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Hilfsprojekte für Freiburgs ukrainische Partnerstadt Lviv

"Direkte Solidarität in Wort und Tat"

Enger Austausch: Per Video, Telefon und Whatsapp halten OB Horn und das städtische Team den Kontakt mit der einst so quirligen Partnerstadt aufrecht.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 steht Freiburg fest an der Seite seiner Partnerstadt Lviv. Die Stadt, die Universitätsklinik, Unternehmen, aber auch viele Privatpersonen haben unzählige Spenden gesammelt sowie Tonnen von Hilfsgütern auf den Weg gebracht. Wie ist die Bilanz bislang, und wie geht es weiter? Eine Bestandsaufnahme.

Erschienen im Amtsblatt 847
16. September 2023

Der 24. Februar 2022 stellte eine Zäsur dar: Der Tag, an dem russische Truppen auf Befehl Putins die Ukraine überfielen, schockierte die Menschen weltweit – auch in Freiburg war der Schrecken groß. Mit Demonstrationen verliehen die Menschen noch am selben Tag ihrer Sorge und ihrer Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern Ausdruck. Am städtischen Rathaus hängt seither ununterbrochen die ukrainische Fahne.

Raus aus der Schockstarre

„Der 24. Februar 2022 war ein trauriges Datum, das mich emotional sehr berührt hat“, erinnert sich Oberbürgermeister Martin Horn. Dass ein Land in Europa, eine Partnerstadt Freiburgs in gerade mal 1400 Kilometern Entfernung von einem brutalen Angriffskrieg betroffen ist, „das hatte eine neue Dimension“. Wichtig sei ihm gewesen, „nicht im Schockzustand zu verharren“. Noch am selben Tag kamen alle Partnerstädte Lvivs in einer Videoschalte zusammen – „ein schönes Zeichen“, so Horn. „Wichtig ist, dass die Ukraine nicht alleingelassen wird, sondern direkte Solidarität in Wort und Tat erfährt, auf internationaler wie lokaler Ebene. Mir war wichtig, ganz schnell ein klares Zeichen der Solidarität zu setzen.“

Gerade mal drei Tage später, am 27. Februar 2022, trafen in Freiburg vier Busse mit ukrainischen Kindern und Jugendlichen aus dem „Vaterhaus“, einem Kinderheim bei Kyjiw, ein; andere kamen später nach. Auf Initiative der Stadtmission und mithilfe des DRK, der Malteser und der Johanniter konnten rund 250 Kinder und Jugendliche samt ihren Betreuerinnen und Betreuern in Sicherheit gebracht werden – inzwischen haben sie in Freiburg, Bad Krozingen und Emmendingen ein neues Zuhause gefunden.

„Direkt, direkt, direkt“

Wenig später machten sich die ersten Sattelschlepper mit Hilfsgütern auf den Weg nach Lviv: mit Decken, Medikamenten und Klinikmaterial im Wert von drei Millionen Euro. Mit dabei auch medizinische Ausrüstung und Beatmungsgeräte für den Krankenhausbedarf, finanziell gefördert vom Land Baden-Württemberg mit 2,5 Millionen Euro – die Zusage dafür hatte OB Horn wenige Tage nach Kriegsbeginn von der Landesregierung per Telefon erhalten. Unmittelbar zu helfen, sei ihm wichtig gewesen, sagt er: „Nicht lange warten, nicht lange überlegen, nicht lange kompliziert, sondern direkt, direkt, direkt.“

Auch Stromgeneratoren wurden geliefert, um die städtische Wasserversorgung und die Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern abzusichern. Insgesamt waren es fünf im Wert von 1,1 Millionen Euro, hinzu kamen zwei Großgeneratoren im gleichen Wert. Unterstützung dafür kam vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Darüber hinaus schickte die Firma Schwarzwaldmilch zwei Sattelzüge mit H-Milch, es wurden Schulmöbel und Tablets, weitere Kleingeneratoren, Photovoltaikpaneele, Artikel für den täglichen Bedarf und vieles mehr geliefert.

Hilfsbereit und solidarisch

Doch nicht nur Stadt, Land, Bund und Universitätsklinik waren aktiv – auch bei den Freiburger Unternehmen und in der Bevölkerung war die Hilfsbereitschaft riesig. Nur einen Monat nach dem russischen Überfall waren, mit Unterstützung von Stiftungen, Firmen und Kirchen, schon knapp eine Million Euro an Spenden für Freiburgs Par tnerstadt zusammen - gekommen. Allein das Theater hat mit Aufrufen nach seinen Vorstellungen und einem Benefizkonzert mehr als 100 000 Euro gesammelt.

Um das große Engagement noch weiter zu unterstützen, hat der Gemeinderat im Juli 2022 einstimmig beschlossen, jeden privat gespendeten Euro aus städtischen Mitteln zu verdoppeln – bis zu einer Obergrenze von einer Million Euro. Auf diese Weise sind bislang mehr als 1,8 Millionen Euro zusammengekommen. „Die Solidarität war und ist groß – dafür bin ich den Freiburgerinnen und Freiburgern bis heute ungemein dankbar“, betont Martin Horn.

Rathaus von Lviv
Lvivs Bürgermeister Andriy Sadovyi und OB Martin Horn.
Die Zerstörung nach dem Bombenangriff im Juli dieses Jahres.

Treffen in Freiburg und Lviv

Auch auf persönlicher Ebene kamen sich Freiburg und Lviv näher. Unzählige Telefon- und Videoschalten, Whatsapp- Nachrichten, aber auch gegenseitige Besuche haben die Partnerschaft seit Kriegsbeginn intensiver werden lassen. Den Auftakt machte Ende Mai 2022 der damalige Botschafter der Ukraine in Deutschland und jetzige stellvertretende Außenminister Andrij Melnyk, der völlig überraschend zu Besuch nach Freiburg kam. Gleichzeitig mit einer Delegation von Parlamentarierinnen aus Lviv, die über die bedrückende Situation in der Ukraine berichteten.

OB Martin Horn wiederum war seit Kriegsbeginn zwei Mal in Lviv: einmal im Juni vergangenen Jahres zusammen mit dem Ersten Bürgermeister Ulrich von Kirchbach, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Lviv liegt ganz im Westen des Landes, nur rund 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, und ist daher nicht so heftig von Bombenangriffen betroffen wie etwa der Osten oder Süden der Ukraine. Doch auch hier gab es immer wieder Angriffe: auf die Infrastruktur, aber auch, wie Anfang Juli und nochmals Mitte August dieses Jahres, auf Wohngebäude. Zu bewältigen hat Lviv außerdem den Transit von Millionen Geflüchteten, die auf ihrem Weg aus der Ukraine durch die Stadt kommen; eine Viertel Million ist geblieben.

In den ukrainischen Landesfarben bemalter russischer Raketensplitter

Splitter zur Erinnerung

Beim Freiburgs diesjährigen Neujahrsempfang war Lvivs stellvertretender Bürgermeister Andriy Moskalenko zu Gast. „Ihre Hilfe macht einen Unterschied, Ihre Hilfe rettet Leben“, bedankte er sich. Er überreichte Horn ein kleines Bruchstück einer russischen Rakete, die von der ukrainischen Luftabwehr abgefangen worden war. Kinder in Lviv hatten sie in den Landesfarben Blau-Gelb bemalt. „Wir sind vereint“, betonte Moskalenko.

Zu Gast in Bellevue 

Wenig später jährte sich der Tag des Überfalls auf die Ukraine zum ersten Mal. Aus diesem Anlass lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, zu einer Podiumsdiskussion ins Schloss Bellevue ein. Mit dabei waren das gesamte Bundeskabinett, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Gesellschaft aus der Ukraine und Deutschland sowie – als einziger kommunaler Vertreter – Oberbürgermeister Horn. Bundespräsident Steinmeier dankte bei dieser Gelegenheit allen Freiburgerinnen und Freiburgern für das große Engagement.

Rehazentrum Unbroken

Im April reiste Martin Horn aus Anlass der Eröffnung des Rehabilitationszentrums „Unbroken“ nach Lviv. In dem modernen Rehazentrum für physisch und psychisch Verletzte werden Tausende Menschen, darunter auch Soldatinnen und Soldaten, aus der ganzen Ukraine versorgt. Vielen von ihnen wurden Arme oder Beine amputiert; von der Rehawerkstatt im Haus werden moderne Prothesen gefertigt und angepasst. Stück für Stück werden die Patientinnen und Patienten auf ein Leben nach dem Krieg vorbereitet. Fitnessgeräte, Physio-, aber auch Psychotherapie sollen ihnen dabei helfen. Der Name spricht Bände: Unbroken – ungebrochen!

Freiburg hatte sich für dieses Projekt stark eingesetzt: 500 000 Euro der Spenden der Freiburger Bevölkerung und Firmen kamen ihm zugute, außerdem flossen auf Vermittlung Freiburgs zwölf Millionen Euro vom BMZ in die Einrichtung. Zum Dank dafür wurde ein Stockwerk von Unbroken nach Freiburg benannt.

Besuche im Sommer

Im Juli waren drei Kolleginnen aus der Stadtverwaltung Lvivs zu Gast in Freiburg: Sie informierten sich darüber, wie Menschen mit Behinderung oder Einschränkungen in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Wenig später, im August, kamen – wie bereits im Sommer 2022 – 30 Kinder aus der Ukraine zu einem Sommercamp der Freiburger Turnerschaft nach Freiburg. Zusammen mit 20 geflüchteten Kindern, die hier leben, versuchten sie von der bedrückenden Situation ihres Alltags Abstand zu gewinnen.

Auch Schulpartnerschaften sind angedacht. In Lviv hat die deutsche Schule Interesse angemeldet, auf Freiburger Seite das Goethe-Gymnasium. Starten wird die Partnerschaft auf digitalem Wege, Ziel wäre aber natürlich ein „echter“ Austausch.

Der Name spricht Bände: „Unbroken“ (Ungebrochen) heißt das im Frühling in Lviv eröffnete Rehazentrum.
Lvivs Bürgermeister Andriy Sadovyi und OB Martin Horn.
Aus Dank für die Unterstützung wurde ein Flügel nach Freiburg benannt: dort trafen sich Lvivs Bürgermeister Andriy Sadovyi und OB Martin Horn.

Wie geht‘s weiter?

So richtet sich die Perspektive inzwischen nicht mehr „nur“ auf die unmittelbare Unterstützung im Krieg, sondern auch auf die Zeit danach. Seit Februar nehmen Stadtplanerinnen und Stadtplaner am ukrainisch- deutschen Expertenaustausch zum Wiederaufbau der Ukraine teil, ein weiteres Treffen steht im November an: Bei diesen „Dialogues for Urban Change“ stehen nachhaltige Stadtplanung, Wiederaufbau und soziale Infrastruktur im Fokus. Denn Freiburgs Partnerstadt steht vor immensen Herausforderungen: Aus den vor dem Krieg 750 000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind durch die Binnengeflüchteten inzwischen eine Million geworden.

Aber auch auf vielen weiteren Gebieten sind Fachaustausche geplant: von Herausforderungen in den Bereichen bezahlbares Wohnen, Klimaanpassung und -wandel bis hin zur Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Enger und politischer

Durch den Krieg hat sich die Partnerschaft verändert: „Ungemein intensiv und nahezu freundschaftlich“ sei sie geworden, sagt Oberbürgermeister Horn: „Die Beziehungen sind deutlich inniger, enger und natürlich auch politischer geworden“ – eine gute Basis für alles, was kommt. Denn klar ist: Hilfe und Freundschaft werden für Lviv noch lange unentbehrlich sein.

Infos

Infos zur Ukraine-Hilfe in Freiburg und für Geflüchtete (Aufenthaltserlaubnis, Arbeiten in Freiburg, Deutsch lernen, Kinderbetreuung etc.) gibt es unter: www.freiburg.de/ukraine

Spendenkonto Nothilfe Lviv:
DE 75 680 50101 0000 19 19 19,
Zuordnung: „Nothilfe Lviv“

Lviv

In Zeiten des Kalten Kriegs wollte Freiburg Mitte der 1980er-Jahre ein Zeichen setzen und beauftragte die Verwaltung, je eine Partnerstadt in den USA und der damaligen Sowjetunion zu suchen. 1988 wurde Madison die fünfte Partnerstadt Freiburgs und die erste außerhalb Europas. Die Suche nach einer sowjetischen Stadt gestaltete sich schwieriger – die Empfehlung des damaligen sowjetischen Botschafters Kwizinski für die Stadt Lwów (früher Lemberg, heute ukrainisch Lviv) beendete die Odyssee. Der Freiburger Gemeinderat bestätigte den Abschluss der nunmehr siebten Städtepartnerschaft 1989 mit einem Vertrag in Freiburg und im April 1990 mit der Gegenzeichnung in Lviv.