der Amtsblatt-Ausgabe Nr. 876 vom 23. November 2024 auf Seite 5. Oder hier zum Nachlesen:
Am 27. November jährt sich die Bombardierung Freiburgs zum 80. Mal
In den Abendstunden des 27. November 1944 ging das alte Freiburg im Feuersturm eines zwanzigminütigen Großangriffs der britischen Royal Air Force zugrunde. Die Altstadt lag zu 80 Prozent in Trümmern, angrenzende Stadtteile waren schwer getroffen worden. Ein Drittel aller Wohnungen war zerstört oder stark beschädigt. Fast 3000 Tote waren allein nach dieser Nacht zu beklagen, dazu 9600 Verletzte. Am 27. November jährt sich dieser Schicksalstag Freiburgs zum 80. Mal. Auf dieser Sonderseite blicken wir zurück auf die Ereignisse von damals und auf das Gedenken, das seit her einen festen Platz im Jahres gang der Stadtgesellschaft hat.
Erstmals war Freiburg am 10. Mai 1940 von Bomben getroffen worden. Drei deutsche Flugzeuge auf dem Weg zu Zielen in Frankreich hatten ihre Bomben auf den Stühlinger geworfen. 57 Menschen, darunter 21 Kinder zwischen drei und zehn Jahren, wurden getötet. Die Reichsregierung in Berlin erklärte das Versehen zum Feindangriff und nutzte ihn für ihre Propaganda, unter anderem für die verheerende Bombardierung der britischen Stadt Coventry im November 1940. Bis in den Oktober 1943 blieb Freiburg von größeren Bombardements weitgehend verschont. Bürgerinnen und Bürger wogen sich in trügerischer Sicherheit und vertrauten auf Aussagen wie "Freiburg ist doch Lazarettstadt", "Hier gibt es doch nichts Kriegswichtiges" oder "Wer wird schon eine Universitätsstadt angreifen?" Friedlich, harmlos und fernab vom Fokus des Kriegsgeschehens – so sahen die Menschen in Freiburg ihre Heimatstadt.
"Jeder kann sich schützen"
Auch das Regime hatte den Menschen suggeriert: "Jeder kann sich vor den Bomben schützen." Schon kurz nach der "Machtergreifung" war hierfür im April 1933 der "Reichsluftschutzbund" gegründet worden, der die "Volksgemeinschaft" systematisch auf Angriffe künftiger Feinde vorbereiten sollte. Es fanden regelmäßige Übungen statt, Hausbesitzer wurden verpflichtet, die Keller als Luftschutzräume einzurichten, die für Neubauten obligatorisch wurden. Dachböden mussten von Brandlasten befreit werden, und es war überall Lösch- und Rettungsgerät bereitzuhalten. Jedermann bekam eine „Volksgasmaske“ in Erwachsenen- und Kindergrößen bis hin zum "Luftschutzbettchen" für Säuglinge und Kleinkinder, die vor Gasangrif fen schützen sollten.
In allen öffentlichen Bauten waren die Wege zu den Luftschutzkellern mit Leuchtfarbe ausgeschildert, und überall in der Stadt verwiesen Pfeile auf Fluchtwege zum Schlossberg oder in den Colombipark. Entlang der Bächle hatte man Geländer installiert, damit man bei ausgeschalteter Straßenbeleuchtung sicher in die Schutzräume gelangte. Da Freiburg insgesamt als nicht sehr gefährdet galt, wurden hier im Gegensatz zu anderen Städten kaum bombensichere Schutzbauten für die Zivilbevölkerung geschaffen In der Verwaltung dagegen war man sich der drohenden Gefahren schon lange bewusst. Maßnahmen zur Sicherung von Kulturgut hatten die Reichsbehörden in Berlin schon 1938 angeordnet; in Freiburg wurden bereits im Sommer 1939 wichtige Kunstwerke des Augustinermuseums eingelagert und die mittelalterlichen Glasfenster des Münsters ausgebaut. Reichsweit war die Dokumentation des historischen Baubestands verfügt worden. Das Freiburger Hochbauamt beauftragte 1943 die Münchner Fotografin Ruth Groß-Albenhausen, alle Altstadtstraßen systematisch aufzunehmen "damit für den Fall eines Fliegerangriffes und einer Zerstörung des Altstadtbildes photographische Unterlagen zur Hand sind".
Ein ruhiger Frühwintertag
Der 27. November 1944, ein Montag, war ein ruhiger und schöner Frühwintertag, mit etwas Nebel, danach sonnig und recht kalt. Gegen Abend hatte der "Höllentäler" als Windzug von Südosten her eingesetzt – ein Umstand, der später die Richtung des Bombenteppichs beeinflussen sollte. Freiburg bereitete sich auf eine ruhige Nacht vor. Wie überall im Reich herrschte Verdunklungspflicht, aber Lokale und Kinos hatten geöffnet und waren teilweise gut besucht.
"Ein brüllendes Flammenmeer"
Die meisten Menschen in der Stadt traf der vom Bomber Command in Großbritannien akribisch geplante und "Tigerfish" genannte Luftangriff zwischen 19.55 und 20.18 Uhr nahezu unvorbereitet, zumal erst kurz zuvor Alarm gegeben wurde. Am Nachmittag des 27. November war Offenburg angegriffen worden, und man hatte nicht mit einem zweiten Angriff in der Region am selben Tag gerechnet. In zwanzig Minuten warfen 351 Flugzeuge über 3000 Sprengbomben und mehr als 11.000 Brandbomben mit einem Gesamtgewicht von über 1700 Tonnen über Freiburg ab. In der Innenstadt wütete ein Feuersturm. Ein Zeitzeuge berichtete: "Das Stadtzentrum war ein einziges tobendes, brüllendes, prasselndes, knatterndes Meer aus Flammen, das seine Wogen hoch in den Nachthimmel hinauf spritzte und quer durch die Straßen schleuderte, das sich gar nicht rasend genug gebärden konnte."
Der Angriff hatte vor allem den historischen Stadtkern getroffen, von dem nur das Gebiet um Oberlinden und Schwabentor weitgehend verschont blieb. In der übrigen Innenstadt, in der Neuburg, in Herdern und im Stühlinger lagen ganze Straßenzüge in Trümmern. Schwer getroffen waren das Institutsviertel der Universität und das Klinikum. Auch der Hauptfriedhof war von Bomben geschädigt worden, wie auch die Stadtteile Lehen und Betzenhausen 2797 Menschen wurden allein an diesem Abend getötet, etwa 9600 wurden verletzt. Fast 6000 Wohnungen waren total zerstört, 3500 schwer und 12.000 leicht beschädigt. Insgesamt konnte ein Drittel des Wohnungsbestands der Stadt nicht mehr genutzt werden. Gas-, Wasser und Stromversorgung waren vielerorts unterbrochen. Der Angriff hatte unersetzliche Kulturwerte vernichtet oder schwer geschädigt, teils unmittelbar, teils bei Bränden an den Tagen danach, die angesichts der mit Trümmern gefüllten Straße und der zerstörten Infrastruktur nicht gelöscht werden konnten. Viele Menschen flüchteten aus Angst vor weiteren Angriffen aus der schwer getroffenen Stadt, von deren 110.318 Einwohnern bei Kriegsbeginn nur noch 57.974 verblieben waren.
Retter der Kathedrale
Inmitten der zerstörten Stadt erhob sich nahezu unbeschädigt der Münsterturm, über den der Dichter Reinhold Schneider noch zu Beginn 1944 geschrieben hatte:
Steh unerschüttert, herrlich im Gemüte Du großer Beter glaubensmächt’ger Zeit! [. . .] Du wirst nicht fallen, mein geliebter Turm Doch wenn des Richters Blitze Dich zerschlagen Steig’ in Gebeten kühner aus der Erde!
Die weitgehende Unversehrtheit des Münsters nach dem Schreckenstag löst noch heute ungläubiges Erstaunen aus, war aber nicht mehr und nicht weniger als ein ungeheurer Zufall. Zu den eigentlichen Rettern der Kathedrale wurde eine Gruppe junger Freiburger und Freiburgerinnen aus der Münsterpfarrei und den angrenzenden Gemeinden, die zusammen mit französischen Kriegsgefangenen in den Wochen nach dem Angriff das vom Luftdruck der Explosionen abgedeckte Münsterdach mit neuen Ziegeln eindeckten und so Schäden durch den strengen Winter 1944/45 verhinderten.