Medientipp
Sylvia Näger bespricht für Sie Bücher, Spiele und audio-visuelle Medien, die Sie in Ihrer sprachlichen Bildungsarbeit, Sprachförderung und Literacyerziehung unterstützen.
Die monatlich erscheinenden Rezensionen bieten Ihnen eine fundierte Besprechung der ausgewählten Titel und zeigen den Bezug zur sprachlichen und literarischen Bildung auf.
Zur Autorin Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
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Medientipp Oktober 2024
Die Angst gehört dazu
Robbi hat einen ziemlich blöden Tag hinter sich. Mit kaputtem Tennisschläger und äußerst schlecht gelaunt kommt er nach Hause. Zuerst wird er ermahnt, seine verdreckten Schuhe auszuziehen, und zum Abendessen hat Papa ausgerechnet Spinat gekocht. “Geht´s dir eigentlich noch gut?” fragt Robbi genervt seinen Vater.
Prompt reagiert der mit einem Zimmerverweis und der Bemerkung: ”Wenn du dich abgeregt hast, kannst du wiederkommen.”
In seinem Zimmer bemerkt Robbi, wie die Wut in ihm hochsteigt und so mächtig wird, dass sie plötzlich als riesiges Wutmonster aus ihm herausbricht.
Randalierend tobt das monströse Ding durchs Kinderzimmer und schmeißt mit Büchern, Kissen und Mobilar um sich, dass es nur so fetzt. Als das doofe Wutmonster begriffsstutzig nicht mal vor Robbis Lieblingslaster halt macht, reicht es ihm und er schreit: “Hau ab...” Beim Aufräumen entdeckt er das Monster kleingeschrumpft und bedripst dreinschauend hinter einem Stuhl. Sicher ist sicher, denkt Robbi und sperrt es vorsichtshalber in eine Schachtel. Friedlich gestimmt, seinen geretteten Lieblingslaster in der Hand, steht er schließlich an der Treppe und fragt: “Du Papa? Krieg ich noch einen Nachtisch?”
Der wunderbar auf den Punkt geschriebene knappe Text erzählt, wie Robbi und das Monster reichlich Dampf ablassen. Am Beispiel Robbis erlebt das Kind, dass andere Kinder in belastenden Situationen ebenfalls mit Wut und Trotz reagieren und dass diese Reaktionen auch wieder in den Griff zu bekommen sind. In Konfliktsituationen müssen Kinder lernen, den eigenen Ärger und die Wut auszudrücken und zu versuchen, sie den anderen verständlich zu machen.
Mit kräftigem Strich gezeichnet, beeindruckend und farbstark nehmen kindliche Gefühlsausbrüche in den Illustrationen von Mireille d´Allancé Gestalt an. Das feuerrote Wutmonster visualisiert mächtige Zorn- und Wutgefühle, mit denen auch Kinder konfrontiert sind. Diese vermögen sich bereits von Beginn der Geschichte an mit dem kleinen Wüterich zu identifizieren und erleben, wie man unbeschadet aus dem Schlamassel der unangenehmen Gefühle wieder herausfinden kann. Ein alltägliches, oft leidiges Erziehungsthema, klug ins Bilderbuch gesetzt.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
Die Situation, in der sich Robbi befindet, vermittelt was oft verdrängt wird: Kindheit ist kein konfliktfreies Paradies. Es gibt im Leben von Kindern nicht nur eitel Sonnenschein, sondern Ängste, Wunschversagen, körperliche und auch seelische Verletzungen.
Kinder befinden sich in weitaus stärkerem Maße als Erwachsene in einem permanenten Entwicklungsprozess: Die Welt wird aus ständig neuen Perspektiven erlebt, es gilt, sich den sich stetig verändernden Anforderungen anzupassen und mehr und mehr die eigenen Möglichkeiten zu verwirklichen. Dabei erlebt das Kind die Erwachsenen nicht nur als Unterstützung, und auch aufgeschlossene und fähige Eltern und andere Erwachsene können Kindern auf die Nerven gehen...
Das Selbst- und Weltverständnis von Kindern in Robbis Alter ist noch verhältnismäßig unsicher, sie reagieren auf Möglichkeiten und Risiken mit stark wechselnden Emotionen. So ist es im Alltag notwendig, Kindern die Möglichkeit zu geben, sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden, und sie sowohl verbal als nonverbal zu artikulieren. Dadurch erfahren Kinder, dass sie ihre Gefühle nicht als Ursache zusätzlicher Gefährdung zu fürchten und zu verdrängen haben, sondern dass diese als Orientierungshilfe zu verstehen sind.
Robbis blöder Tag bietet Kindern Spielraum und Spiegelbild für Gefühle. Einschränkungen und Verbote werden von Kindern oft als Gewalt empfunden. Und zwar im wörtlichen Sinn. Was für Eltern Sachzwänge sind oder einfach die Vernunft gebietet, ist aus kindlicher Sicht Willkür.
Robbis Vater übernimmt aber nicht die Verantwortung für den Zorn seines Sohnes. Er lässt sich auch nicht auf einen Machtkampf ein. Er vertraut darauf, dass Robbi einen Weg finden wird, damit umzugehen.
In den phantastischen Vorstellungen, die Robbi mit dem Wutmonster erlebt, lässt sich unschwer sein Selbst wiederfinden: Wie gerne hätte er getobt, Decke und Kissen, das Nachtkästchen und die Lampe durch sein Zimmer geschmissen. Nun aber erledigt das sein monsterhaftes Phantasiephänomen stellvertretend für ihn. Überzeugend und schlagkräftig macht dieses Wutmonster dem kindlichen und erwachsenen Betrachter Robbis Wut fassbar. Feuerrot, mit Tatzen und Krallen, mit überbordender Energie und Aggressivität besorgt das Monster das Drama. Die Attacke auf die geliebte Spielkiste aber veranlasst Robbi, in seiner Phantasie die Position eines Erwachsenen einzunehmen. Indem er über sein Gegenüber bestimmt, zeigt er dem Wutmonster Grenzen auf und bekommt Macht über dessen Verhalten. Verständnisvoll wird er zum Tröster aller gebeutelten Gegenstände. Seine Wut und sein Ärger sind zwischenzeitlich verraucht und so kann er mit der unschuldigen Frage nach dem Nachtisch wieder auf seinen Vater zugehen.
Kinder zeigen uns, dass negative und positive Gefühle nah beieinander liegen. Die Geschichte spannt einen dramaturgischen Bogen, indem sie zeigt, wie Wut und Zorn kommen, aber auch wieder vorbei gehen. Robbi muss nicht selbst Gewalt einsetzen, sondern findet durch sein imaginäres Wutmonster eine alternative Form, seine Gefühle auszudrücken.
Da Robbis Verhalten nicht negativ bewertet wird, können Kinder aus seinem Erlebnis Energie und Mut zur Problembewältigung tanken. Dass Robbi von seiner Umgebung ernstgenommen wird und erlebt, wie belastende Situationen aufgelöst werden können, ermöglicht es Kindern, eine positive Einstellung zur eigenen Problembewältigung aufzubauen.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Wenn ich wütend bin
Sprechen wir aus, oder sprechen darüber was uns wütend macht, ist das ziemlich entlastend und gesund. Bitten Sie die Kinder, sich zu überlegen was sie wütend macht, und fordern sie auf ein Geräusch dazu zu überlegen: mit dem Fuß stampfen, fauchen oder Laute von sich zu geben so, wie Robbi das getan hat.
-“Ich werde wütend, wenn ich....” Sammeln Sie die Ich-Aussagen der Kinder zu einer Toncollage, indem Sie diese reihum mit dem Smartphone oder Digital-Recorder aufnehmen.
- Schreiben Sie auf, was die Kinder wütend macht und lassen sie diese dazu ein Bild malen.
Hängen Sie die Bilder und die notierten Aussagen der Kinder mit Klammern an einer Leine auf.
▪ Regeln für das Wütendsein
Es ist o.k., wenn du wütend bist,DOCH:Lass andere heil!Lass dich selbst heil!Lass die Sachen heil!Wenn du wütend bist:Rede darüber!
Schreiben Sie die Wutregeln auf ein Blatt Papier.
Zeigen Sie den Kindern eine Kopie der Wut-Regeln und lesen diese vor.
Besprechen Sie gemeinsam mit den Kindern auf, wie Menschen
- andere verletzen,
- sich selbst verletzen,
- Gegenstände zerstören,
wenn sie wütend sind.
Regen sie die Kinder an, eine Kopie der Wut-Regeln zu gestalten, um sie mit nach Hause zu nehmen.
Ältere Kinder, die schreiben können, können Paare bilden und selbst eine Auflistung schreiben und eigene Wutregeln entwickeln.
▪ Einen Wutbeutel selber machen
Mit dem Heranwachsen lernen Kinder, ihre Gefühle in einem sozialen Zusammenhang auszuleben und in konstruktive Bahnen zu lenken.
Rituale wie der Wutbeutel können dabei hilfreiche Dienste leisten.
Im Zimmer aufgehängt, kann er an die Wand gedonnert werden, wenn Wut aufkommt, dem Kind wieder mal der Geduldsfaden reißt oder es sich besonders geärgert hat.
Um einen Wutbeutel herzustellen braucht es:
- ein quadratisches Stück Stoff ca. 25 x 25 cm
- ein Stück dünne Schnur ca. 30 cm
- eine Kordel oder eine Stück dicke Schnur ca. 80 cm
- zwei Hände gesponnene Schafwolle, Watte oder ähnliches Material
Die Schafwolle wird zu einem Ball geformt, in den Stoff gepackt und mit der dünneren Schnur so abgebunden, dass oben noch die Zipfel überstehen. Auf den Stoffball kann ein wütendes Gesicht gezeichnet werden. Nun wird die dicke Schnur fest um diese Zipfel befestigt und oben mit einer Schlaufe zum Aufhängen versehen.
Medientipp von Sylvia Näger, Freiburg
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekarinnen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Mireille d'AllancéRobbi regt sich aufFrankfurt: Moritz 2024, 32 Seiten | 12,00€ | ab 4 Jahre
Medientipp September 2024
Die Angst gehört dazu
"Wir haben Angst,
nicht auf der Höhe zu sein.
Und Angst vor der Höhe.
Und Angst, nicht zu sein." Fran Pintadera
Stromausfall - im Haus geht das Licht aus. Max schaut in die Flamme der Kerze, die sein Vater auf den Tisch gestellt hat, draußen donnert es. „Papa, hast du schon mal Angst gehabt?“ Und dann beginnt das Gespräch über ein großes Gefühl…
„Wir alle haben manchmal Angst…“, räumt der Vater ein und erzählt über die ganz unterschiedlichen Gesichter der Angst. Manche haben Angst vor dem, was sie nicht kennen, andere fürchten sich, wenn sie nachts im Dunkeln unterwegs sind.
Es gibt die Angst vor Worten, die wehtun oder böse klingen oder die Angst, ausgeschlossen zu werden. Monster können überall sein und Angst machen, es gibt aber auch die Angst vor der Freiheit, wenn wir nicht wissen, für was wir uns entscheiden sollen.
Ängste können so stark sein, dass sie uns lahmlegen oder so hell sein wie ein Leuchtturm, weil sie uns warnen.
Letztendlich gehen auch zu Hause wieder die Lichter an. Max möchte eine Geschichte hören und wünscht sich, geborgen auf Vaters Schoß zu sitzen und gestärkt werden durch den Gedankenaustausch.
Ein schönes Buch, das der Angst den Schrecken nimmt. Poetisch zeigt es, wie Angst warnen, schützen und auch fesseln kann. Es vermittelt, dass die Auseinandersetzung mit der Angst belohnt wird, weil sie uns stark macht, wenn wir über Ängste sprechen können. Die Kraft des Buchs liegt in der Verbindung von Wort, Bildsymbolik und Illustration. Ins Bild gesetzt wird die Angst in beeindruckenden Illustrationen sowie auch symbolisch - als schwarzes Ei. Dieses Angst-Ei wandert mit durch die Bilder, unterstreicht die Aussagen und zeigt sich mal stachelig, mal schützend, je nach Angstzustand in unterschiedlicher Weise. Eine Symbolik, die beim dialogischen Betrachten, die Gedanken ankurbeln und die Phantasie anregen kann.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
Jedes Kind hat individuelle Ängste, die sich aus seiner Persönlichkeitsstruktur, seinen aktuell zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben und aus den Bedingungen seiner Umwelt ergeben. Ängste gehören zur Entwicklung und Gestaltung unserer Persönlichkeit dazu. Eine angstfreie Kindheit gibt es nicht. Kinder zeigen in ihrer Entwicklung eine Reihe von Angstformen, die wir als Erwachsene bewältigt haben: Angst vor der Dunkelheit, Angst, von einer geliebten Bezugsperson verlassen zu werden, Angst vor imaginären Gestalten oder Angst vor dem, was nicht vertraut ist.
Um durch diese "normalen" Ängste zu wachsen, braucht ein Kind Hilfe und Unterstützung. Was hilft, sind verlässliche und akzeptierende Gespräche. Kinder versuchen oft, uns auf verschiedene Art ihre Situation, ihre Angst deutlich zu machen. Auch Spiele helfen ihnen, erlebte oder erspürte Ängste zu bewältigen. Dabei begibt sich das Kind in eine fiktive Welt, die es nur in seiner Vorstellung gibt, es spielt die reale Situation nach. In dieser für sich erdachten und erspielten Welt kann es sich auch als Sieger und Held fühlen und beobachten. Daraus schöpft es Kraft und erlebt innere Bilder. Diese Fantasiewelt kann das Kind auch im realen Alltag umsetzen, indem es mit erkannter Kraft von sich selbst neue Wege beschreitet, Schritt für Schritt.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Angst thematisieren
Das Bilderbuch regt an, mit Kindern über das Thema Angst haben und ihre eigenen Ängste zu sprechen. Dabei sollte der erwachsene Gesprächspartner Verständnis und Mitgefühl zeigen. Kinder sollten auch zusätzlich in der Kommunikation und im Dialog erfahren, dass es durchaus normal ist, sich zu ängstigen und dass auch Erwachsene und andere Kinder zeitweilig Angst haben. Das Bilderbuch schließt mit zwei Seiten Informationen zum Thema Angst sowie Fragestellungen, die zum Gedankenaustausch und Gespräch anregen.
▪ Anregungen von Fran Pintadera und Ana Sender:
„Wir laden dich ein, deine Ängste zu erforschen und sie auszudrücken, so wie wir beide – der Autor und die Illustratorin dieses Buches – es getan haben.
- Könntest du in Worte fassen, warum DU Angst hast?
- Und würdest du dazu ein Bild malen, um diesem Gefühl Gestalt zu verleihen?
- Könntest du vielleicht ein ganzes Buch machen, so wie dieses hier?“
▪ Spielerische Anschlusskommunikation: Angst-Eier
Das Erschaffen eines eigenen Angst-Eies (aus Papier oder ein gekochtes Ei, das schwarz bemalt wird) unterstützt Rollenspiele, in denen Kinder Ängste thematisieren, bespielen, und dadurch die Ängste schwächen oder auch ablegen können. Ein solches selber geschaffenes Symbol zeigt spielerisch, dass man ein Stück wachsen kann, wenn man Mut fasst, seinen Ängsten eine Gestalt zu geben.
Mit Hilfe eines solchen Symbols verspüren Kinder, dass sie verschiedene Aspekte ihrer Persönlichkeit zum Ausdruck bringen können. Es trägt dazu bei, verborgene Qualitäten oder Schatten von sich selbst zu zeigen und sich manchmal so auf ganz neue Art und Weise kennen zu lernen. Symbole eignen sich gut für Rituale, bei denen es um die Persönlichkeit des Einzelnen geht. So wagen auch schüchterne Kinder eher, ihre Ängste darzustellen und aus sich herauszugehen.
▪ Angst und Mut: ein Spruch tut gut
Mittels magischer Symbole können Kinder sich als aktives und handlungsorientiertes Subjekt begreifen und versuchen, sich von dunklen, bedrohlichen Dingen zu befreien.
Vertreibe- und Zaubersprüche sind für Kinder nicht irgendein Hokuspokus, sondern der Ausdruck einer eigenständigen Produktivität. Werden solche gebundenen Texte ritualisiert, sind sie ein Mittel, das die Abwehrkräfte gegen archaische Ängste stärken kann.
Mit ihrer Hilfe können sich Kinder auf den Weg durch die Welt machen und neue, fremde Wirklichkeit erobern.
Sprüche, die gemeinsam mit den Kindern gesprochen werden können, um beispielsweise die Monster und wilden Tiere in der Geschichte zu verjagen:
Hokus Pokus Fidibus
Klauen greifen
Krallen seifen
Pfoten quetschen
und die Zähne fletschen
Angst zu Ende
Spuk vorbei
Klatsch in die Hände.
Hokus Pokus Fidibus
Angst, Angst,
doch zur Angst gehört auch Mut.
Schick die wilden Monster fort
Jag sie an den andren Ort.
Schreie löwenlaut:
Furcht weg, Fliegendreck,
Angst weg, Fliegendreck,
GRROOAAAHHUU!
Und dann hast du wieder Ruh.
Danach können die Kinder eigene Zauber- oder Angst-Vertreibe-Sprüche erfinden, mit denen Angstungeheuer zu besänftigen oder zu verjagen sind.
Medientipp von Sylvia Näger, Freiburg
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekarinnen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Fran Pintadera/Ana SenderWas uns Angst macht.Stuttgart: Gabriel 2024, 40 Seiten | 17,00€ | ab 4 Jahre
Medientipp August 2024
Trickreiches Sehen: Bär und seine Brille
Wer eine Giraffe mit einer Schlange verwechselt und einen mausgrauen Steinklotz als Elefanten betrachtet, sieht nicht mehr gut und braucht wohl zweifelsohne eine Sehhilfe. Bär hat zwar eine Brille, doch immer wieder findet er die nicht – obwohl die Betrachter sehen, dass sie auf seinem Kopf sitzt.
Heute, so vermutet er, hat er sie sicherlich bei Giraffe liegenlassen und so macht er sich auf den Weg zu seiner Freundin. Unterwegs sieht er unglaubliche Dinge: einen Hirsch mit einem riesigen Geweih, ein grasgrünes Krokodil und einen rosa Flamingo. Merkwürdigerweise sind diese Tiere auf dem gemeinsamen Rückweg mit Giraffe nicht mehr zu sehen. Irgendwie kommt ihm das komisch vor. Dass er sich getäuscht hat, weil er nicht so gut sehen konnte, darauf kommt er allerdings nicht.
Ohne Brille sah der Stein für ihn eben aus wie ein Elefant und der Blätterhaufen wie ein Krokodil.
Leo Timmers, dem belgischen Autor und Illustrator vieler humorvoller Bilderbücher, ist es wieder einmal mehr gelungen, eine Geschichte mit viel Komik und Hintersinn zu inszenieren. Die vor weißem Hintergrund stehenden Tierfiguren bestechen durch ihre ausdrucksstarke Körpersprache und Mimik. Große Köpfe und Augen unterstreichen diese Wirkung. Der knappe Text bringt die Geschichte auf den Punkt und steht immer wieder im Gegensatz zu dem, was das das Bild zeigt:
Timmers erzählt eine urkomische Geschichte über die Perspektiven der Wahrnehmung und das Sehen mit und ohne Brille. Dabei erhebt er die Leserschaft in die Situation mehr zu wissen als die handelnden Akteure im Buch, was insbesondere Kinder unbändig freut. Ein Buch, das Kommentare und Gespräche herausfordert und für reichlich viel Lesespaß sorgt.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
ZWEI BEREICHE DER VISUELLEN WAHRNEHMUNG: die Figur-Grundwahrnehmung und das visuelle GedächtnisWahrnehmung und Sehen sind komplexe Vorgänge. Beispielsweise ist die Figur-Grundwahrnehmung eine Voraussetzung für die Wahrnehmung und das heißt: Aus der Vielzahl der auf das Auge einströmenden Reize werden diejenigen ausgewählt, die unsere Aufmerksamkeit erregen. Die ausgewählten Reize bilden die Figur innerhalb unseres Wahrnehmungsfeldes, die anderen - unwichtigen Reize - bilden den nur ungenau wahrgenommen Hintergrund. Das Zentrum der Aufmerksamkeit richtet sich auf die sogenannte Figur. Bei Störungen, die sich äußerlich durch Unkonzentriertheit und Unaufmerksamkeit manifestieren, gelingt die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Reizen nicht.
Gesehenes erinnern zu können, ist eine Voraussetzung für die kognitive Entwicklung. Zahlen, Symbole, Buchstaben müssen richtig erkannt und zugeordnet werden. Kim-Spiele und Memory-Spiele trainieren das visuelle Gedächtnis.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
Sehspiele, die die visuelle Wahrnehmung anregen▪ "Ich sehe was, was du nicht siehst":Eine Person beschreibt einen im Raum befindlichen Gegenstand (er muss sichtbar sein): "Ich sehe was, was ihr nicht seht, das ist blau". Wer zuerst herausgefunden hat, um welchen Gegenstand es sich handelt, darf beim nächsten Spieldurchgang einen neuen Gegenstand auswählen. Die Merkmale der Beschreibung können Farben, Formen, Größen der Gegenstände sein.
Dieses Spiel lässt sich auch wunderbar mit Wimmelbildern spielen.
▪ Kimspiele mit Fotosuchbildern kreieren
Genaues Hinsehen, Unterschiede finden, sich das Gesehene merken, all dies fördert das visuelle Gedächtnis. Gute Übungsmöglichkeiten für diese Fähigkeiten stellen die sogenannten "Kim-Spiele" dar.
Ein Tisch wird zur Fotografierbühne: verschiedene Gegenstände werden darauf aufgebaut - beispielsweise eine Schatzsammlung mit circa 20 kleinen Gegenständen. Die Kinder fotografieren dies in Nahaufnahme. Dann werden ca. 6-8 Gegenstände entfernt und vom selben Ausgangspunkt wird ein neues Foto gemacht. Die Fotos dienen als Suchspiel: die Kinder benennen, was fehlt oder sich verändert hat.
Zusammen mit den Kindern können Sie die Bildgestaltung der Suchbilder entwickeln. Vieles kann auch mit Spielzeug und Naturmaterial arrangiert werden (Kastanien, Steine, Blumen), Geschichten oder phantastische Szenarien sind denkbar.
Beim Herstellen der Fotosuchbilder achte man auf eine gegliederte übersichtliche Anordnung der Dinge. Wenn von vorne fotografiert wird, können zwei Kinder ein farblich passendes Tuch als Hintergrund halten. Wenn von oben, als Draufsicht fotografiert wird, liegen die Objekte auf dem Tuch.
▪ Trickreiches Sehen mit der Wunderscheibe
Um dieses trickreiche Sehen erleben zu können, wird die Wunderscheibe hergestellt:
Kopieren Sie das Thaumatrop, wie die Wunderscheibe auch genannt wird, auf mittelstraken Karton und stellen ein Demonstrationsmodell her.
Schneiden Sie die zwei Teile der Wunderscheibe aus und kleben diese zusammen. Pieksen Sie mit der Ahle auf beiden Seiten ein kleines Loch in die Linie. Befestigen Sie in jedem Loch ein Gummiband.
Erproben Sie das Modell, indem sie die Gummibänder leicht anspannen und das Ganze zwischen Daumen und Zeigefinger schnell hin und her zwirbeln.
Nachdem Sie das trickreiche Sehen vorgeführt haben, fordern Sie die Kinder auf, sich zu überlegen, warum das Auge diese zwei Bilder als eines sieht. Danach basteln sich alle eine eigene Wunderscheibe.
Material: Für jedes Kind eine Kopie, eine Schere und zwei Gummibänder, Klebstoff und Ahle
bereitstellen.
Hintergrundwissen:
Bei der Wunderscheibe prägen sich die Bildeindrücke (Lichtreize) auf der Netzhaut ein. Die Eindrücke bleiben dort als Nachbilder erhalten und wirken einen kurzen Sekundenbruchteil nach. Wir sehen mit Unterbrechung zwar zwei verschiedene Bilder, die jedoch beim schnellen Herumwirbeln der Scheibe zu einem Gesamtbild verschmelzen. Mit anderen Worten: die Wunderscheibe dreht sich schneller als wir sehen können. Diese optische Erscheinung des Nachbildes, die sogenannte Nachbildwirkung, ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Ende des 19. Jahrhunderts zur Entdeckung des Films beitrug.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekarinnen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Leo TimmersBär und seine Brille.Zürich: Aracari 2024, 36 Seiten | 15,00€ | ab 4 Jahre
Medientipp Juli 2024
Vorlese- und Sprachspielspaß mit ziemlich langen Wörterschlangen…
Im Zelt des Zirkus Superlativo sitzt ein kleines Mädchen mit seinem Freund am Tisch und malt Tierbilder. „Was meinste wohl, was denkste dir: Welches ist das längste Tier?“ fragt es den kleinen Affen. Der rät hin und her, von Warzenschwein über Kakadu bis hin zu Känguru, des Rätsels Lösung aber weiß er nicht.
Glücklicherweise, denn zur Beantwortung dieser nicht ganz simplen Frage entführt uns das Bilderbuch in die Welt klangvoller Wörterschlangen.
Zunächst entdecken wir erst einmal einen Busch mit Erdbeeren, die sind, wie jeder weiß, perfekt für Erdbeereis. Und da dieses sehr, sehr lecker schmeckt, träumt jeder von einem ganzen Erdbeereisberg.
Und der ist steil und „ …hoch,
zu Fuß kommt keiner rauf jedoch
fährt bis ans Gipfelkreuz heran:
Eine Bahn.
Eine Bergbahn.
Eine Eisbergbahn.
Eine Beereneisbergbahn.
Die Erdbeereisbergbahn“.
„Dort oben steht ein großes Haus, da steigen alle Leute aus…“ Klar, dass das „der Erdbeereisbergbahnhof“ ist.
„Der Bahnhof wird sehr gut bewacht sowohl bei Tag als auch bei Nacht“ und zwar von einem ziemlich netten Hund, dem „Erdbeereisbergbahnhofshund“. Für den gibt es eine Leine, die in einer Tasche steckt, in der sich auch ein Taschenspiegel befindet. Dass das alles in einem großen Hunger endet, dabei eine Speisekarte, ein schusseliger Kellner und ein Schuhbändel eine Rolle spielen ist wichtig und richtig – sonst gäbe es die fulminanten Wörterreihungen nicht, die letztendlich eine ganze Buchzeile füllen.
Diese phantastische Geschichte ist nicht nur ein prima Vorlesevergnügen, sondern auch ein Augenschmaus. Genauso ausdrucks- wie liebevoll führen uns die komplett doppelseitig angelegten Illustrationen in die Wortketten hinein. Hat man sich diese erst einmal erschlossen, da hilft bestens lautes Einlesen, geht es an das höchstvergnügliche Vorlesen. Das lässt sich stimmig mit dem Betrachten der Bilder abwechseln, wobei diese Kinder und Erwachsene nicht nur in den Bann ziehen, sondern es spielend schaffen, einen Dialog herausfordern. Oft endet das Ganze im gemeinsamen Lesen, da die Illustrationen Kinder unterstützen, die Wortketten anhand der Bilder zu rekapitulieren.
Ach ja, zum Titel: natürlich gibt es noch die Auflösung, welches Tier das längste der Welt ist.
Ein witziges und kluges Buch zugleich, das Wortkaskaden und Bildinterpretationen der Extraklasse liefert. Schöner kann Sprechfreude und Sprachspiel kaum funktionieren.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
Die deutsche Sprache hat den Vorteil, dass sie, um neue Begriffe zu formulieren, mehrere Wörter miteinander kombinieren kann. Darin liegt ein großes sprachspielerisches Potenzial. So wird hier eine Geschichte erzählt, in der Wörter zusammengesetzt sind (Komposita) und so neue sich mehr oder weniger selbsterklärende Begriffe ergeben.
Komposita, die sich aus Nomen (= Substantiven) zusammensetzen, sind nicht auf bestimmte Begriffe oder eine maximale Wortlänge begrenzt. Das heißt, dass ein Kompositum um beliebig viele Substantive erweitert werden kann. Besonders lange Komposita erschweren zwar das Leseverständnis, bieten aber reichlich Sprachspielspaß. Kinder erwerben Sprache vor allem in Situationen, die Spaß machen, unterhaltsam, lustig und bedeutungsvoll sind!
Deswegen bietet sich auch an, „Das längste Tier der Welt“ gezielt für den Aufbau von Sprachkompetenz zu nutzen. Die zungenbrecherische Wortakrobatik der Komposita können gut für die Förderungsbereiche Aussprache, Prosodie und Hören im Sinne von Lautdiskriminierung, Morphologie und Syntax sowie zur Erweiterung des Wortschatzes eingesetzt werden. So werden Formen und Strukturen des Sprachsystems implizit und im Zusammenhang mit ihrer kommunikativen Funktion erworben und in kommunikativen Situationen angewendet, gefestigt, und dauerhaft behalten.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Mit den Wortketten spielen
Für die jüngeren Kinder, die noch nicht lesen, ist es eine interessante sprachliche Auseinandersetzung, aus den Bildern des Buches die Wörterschlangen auszulesen.
Eine vereinfachte Form, die Wörterschlange aus dem Gedächtnis abzurufen, ergibt sich, indem ausschließlich die letzte Wortverkettung jeder Doppelseite verwendet wird: Die Erdbeere. Das Erdbeereis. Der Erdbeereisberg. Die Erdbeereisbergbahn. Der Erdbeereisbergbahnhof. Der Erdbeereisbergbahnhofshund. Die Erdbeereisbergbahnhofshundeleine. Die Erdbeereis-bergbahnhofshundeleinentasche. Der Erdbeereisbergbahnhofshundeleinentaschenspiegel.
Das Erdbeereisbergbahnhofshundeleinentaschenspiegelei. Die Erdbeereisbergbahnhofs-hundeleinentaschenspiegeleierspeise. Die Erdbeereisbergbahnhofshundeleinentaschen-spiegeleierspeisekarte. Das Erdbeereisbergbahnhofshundeleinentaschenspiegel-eierspeisekartenhaus. Der Erdbeereisbergbahnhofshundeleinentaschenspiegeleierspeisekar-tenhausschuh. Das Erdbeereisbergbahnhofshundeleinentaschenspiegeleierspeisekarten-hausschuhband. Der Erdbeereisbergbahnhofshundeleinentaschenspiegeleierspeisekarten-hausschuhbandwurm.
▪ Zusammengesetzte Wörter finden
Aus dem alltäglichen Sprachgebrauch kennen Kinder Wörter, die zusammengesetzt sind: z.B. Sonnenmilch, Apfelbaum, Fußball, Handschuh, Eiswürfel, Löwenzahn etc.
Begeben Sie sich zusammen mit den Kindern auf die Suche nach solchen Komposita und schreiben die gefundenen Wörter auf. Die Kinder können jeweils zwei Begriffe eines Wortes auf kleine Kärtchen zeichnen und mit diesen neue, unterhaltsame Wortkombinationen erfinden.
▪ Vorlesetipps
Die fantasievolle, märchenhafte Geschichte sprüht nur so von Wortakrobatik und Zungenbrecher und macht das Vorlesen zu einer kleinen Herausforderung – üben ist unbedingt zu empfehlen.
Um die Wortspielereien den Zuhörenden darbieten zu können, empfehle ich, die Geschichte vorzulesen und sich an den gedruckten Text zu halten, selbstverständlich nicht im Schnellzugtempo und mit genügend Pausen, um die wunderbaren Illustrationen zu betrachten.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekarinnen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Klaus Cäsar Zehrer / Uli KrappenDas längste Tier der WeltZürich: Diogenes 2024, 48 Seiten | 20,00€ | ab 5 Jahre
Medientipp Juni 2024
Buddeln, Baggern, Bauen - Kleine Geschichten von großen Maschinen.
Tieflader, Harvester, Radlader oder Portalhubwagen – ziemlich viele große Maschinen sind im Einsatz. Gefahren und gelenkt von tierisch gutem Personal, wie Herrn Elch, Frau Schaf, Herrn Esel oder Frau Krokodil finden sie originelle Verwendungen, was für tierisch unterhaltsames Lese-Vergnügen, aber auch für einwandfreie technische Wissensvermittlung und, um im Tierreich zu bleiben, affenstarke Lernerlebnisse sorgt.
Die Doppelseiten erzählen Mini-Geschichten, die mit Sachinformationen zu den Maschinen ergänzt werden. Die pfiffigen und humorvollen Illustrationen zeigen die immer begeisterten Protagonisten zusammen mit ihren Arbeitsgeräten, die oft bemerkenswert individuell eingesetzt werden. Da lässt Frau Elefant schon mal ein paar Tierkinder auf der Ladefläche ihres Vorderkippers runterrutschen, oder Herr Stier zieht auf seinem überbreiten Tieflader das Minihaus von Familie Maus in eine andere Stadt. Herr Wolf rettet mit seinem Minischaufelbagger ein paar Schafe. Ob er das ganz selbstlos tut, bleibt offen – die Schafe jedenfalls finden, dass er ein toller Typ ist.
Auf der Doppelseite über den Mähdrescher vermitteln uns Frau Huhn und Frau Ente eine neue Steigerungsform von groß, größer, am größten. In ihrem kleinen konfliktorientierten Wettstreit beim Rasenmähen übertrumpfen sie sich gegenseitig, dabei steigert sich die Technik: vom Handmäher über Motormäher, Elektromäher, Sitzrasenmäher bis zum Superlativ Mähdrescher mit sechs Meter breitem Schneidewerk. Ja, tierisch interessant diese Grammatik.
Und was erleben wir sprachlich? Neben Augenzwinkern liefert Ole Könnecke in seinen informativen Erzähltexten nicht nur riesige Baggerladungen Humor und Kippmulden voller Witz, sondern auch bunte sprachliche Erlebnisse. Da gibt es den lyrisch veranlagten Herrn Maus, der sich beim Tiefladerfahren richtige Gedichte einfallen lässt. Noch dazu das Märchen von Bauer Schwein und seinem kleinen roten Traktor samt der guten Fee, die grade aus dem Urlaub kam. Deren Technikzauber bringt zwar einen hypermodernen Riesentraktor mit Bordcomputer, vollklimatisierter Kabine und Handyhalterung zustande, aber im Grunde seines Herzens will das der Bauer gar nicht. Aber wie das im Märchen so ist, gibt es ein gutes Ende und er und sein Traktor leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Technik und Literarisches gehen Hand in Hand, der Lese- und Bilderspaß schafft großes Wohlbefinden bis Entzücken – was will man mehr beim gemeinsamen Bilderbucherleben?
Wenn Ole Könnecke Fakten und Funktionsweise von Fahrzeugen und Maschinen mit Geschichten und seinen unterhaltsamen Bildern vereint, ist das ein mehr als herrlicher Beitrag zum Buddeln und Bauen und somit ein Pflichttitel für die Kitabibliothek.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
Nahezu alle Kinder sind fasziniert von Baustellen und den Fahrzeugen, die es dort zu entdecken und zu beobachten gibt. Ehrfurchtsvoll und aufmerksam werden die Arbeiten verfolgt, und Kinder von der Baustelle wegzubekommen ist oft ein aufwändiger Akt.
Der Anblick und die immense Kraft der Baumaschinen begeistern. Bagger und ihre Schaufeln, Kräne, die große Lasten bewegen, Presslufthämmer, die laut und unerbittlich rattern und Lastwagen, die Erde ab- und aufladen sind für Kinder ein faszinierender Anblick. Im ländlichen Raum sind es die Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen, die bewundert werden.
Oft erklären dann die Erwachsenen, was da bestaunt wird, das Auf und Ab, das Hin und Her, das Füllen und Ausleeren. Angst vor den Monstergerätschaften haben Kinder nicht. Eher mag ihnen durch den Kopf gehen, wie stark doch diese Maschinen sich zeigen, und gerne würden manche die Macht der Maschinen mit ihnen teilen. In der Identifikation mit der Kraft der Baumaschinen fühlen sich Kinder stark, mächtig und einfach ein Stück größer.
Ob Bagger oder Traktoren, sie zusammen mit Kindern zu betrachten und ihr Erleben nachzuspielen, öffnet erwachsenen Bezugspersonen viele Möglichkeitsräume. Zum Beispiel, mit ihnen im Dialog über Macht und Ohnmacht, Gelingen, Kraft und Schwäche zu sprechen.
Und auch darüber, dass die Planierraupe manchmal stecken bleibt, oder der Bagger mit seiner Schaufel nicht alles packen kann. Ist es doch beruhigend, dass auch bei so viel Stärke mal was schiefgehen kann.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Schreibanlässe schaffen
Kinder begegnen dem Thema Schrift zuerst über die pure Nachahmung der Verhaltensweisen schreibender Erwachsener. Auf dem Weg zur Schrift brauchen sie Schreibanlässe, die ihnen ermöglichen, Einsichten in die Systematik der Schrift zu gewinnen. Sobald sie beginnen, für sie wichtige Wörter zu schreiben, betrachten Kinder die Gestalt des Wortes und prägen sich das Wortbild als Ganzes ein. Das Wort ist dabei eine Art Logo mit Wiedererkennungswert.
In dieser Entwicklungsphase schreiben Kinder gerne Wörter ab. Dafür bieten sich die seitlich stehenden Registerworte (wie beispielsweise TRAKTOR, HARVESTER, RADLADER, FAHRMISCHER, PORTALHUBWAGEN) an, denn sie sind in Großbuchstaben gedruckt, was das Abschreiben vereinfacht.
Schreiben Sie die Worte in einer 18 Punkt Schrift, Arial, fett am PC, drucken diese aus und schneiden sie in Streifen. Verteilen Sie die Streifen an die Kinder. Diese ordnen die Streifen den einzelnen Fahrzeugen zu. Lesen sie die jeweiligen Seiten dialogisch mit den Kindern. Danach schreiben die Kinder die Wörter ab und zeichnen ihr Bild dazu.
▪ Traktor-Lyrik
Kinder sind für Melodie und Rhythmus der Sprache sehr empfänglich.
In unserer Sprache entsteht der Sprechrhythmus aus langen und kurzen Vokalen, aus betonten und unbetonten Silben. Melodie, Rhythmus und Akzentuierung sind die Klangmerkmale der deutschen Sprache. Dass Kinder Sprachklang, Sprachrhythmus und Reim erleben, ist entscheidend für die spätere Literarisierung.
Das sprachspielerische Gedicht lässt sich mit den Worten „Buddeln, Baggern, Bauen“ bestens verbinden:
TRAKTOR-GEKNATTER
Ein Traktor kommt um die Ecke geknattert .
Man kennt ihn gleich, wie er klappert und knattert
und rüttelt und ruckelt
und zittert und knackt
und schüttelt und zuckelt
und stottert im Takt.
Bis unter die Brücke zum dicken Bagger
wackelt der Traktor mit taketa-taka
taketa-taka, taketa-pff
take-pff
take–aus!
Dann geht der Traktorfahrer nach Haus.
Hans-Adolf Halbey
▪ Zum Anhören und Mitraten: Das Baustellenquiz
Mitmachen beim Baustellen-Quiz // Erkennst du die Geräusche auf unserer Baustelle?
Auf unserer Baustelle gibt es viel zu tun und dabei einiges zu hören. Erkennst du alle Geräusche in unserem Baustellen-Quiz? Oder ist noch ein unbekanntes Geräusch für dich dabei?
https://www.youtube.com/watch?v=dx_uW4UqPvk
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekarinnen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Ole KönneckeBuddeln, Baggern, Bauen. Kleine Geschichten von großen Maschinen.München: Hanser 2023, 32 Seiten | 16,00€ | ab 4 Jahre
Medientipp Dezember 2023
Das Tännchen Felix – … eine Weihnachtsgeschichte aus dem Wald
„Nett sein ist was für alle“ – sagt Frau Immergrün, die Lehrerin der Baumschule, in der man lernt was ein Weihnachtsbaum alles können und wissen muss. Aber Kurt, der größte und properste der Tannenschüler, fühlt sich davon nicht angesprochen.
Viel lieber kommt er überheblich und mächtig großspurig daher und macht sich über den kleinen und schmächtigen Felix lustig, den alle nur Tännchen nennen. „Aus dir wird nie ein Weihnachtsbaum!“ spottet er, und behauptet, dass keiner aber auch gar keiner einen derartig winzigen Tannenbaum haben möchte. Nachvollziehbar, dass Felix immer trauriger wird.
Vor Weihnachten, die ersten Schneeflocken fallen, kommen die Tierfamilien aus dem Walde in die Baumschule und suchen sich eine Tanne aus, mit der sie feiern werden. Und es kommt wie es kommen muss: Keiner wählt den kleingeratenen Felix aus, und der ist völlig am Ende. Und wenn nicht die verspätete Großfamilie Hase, mit ihrer kleinen Selma, dafür gesorgt hätte, dass sich das Blatt doch noch wendet, ja dann hätte Felix gar nicht zeigen können was er alles in der Baumschule gelernt hat. Er ist so glücklich, dass auch er nun ein Weihnachtsbaum ist, dass er prompt vergisst, dass er eigentlich nicht mitsingen sollte. Als Familie Hase „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum“ anstimmt, singt Felix lauthals mit und, freut sich so ausgelassen, dass die Weihnachtskugeln runterpurzeln.
Weihnachten wird für den kleinen Tannenbaum zu einem großen Tag, an dem er nicht nur den Heiligen Abend strahlend verschönern, sondern sich selbst in seiner Individualität annehmen kann.
Die Botschaft, an sich und seine individuellen Fähigkeiten zu glauben, ist gelungen verpackt in dieser gleichermaßen unterhaltsamen und tiefsinnigen Weihnachtsgeschichte aus dem schneebedeckten Winterwald. Lockere, witzige Bilder spiegeln den Text, sodass Kinder den Ablauf der Geschichte bald bildgestützt selbst erzählen können. Und wer meint, auf einem im Baum die „Heule Eule“ zu erblicken, hat sich nicht getäuscht. Ihr Illustrator Philippe Goossens hat mit seinem lockeren Strich auch dieses Waldweihnachtsbuch in Szene gesetzt. Dass bei so viel happy end und tierischer Weihnachtsfeierfreude die Schneeflocken auf dem Cover glitzernd strahlen, darf dann auch mal sein …
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Ich bin klein, aber genauso wichtig wie die Anderen…
Eine gegenseitig anerkennende Grundhaltung, schafft eine wichtige Basis für das Zusammenleben. Wenn Kinder unter sich diese Haltung nicht zeigen, und ein Kind zu hören bekommt: Du bist zu klein, das kannst du nicht oder das schaffst du nicht, erlebt es eine Abwertung seiner Person. Das kränkt, macht unsicher und schwach. Durch Glaube und Zuspruch können Kinder aber Kräfte entwickeln, die ihnen helfen, sich ihrer selbst wieder sicher zu werden und sich groß, mutig und wichtig zu fühlen.
Diese Ermunterungen erlebt Felix durch das ebenso kleine Hasenmädchen Selma und durch deren Haseneltern, die in ihrer Haltung zeigen, dass sie Felix als vollwertigen Weihnachtsbaum anerkennen. So ermöglicht „Das Tännchen Felix“ Kindern über Dinge aus einer anderen Perspektive nachzudenken. Die Geschichte vermittelt, dass die innere Vorstellungskraft Gefühle leiten kann. Kinder erleben in dieser frohen Weihnachtsbotschaft: „Ich bin klein, aber das macht mich nicht weniger wichtig als größere Kinder oder Erwachsene.“
▪ Weihnachtskultur
Nahezu weltweit wird heute Weihnachten gefeiert, als Fest des Lichtes und der Freude. Ursprünglich ist es das Geburtsfest von Jesus, dem Stifter der christlichen Religionen. Deswegen zählt Weihnachten zu den großen strahlenden Festen im Kirchenjahr der Christen. Allerdings ist es eines der Feste, das sich zusehends immer mehr von seinem eigentlichen Ursprung entfernt, da in unserer Konsumgesellschaft die Symbole dieses Festes intensiv vermarktet werden.
Ein modernes Symbol ist der Weihnachtsbaum, auch Tannen- oder Christbaum genannt, ein mit Lichterketten, Kerzen, Christbaumkugeln, Lametta, Engels- oder andere Figuren geschmückter Baum, dessen immergrüne Nadeln ein Symbol für Beständigkeit sind. Diese ursprünglich im Elsass begründete Tradition verbreitete sich in den deutschsprachigen Raum und von dort im 19. Jahrhundert über die ganze Welt.
„Das Tännchen Felix“ erzählt wunderbar und witzig eine fantasievolle Geschichte, eine Weihnachtsbegebenheit im Tannenwald. Das Feiern in der Weihnachtszeit fungiert als Rahmen der Erzählung, die Geschichte an sich beleuchtet kindliche Wahrnehmungen und Gefühle. Die geglückte Verbindung der beiden Ebenen bezieht zuhörende Kinder stark mit ein. Sie regt eigene Betrachtungen zum sozialen Miteinander an als auch aus Empathie Mitgefühl beziehungsweise Nächstenliebe jemanden Gutes zu tun.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Baumschmücken draußen
Üblicherweise werden die Tannenbäume gekauft und später zu Hause zum Weihnachtsbaum geschmückt. Im Bilderbuch haben die Bäume das Glück, nicht gefällt und nur für kurze Zeit im Haus stehen zu müssen. Sie können an ihrem angestammten Ort bleiben und werden trotzdem mit Kugeln und anderer Weihnachtsdekoration behängt, damit die Familien Dachs, Maulwurf, Spitzmaus, Fuchs, Reh, Specht und Hase an ihren geschmückten Bäumen feiern können.
Diese, vor allem in England zelebrierte Tradition, den lebenden Baum zu schmücken, ist eine gelebte Wertschätzung und begeistert auch Kinder. Denn Bäume spielen nicht nur eine wichtige Rolle im Ökosystem und versorgen uns mit Sauerstoff. Sie sind auch Sinnbilder für Beständigkeit und Wandel zugleich und bieten vielen Lebewesen Unterschlupf.
▪ Tannengeflüster
Gedicht von James Krüss
Wenn die ersten Fröste knistern
in dem Wald bei Bayrisch-Moos,
geht ein wispern und ein flüstern
in den Tannenbäumen los,
ein Gekicher und Gesumm,
ringsherum.
Eine Tanne lernt Gedichte,
eine Lerche hört ihr zu.
Eine dicke alte Fichte
sagt verdrießlich: gebt doch Ruh!
Kerzenlicht und Weihnachtszeit
sind noch weit!
Vierundzwanzig lange Tage
wird gekräuselt und gestutzt
und das Wäldchen ohne Frage
wunderhübsch herausgeputzt.
Wer noch fragt: Wieso? Warum? -
der ist dumm.
Was das Flüstern hier bedeutet
weiß man selbst im Spatzennest:
Jeder Tannenbaum bereitet
sich nun vor aufs Weihnachtsfest.
Denn ein Tannenbaum zu sein:
das ist fein!
▪ Die Baumschule malen und sich das Gedicht „Tannengeflüster“ erobern
- Auf ein DINA3 Blatt wird die ganze Baumschule samt der Lehrerin Frau Bär gemalt.
- Zwei der Bäume sind Felix und Kurt, diese werden mit Ihrem Namen gekennzeichnet.
- Alle Tannenbäume werden mit aufgeklebter oder gemalter Dekoration geschmückt.
- Der Text von James Krüss‘ Gedicht „Tannnengeflüster“ kann in die Mitte geklebt und sich durch Anhören einer Audioversion mündlich erobert, d. h. nach einigem Hören selbst gesprochen werden.
▪ Zum Anhören: Felix als Hörbuch
Felix das Tännchen ist in der Hörfuxreihe als kostenloses Hörbuch zu nutzen. In dieser Reihe ist jedes Hörbuch individuell mit Musik unterlegt und wird Seite für Seite vorgelesen, so dass die Bilder zum Text in ausreichender Zeit angeschaut werden können.
Unter https://nord-sued.com/audio/hoerfux/das-taennchen-felix/ Auf dieser Seite findet sich die MP3-Datei zum Download und zur nicht-kommerziellen Nutzung.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Thomas Meyer/Philippe GoossensDas Tännchen Felix.Zürich: NordSüd 2023, 32 Seiten | 17,00€ | ab 4 Jahre
Medientipp November 2023
Kaya weiß, was sie will – Geschichten zum Immer-Wieder-Vorlesen
Kaya fährt flott Laufrad, spielt gerne mit Holztieren und ihren zwei Omas und ist ganz wild auf Geschichten. Besonders solche Geschichten, die sie im Alltag mit ihrer Familie selbst erlebt, die dann von Reiswaffeln und Platzwunden, glitzernden Ostereiern oder von viel zu hohen Treppen erzählen.
Dass es dabei um ein kleines Mädchen geht, das neugierig und interessiert seine Umwelt erkundet, löst bei Kindern Gefühle aus und regt zur Identifikation mit Kaya und ihren Alltagssituationen an. In den Kurzgeschichten aus dem Leben der kleinen Protagonisten, der viel Autonomie zugestanden wird, die oft ihre Grenzen erkundet und ihre Gefühle ausdrücken kann, begegnen Kinder sich selbst. Sie können spielerisch erproben: wie wäre das wenn ich so traurig wäre wie Kaya, oder mich selbst so verletze, dass ich blute und ins Krankenhaus muss? Und da beim Geschichten hören immer auch die eigenen Erfahrungen von Kindern einfließen, regen Kayas Erlebnisse Kinder an, selbst von ihren Erlebnissen zu Hause oder in der Kita zu erzählen.
Heike Brandt, schreibt ihre Vorlesegeschichten in leicht verständlicher Sprache, überzeugt mit Charakterfiguren und atmosphärisch dichten Stimmungen. Die lebensfrohen beschwingten Illustrationen der italienischen Illustratorin Giulia Orecchia sind ausdrucksstarke Impulsgeber, über Kayas Bedürfnisse und Gefühle nachzudenken und darüber zu sprechen.
So ist dieses Buch ein Ort der Begegnung, das beim Zuhören, Lesen und Anschauen die kleinen Alltagsabenteuer aus der großen Erlebniswelt junger Kinder wunderbar in Szene setzt. Ein Gewinn für alle, die gerne das Vorlesen, was Kinder brauchen um stark und resilient zu werden.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Vorlesen vermittelt zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Beim Vorlesen erhält ein schriftsprachlicher Text eine Stimme. Durch den Akt des Vorlesens d.h. durch die Varianten der Stimme, durch Gestik, Mimik, Tempo und Pause wird der Text in einer spezifischen Art und Weise lebendig.
Beim Vorlesen und betrachten von Büchern wirken Situation, Personen und Text zusammen und konstruieren eine Art Zwischenwelt. Das Vorlesen oder Erzählen hat dabei die Funktion einer Brücke zwischen einer schriftsprachlich festgehaltenen Vorgabe und den zuhörenden Kindern, denen vor allem die mündliche Sprache vertraut ist. Insofern bewegt sich das Vorlesen von Bilderbüchern und Texten zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und macht Kinder im Kindergartenalter mit dem Lernprozess vertraut, der sie mit dem Eintritt in die Grundschule erwarten wird, dem Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit.
▪ Immer wieder Vorlesen
Mitfiebern, sich gruseln, mitlachen und mitweinen! Kinder fühlen sich beim Vorlesen in die Gedanken und Gefühle anderer Menschen ein und beleuchten deren Tun.
Vorlesen kann aber auch viel dazu beitragen, die Beziehung zwischen Erwachsenem und Kind aufzubauen, zu festigen und auch zu entspannen. Vorlesen ist die Mutter des Lesens und in ihrem Buch “Das entschwundene Land” erinnert sich die große Kinderbuchschriftstellerin Astrid Lindgren, ihrer eigenen Kindheit, in der Lesen einen wichtigen Platz einnahm. An Erwachsene gerichtet schreibt sie über den Zugang zum Buch:
“Wünscht ihr mitunter, ihr wüßtet ein wenig mehr darüber, was in eurem Kind vorgeht? Ja, aber dann müßt ihr ihm den Weg zum Buch weisen!... Vertrautheit stellt sich ein wenn ihr zusammen über ein Buch lacht oder weint. Und vieles von dem, was euer Kind innerlich beschäftigt hat, kommt zur Sprache, wenn ihr euch über das Gelesene unterhaltet. ... ja, ihr könnt ihm den Weg zum Buch weisen! Aber wie gesagt, es muss gleich geschehen. Jetzt gleich, wo euer Kind sechs oder acht oder zehn oder zwölf Jahre ist, da muss es geschehen. Hinterher ist es zu spät. Zu spät für Schneewittchen und Doktor Doolittle, zu spät für Tom Sawyer und Robinson Crusoe, zu spät für so viel Freude und aufregende Erlebnisse, endgültig zu spät. Zu spät, um den Weg zu finden, der zu dem grenzenlosesten Abenteuer führt.”
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Selbstbestimmt Geschichten auswählen
Sobald das Buch komplett vorgelesen ist, lässt sich für die Kinder einen selbstbestimmten Zugang zu den Geschichten vorbereiten.
Dazu wählen die Kinder für jede Geschichte ein Symbol.
Beispielsweise für die Geschichte von
- der Überraschung im Park – ein Eichhörnchen
- der Rewawa – eine Reiswaffel
- dem Loch im Kopf – ein Pflaster etc.
Die Symbole werden gemalt, ausgeschnitten und laminiert.
Schreibt man die Titel der Geschichten auf kleine Kärtchen, sind neben den Bildsymbolen auch die Buchstaben als abstrakte Symbole der Schrift miteinbezogen, was Literacy-Aspekte erweitert.
Mit Hilfe der Symbole, die man beispielsweise in einem Säckchen oder der Erzählschiene platziert, können Kinder selbst auswählen welche Geschichte z.B. im Morgenkreis oder in der Ruhezeit vorgelesen wird.
▪ Den Namen „Kaya“ gibt es in verschiedenen Kulturen
Kaya kommt aus dem Türkischen und kann direkt übersetzt werden mit „der Fels“. Den Namen Kaya gibt es in sehr vielen verschiedenen Sprachen, somit hat er auch verschiedene Bedeutungen. In Zulu beispielsweise bedeutet Kaya so viel wie „Zuhause“. In der Sprache der Hopi Indianer hat Kaya auch die Bedeutung „kluges Kind“ oder „Weide“.
Das regt an, mit den Kindern die eigenen Namensbedeutungen zu erforschen.
▪ Sich selbst als Erzählerin und Erzähler erleben
In der „Geschichte vom Spiegelei“ ist die Abfolge der Geschehnisse sehr deutlich in den Illustrationen erkennbar.
So können die einzelnen Szenen - kopiert und ausgeschnitten- Kinder unterstützen, die Geschichte in ihrer Abfolge nachzuerzählen. Das bildgestützte versprachlichen der Geschichte regt an, sich selbst als Erzählerin oder Erzähler zu üben und zu erleben. Was Kindern wiederum ermöglicht, Textverständnis und ein Gefühl und Wissen über Struktur von Geschichten zu entwickeln.
▪ Leseprobe
Die Geschichte und die Illustrationen von „Kater Karlchen und die Maus“ finden Sie als Leseprobe unter https://www.moritzverlag.de/Alle-Buecher/Kaya-weiss-was-sie-will.html
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Heike Brandt/Giulia OrecchiaKaya weiß, was sie will. Neun Geschichten zum VorlesenFrankfurt: Moritz 2023, 128 Seiten | 13,00€ | 3 - 6 Jahre
Medientipp Oktober 2023
Ab geht die Post – Mach mit und wirf den Brief ein!
Klar, das Briefeschreiben ist in Zeiten von Social Media etwas antiquiert, aber einen Brief zu bekommen, ist für viele etwas Schönes. Auch wenn sich Kommunikation im Lauf der Zeit wandelt – trotz WhatsApp, X, Facebook oder Instagram ist ein Brief immer noch ein Medium, um Informationen auszutauschen oder sich über das zu verständigen, was der andere bedeutet.
Diese entschleunigte Art der Kommunikation setzt Wilma Waschbär in Gang. Sie „schreibt schön schief Max, dem Mäuschen, einen Brief: Möchtest du mich mal besuchen? Heute back ich Käsekuchen!“ Aber Horst Hase, der Briefträger mit der Mohrrübe, bringt die Post zum falschen Haus. „Statt beim Mäusejungen Max, landet sie beim alten Dachs.“
Und auch beim Pferd, beim Fuchs, der Katze und dem Schaf ist der Einladungsbrief nicht beim richtigen Adressaten.
Damit Wilma und Max zusammen Käsekuchen essen können, brauchen sie die Unterstützung der kleinen und größeren LeserInnen. Diese werfen den Brief immer in den nächsten Briefkasten und sorgen damit, dass der an der richtigen Adresse ankommt und alles gut endet.
Witzig und detailreich illustriert, gibt es neben der Tierwelt auch äußerst kreativ gestaltete Briefkastentypen zu bestaunen, mit Ohren oder kleinen Botschaften und vielen Zeichen gestaltet.
Durch die Verbindung von Spiel und Texterleben macht dieses pfiffige Postbilderbuch viel Lust auf mehr: auf eigenes Briefeschreiben, Kuverts falten, Briefmarken gestalten - eben auf vieles, was mit Schrift und Zeichen verbunden ist und auf alles, was mit der Post zu tun hat.
Damit ist dieses Pappbilderbuch für Kinder bis sechs Jahren und, durch den mit Reim und Rhythmus gestalteten Text, auch für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache ein äußerst unterhaltsames, spielerisches und zugleich intensives Lese- und Literacyerlebnis.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Brief- und Schriftkultur
Schreiben ist zunächst kein spontanes Bedürfnis von Kindern. Kinder begegnen dem Thema Schrift zuerst über die pure Nachahmung der Verhaltensweisen schreibender Erwachsenen
Bei Kindern in Krippe und Kita ist aber eine oft erstaunliche Sensibilität für Kulturtechniken zu beobachten. In diesem Alter sind Kinder fähig symbolisch zu denken, d.h. sie interessieren sich für Zeichen und ihre Bedeutung so wie sie sich für Worte und ihre Bedeutung interessieren. Ein spielerischer Umgang mit alltäglich und überall vorkommenden Zeichen, Buchstaben, Wörtern und Texten unserer Kultur fördert, dass Kinder die Funktionen und Formen in denen Schreiben und Lesen auftreten sich handelnd aneignen und sich erschließen.
Die kommunikative Funktion, die geschriebene Sprache im Alltag hat, haben Kinder erkannt, wenn sie beginnen kleine Botschaften zu schreiben und an Freunde weiterzugeben. Briefe erleben Kinder als Inbegriff der schriftlichen Kommunikationsmöglichkeiten. Und das Briefeschreiben wird bei den meisten Kinder zum Schreibanlass.
Eine gut sortierte Auswahl, Schreibpapier, Briefkuverts, Postkarten, Grußkarten, gesammelte handschriftliche Briefe in der Schreibecke motivieren Kinder zum Schreiben.
Ob sie Post spielen oder einen “echten Brief schreiben”, eine Flaschenpost oder eine Luftbrief für die Luftballon-Post kreieren, stets machen Kinder wichtige Erfahrungen auf ihrem Weg zur Schrift.
Verfügt jedes Kind über einen Briefkasten oder ein Postfach, fördert dies die Schreib- und Briefkultur in der Einrichtung. Solche Schriftdepots sind für die Kinder ein Impuls, geschriebene und gemalte Botschaften, Notizen und Briefe an Freunde zu schicken, sich spielerisch mit Schrift und Zeichen zu befassen.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Erste Schreibversuche mit dem Montessori-Tablett
Mit einem Montessori-Tablett können schon Kleinkinder erste Briefe schreiben und gestalten. Dabei erleben sie frühe Erfahrungen im Umgang mit Namen, eventuell auch schon mit Adressen und Briefumschlägen, und lernen so das Konzept der schriftlichen Kommunikation auf authentische, praktische und sinnvolle Art kennen.
Das Tablett: Kärtchen, die mit den Namen der Kinder versehen sind, Briefumschläge mit dafür zugeschnittenem Briefpapier, dazu einige Aufkleber, Stempel und Stifte.
▪ Briefumschläge selber falten
Briefkuverts sind für Kinder das Symbol, wenn es ums Beschriften geht. Wissen sie, wie sie ganz einfach aus einem Blatt Papier einen Briefumschlag falten können, ermöglicht dies ihnen immer wieder, selbstbestimmt Schrift und Zeichen zu nutzen.
Drei verschiedene und einfache Varianten, einen Umschlag selbst zu basteln finden Sie beispielsweise unter:
https://www.farbkekse.de/papier-und-pappe/papier/briefumschlag-falten/
▪ Einen eigenen Briefkasten kreieren
Eine Bastelanleitung für einen Briefkasten mit Original Posthorn und Vordruck für Entleerungszeiten finden Sie unter:
https://www.deutschepost.de/content/dam/dpag/images/P_p/postschule/Inspiration/dp-post-und-schule-bastelanleitung-briefkasten.pdf
▪ Erfahrungen mit Schrift, Post und Schreibkultur
- In der Kita wird eine eigene „Poststation“ der Kinder mit unterschiedlichsten Schreib-, Stempel- und Postutensilien eingerichtet.
- Beim Schreiben werden die Bedeutung von Adressen, Namen, Schrift, Unterschrift etc. geklärt.
- Am Postschalter werden Briefmarken gekauft. Jedes Kind kann einen Brief malen oder zeichnen, an eine ausgewählte Person adressieren, selber zu einem Briefkasten bringen und einwerfen.
▪ Rätsel
Es kommt von mir.
Es geht zu dir.
Es ist kein Mensch.
Es ist kein Tier.
Es ist nur dies:
Ein Stück Papier.
Ein Stück Papier,
jedoch es spricht.
Es bringt von mir
Dir den Bericht.
Ich hab dich lieb.
Vergiss mich nicht.
(Der Brief)Josef Guggenmos▪ Buchstaben mit…
Wenn Kinder sich bereits mit der Schrift auseinandersetzen, üben sie durch die folgende Anregung sich die Buchstabenformen einzuprägen.
Buchstaben unterscheiden sich in ihrer formalen Gestaltung. Bestimmte Merkmale lassen sich aber immer wieder finden wie beispielsweise:
Buchstaben mit Strichen: T E F
Buchstaben mit Punkten: i j
Buchstaben mit Tunnel: n m h
Buchstaben mit Bauch: d q b p
Auf einen Karton werden vier große Kreise gemalt. Unter jeden Kreis schreibt man das Gestaltungsmerkmal, nach dem die Buchstaben sortiert werden. Im Kreis stehen die Buchstaben geschrieben.
Die Kinder ordnen Buchstaben, aus einem Bestand in Groß- und Kleinschreibung, den entsprechenden Kreisen zu. Durch die intensive Betrachtung der Formen prägen sich die Schriftbilder der Buchstaben ein.
▪ Briefgeschichten ausdenken
Wirft man einen Brief in den gelben Postbriefkasten, kann man sicher sein, dass er nicht alleine drin liegt. Diese Tatsache kann Ausgangspunkt sein, mit den älteren Kita-Kindern eigene Briefgeschichten zu schreiben: Fanpost, Post an den ausgezogenen Papa, an die Oma, den Opa, die Tante. Oder Bewerbungspost an die Gärtnerei, die Schule oder den Ponyhof. Geschichten vermitteln Kindern eine Funktion des Schreibens und machen gleichzeitig Lust auf Briefkultur.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Cornelia Boese/Kristine OrtmeierAb geht die Post. Mach mit und wirf den Brief ein!Hamburg: Oetinger 2023, 16 Seiten | 13,00 € | 2 – 6 Jahre
Medientipp September 2023
Tanze, tanze, kleine Maus - Gedichte für Kinder und Mäuse
Tanze, tanze, kleine Maus,
wackeln soll das ganze Haus!
Pass nur auf, dass dich die Katze
nicht erwischt mit ihrer Tatze.
Nun ist das Tanzen nicht das Einzige, was eine Maus beglückt, auch ein Mäuseleben hat einen vielfältigen Alltag, mal fröhlich, mal aufregend, oder auch existentiell, wenn Katzen und Winterwetter zu nahe kommen. Was Mäuse so alles umtreibt, das erleben wir dank dieses Bilderbuchs mit viel Rhythmus und taktvollem Versmaß.
Lyrisch erzählt wird nicht nur über Käse und Katzen, sondern auch über Ängste oder den Mut der Mäuse im eiskalten Winter: „So eisig ist der Winterhauch /er nagt an meinen Ohren/da steigt er auf, der warme Rauch/sonst wär ich noch erfroren/Ich fürchte weder Sturm noch Schnee/ noch andre Abenteuer/mich wärmt ein Lied, mich wärmt der Tee/mich wärmt das Lagerfeuer.“ Dieser Reim und Rhythmus sind der Grund, warum junge Kinder eine sehr positive Einstellung zur Lyrik haben, motivierte Dialoge zum Inhalt führen und offen sind für formale und sprachliche Besonderheiten. Diese grundsätzliche Freude fordert auf und bestärkt, gemeinsam mit Kindern immer wieder Lyrisches zu leben und zu erleben - auch deswegen kann es nie genug Gedichte über Mäuse geben.
Alenka Sottler illustriert das Bilderbuch mit der Maltechnik des Fingerabdrucks. Das passt grandios zum huschigen und trippelnden Charakter der Mäuse. Zudem regt diese einfache, mit Farbe und Finger umsetzbare Gestaltungstechnik nahezu jeden an, eigene Mäuse zu gestalten.
„Tanze, tanze kleine Maus“ ist nicht nur ein Buch zum Lesen-und Begucken, sondern vor allem auch ein sehr geeignetes Vorlesebuch, das die klangvolle Sprache herauslockt.
Und auch im heutigen Alltag brauchen Kinder Gedichte, weil sie gebundene Sprache, Rhythmus und Reim lieben und nie genug davon bekommen können. Zur komplexen Wirklichkeit des Spracherwerbs gehören auch Sprachlust und Kreativität. Die Lyrik und die Fingerdruck-Szenen aus dem Mäuseleben vermitteln passenderweise beides.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Gedichte als Klangraum für Gefühle und lustvolle Erlebnisse mit Sprache und Sprechen
Gerade in unserer flüchtigen und schnelllebigen Welt ist es für Kinder ein Erlebnis, die exakte und verdichtete Sprache von Kindergedichten zu erfahren. Sie durchbrechen das routinierte Wahrnehmen und erzeugen Vorstellungen dessen, was sie in den Blick rücken. Das Spektrum der Kinderlyrik ist breit, in ihren Themen begegnet das Kind der Welt.Ihren vielfältigen Gebrauch fordert Kinderlyrik geradezu heraus. Da wird mehr als die Welt beschrieben. Es wird unterhalten, erklärt und belehrt, gesungen, schnellgesprochen, ausgezählt, bewegt, geraten und getanzt. All das zaubert die Sprache hervor. Mit ihren wesentlichen Elementen, Klang und Rhythmus, darf experimentiert werden, darf schöpferisch gearbeitet und auch originell umgegangen werden.Etwa ab dem dritten Lebensjahr, wenn Kinder zunehmend nach Unabhängigkeit streben, zeigt sich bei ihnen eine sprachliche Phase, in der sie Sprache mit Kreativität bündeln. Nicht nur, dass sie selbst Endreime erfinden, sie reimen jetzt gerne spielerisch zersetzender. Aus anfänglich gerne verwendeten Silbendoppelungen im Stabreimmuster wird Despektierliches. Früher hieß es „ham-ham“, mit Fünf wird aus dem Griesbrei, der Schießbrei, Fiesbrei, Miesbrei. Eltern und auch Sie als pädagogische Fachkräfte könnten sicherlich seitenweise Bücher über diesen kreativen Umgang der Kinder mit der Sprache schreiben.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
Kinder leben in der Mündlichkeit, und so versteht es sich von selbst, dass Gedichte gesprochen, gelesen, gespielt und rezitiert werden. Und weil Kinder Wiederholungen lieben und Reim und Rhythmus Speichermedien für Sprache sind, machen sie sich Gedichte zu eigen, indem sie die Texte memorieren und auswendig sprechen. So kann man ein Gedicht ein Leben lang besitzen, was sich von wenigen materiellen Dingen sagen lässt, und kann sich auch ein Leben lang an diesem verinnerlichten Schatz erfreuen.
▪ Gedichte selberschreiben
Im Vers „Der Schreiber“ lernen wir die lyrische Maus kennen, die all das aufschreibt, was wir im Bilderbuch über den Mäusealltag erfahren.
Der Schreiber
Schreibe, Pfötchen, auf Papiere
Mäusereime klein und fein,
fang die Welt der Nagetiere
in ein Netz aus Worten ein.
- Kleine Vierzeiler- Gedichte lassen sich mit den Kindern selber dichten.
Mit einer ritualisierten Anfangsformel wie z. B. “Es war einmal...” und zwei nacheinander folgenden Endreimen unterstützt ein einfacher „Bauplan“ die lyrische Eigenproduktion:
Es war einmal ein Hase
mit einer roten Nase.
Der spielte gern Posaune
und war stets guter Laune.
- Schreiben Sie die Gedichte in ein Heft, und
- die Kinder illustrieren ihre Texte mit ihren Fingerabdrücken.
▪ Die Mäusegedichte als Taschenlyrik verschenken
Die Mäusegedichte können nicht nur vorgelesen oder gesprochen, sondern auch in Schriftform verschenkt werden. Verschriftlicht und in einer kleinen, gestalteten Streichholzschachtel verpackt, sind sie als „Taschenlyrik“ ein wunderbar originelles literarisches Geschenk:
- Eine Streichholzschachtel wird mit einem Stück Papier beklebt, das zuvor mit Mäusen in der Fingerdrucktechnik gestaltet wurde.
- Jedes Kind sucht sich sein Lieblingsgedicht aus.
- In der Breite der Streichholzschachtel wird ein Papierstreifen zugeschnitten.
- Eine schreibkundige Person - oder die Kinder selbst - schreibt das Gedicht auf den Streifen, der als Leporello gefaltet in die Schachtel passt.
▪ Gedichte immer wieder hören und in Besitz nehmen
Werden Kindern Gedichte vorgelesen oder vorgetragen, erleben sie einen sinnerfassten Text, der mithilfe von Betonungen, Sprachmelodien und Satzschlusskadenzen vorgetragen wird. Die meisten Gedichte sind Hörliteratur und nicht Leseliteratur. Die ausgeprägt lautliche Seite der Lyrik macht sie deshalb so geeignet für Hörmedien.
Nutzen Sie Ihre stimmlichen Kompetenzen und die einfache digitale Aufnahmetechnik von Smartphone oder Handy-Recorder und nehmen Sie die Gedichte von „Tanze, tanze, kleine Maus“ auf. Diese abspielbaren Daten ermöglichen Kindern, die Gedichte wiederholt anzuhören. Beim Zuhören üben Kinder, sich auf die sprachliche Information zu konzentrieren und diese akustisch zu verfolgen. Durch das mehrfache Hören haben sie die Chance, die Gedichte in Besitz zu nehmen und schließlich ihre Texte auswendig sprechen zu können.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Anja Stefan/Alenka SottlerTanze, tanze, kleine MausFrankfurt: Moritz 2023, 40 Seiten | 18,00€ | ab 4
Medientipp August 2023
Finde den Piratenschatz! - Eine abenteuerliche Geschichte, in der Kinder mitbestimmen, wo es langgeht …
Anne und Henry, zwei Piratenkinder, spielen am Strand und entdecken zwischen den Felsen eine Flaschenpost. Henry zieht einen Brief heraus, auf dem geschrieben steht: „Wenn du diese Nachricht liest, komm schnell auf die Papageieninsel, dort erwartet dich ein Schatz! Unterzeichnet: Z., der Schrecken.“
Anne freut sich riesig auf Schatz und Abenteuer, Henry macht sich Gedanken wer wohl hinter „Z., der Schrecken“ steckt.
Jedenfalls sind sie sich einig, dass sie sich auf den Weg machen. Aber so einfach ist die Papageieninsel nicht zu finden. Und nun kommen die Leserinnen und Leser ins Spiel und unterstützen die beiden Protagonisten. Auf jeder Doppelseite entscheiden sie neu, wie die story weitergehen soll. Dafür stehen jeweils zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Zunächst können sie entweder den Wärter des Leuchtturms fragen oder sich von einer Frau am Hafen den Weg erklären lassen. Die Möglichkeiten, sich zu entscheiden, sind jeweils durch Symbole gekennzeichnet. Wer zum Hafen gehen will schlägt, mit Hilfe des Registers, die Seite mit dem Leuchtturm auf. Wer lieber den Wärter fragen möchte, wählt die Seite mit dem Anker. Die Symbole finden sich in einem Register am Buchrand wieder.Anne freut sich riesig auf Schatz und Abenteuer, Henry macht sich Gedanken wer wohl hinter „Z., der Schrecken“ steckt.
So entwickelt sich die Geschichte fort, bis man, im besten Falle, bei Z. auf der Insel landet.
Aber aufgepasst: nicht alle Wege führen zur Papageieninsel. Manchmal gilt es zum Anfang zurückzugehen und erneut zu versuchen, den erfolgreichen Weg zu finden.
Unterwegs in der maritimen Umgebung wimmelt es von Fischen und Wellen, Möwen und Krebsen, man trifft aber auch eine Muräne oder einen Wal, kann auf einer vermüllten Insel oder in den Fängen einer Krake landen.
Und letztendlich ist es überraschend, wer hinter Z. steckt und was es mit dem Piratenschatz auf sich hat…
Die Illustration spiegelt die bewegte Struktur und Verortung der Geschichte überzeugend wider. Die Szenen, die meist am Meer spielen, leben von reichlich vielen Blau- und Grünnuancen, zeigen Lichtreflexe oder Wasseroberflächen, die sich kräuseln und durch Wellen und Spritzer in vielfältigen Formen bestechen. Menschen, Tiere und die Natur zeigen sich in steter Bewegung. So besticht das Bilderbuch einerseits durch Dynamik, kecke Figuren und hintergründigem Witz, und andererseits mit seiner erzählerischen Form, durch die Kinder nicht nur miteinbezogen werden, sondern immer wieder neu entscheiden und dadurch den Verlauf der Geschichte mitbestimmen.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Pirat:innen garantieren Abenteuer
Ein Pirat ist ein zur See fahrender Räuber. Der Ausdruck kommt vom griechischen Wort für „etwas wagen, etwas unternehmen“. Piraten überfallen Schiffe auf dem Meer und rauben Seeleute aus. In Geschichten und Filmen sind Piratenfiguren, die für Abenteuer und Action stehen. Im Rahmen der Kinderliteratur gerieren sich oft wild und gefährlich, sind im Grunde aber meist liebenswürdig. Augenklappe, Holzbein und Piratenkopftuch, Papagei und Schatzkiste sind typische Dinge, die als Interieur in Piratengeschichten für Kinder anzutreffen sind.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Die interaktive Struktur von „Finde den Piratenschatz“ ermöglicht Dialog und Gedankenaustausch
Beim Betrachten und Vorlesen von üblichen Bilderbüchern erfahren und lernen Kinder von früh auf den klassischen Aufbau und die Struktur von Geschichten: Die Einleitung führt in der Regel Ort, Zeit und Figuren ein, das Handlungsfeld der Geschichte wird umrissen. Kennzeichen einer Geschichte ist aber das Fortschreiten der Handlung: Die Handlungsträger der Geschichte erleben immer wieder herausfordernde Situationen, die es zu bewältigen gilt. Auf diese Weise entsteht Spannung. Der Schluss liefert die Auflösung der zugespitzten Ereignisse und somit das emotional entlastende Ende.
„Finde den Piratenschatz!“ zeigt eine andere Geschichtenstruktur. Das Bilderbuch ermöglicht Kindern zu überlegen und zu entscheiden, wie die Geschichte weitergehen soll. Je nachdem wie sie entscheiden, wird bei einem anderen Abschnitt fortgefahren, der dann erneut eine Wahlmöglichkeit eröffnet. Dies setzt sich so lange fort, bis der Schluss oder die Auflösung erreicht ist.
Diese interaktive Struktur ermöglicht Kindern eine neue literarische Erfahrung und bietet viel Potential zum Dialog und regt Diskussionen über die möglichen Handlungsverläufe an.
▪ „Die Flasche schwamm und schwamm und schwamm … Nun ratet mal, wohin sie kam?“
Eine Flaschenpost bringt die Geschichte dieses Bilderbuchs in Gang. Durch ihr Fundstück machen sich Anne und Henry auf die Suche nach dem Piratenschatz.
Für Kinder ist eine Flaschenpost oft ein interessantes Symbol, das Schriftlichkeit symbolisiert und ihr Interesse an Schrift und Zeichen weckt.
Animieren Sie die Kinder, ihre eigene Flaschenpost zu schreiben oder zu malen. Da diese in den meisten Fällen wohl nicht ins Wasser geworfen werden kann, kann sie ausgestellt oder mit nach Hause genommen werden.
Sachinfo: Früher war die Seefahrt nicht nur wegen der Piraten ein gefährliches Unternehmen. Es gab keine Radiowarnungen vor Stürmen und Orkanen, keine Funkgeräte für Hilferufe und keinen Motorantrieb für die Segelschiffe. Aber Not macht erfinderisch. Um wenigstens den Angehörigen und den Schiffseigentümern Nachricht über Ort, Zeit und nähere Umstände einer Katastrophe zukommen zu lassen, vertrauten die Kapitäne ihren Bericht der Flaschenpost an. Eine gut verschlossene Flasche geht nicht so leicht unter wie früher ein Schiff. Wurde die Flasche gefunden, so gelangte die Flaschenpost - manchmal nach vielen Jahren - an ihren Bestimmungsort.
Die berühmteste Flaschenpost schrieb Christoph Kolumbus als er bei der Rückreise aus Amerika im Februar 1493 mit seiner Karavelle in einen Orkan geriet. Er fürchtete, dass das Schiff mit seiner ganzen Besatzung untergehen werde - und mit ihm die Nachricht von seiner Entdeckung des westlichen Seewegs nach Indien. Die Flaschenpost wurde im Gegensatz zu einigen anderen nie gefunden.
▪ Erfahrung mit Symbolen erleichtern das Schreiben und Lesen lernen
Bevor Kinder Buchstaben und Worte als immer wiederkehrende Bestandteile von Schrift entdecken, werden sie auf markante Bildzeichen in ihrer Umgebung aufmerksam.
Oft schon mit drei oder vier Jahren beginnen Kinder Verkehrszeichen zu “lesen” oder prägen sich Symbole aus dem Alltag ein, wie das der Post, aber auch solche, die Marken repräsentieren wie den Stern von Mercedes-Benz oder die ineinandergreifenden Ringe von Audi. Sie erkennen Schriftzüge von Markenprodukten wie Coca Cola, oder der Bank an der die Eltern ihr Geld aus dem Automat beziehen. Solche prägnanten Wortbilder prägen sich auch deshalb ein, weil Kinder den sozialen Bedeutungskontext erfahren und dadurch den semantischen Zusammenhang begreifen.
- Dieses wahrnehmende Interpretieren von Zeichen und Schemata ist eine Art des Lesens bei der Bildzeichen optisch erfasst und mit Sinn belegt werden.
- Ein grundlegendes Symbolverständnis und eine möglichst breite Erfahrung mit Symbolen und Bildern vor der Schulzeit sind für Kinder eine Unterstützung um erfolgreich Lesen und Schreiben zu lernen.
- Verwenden Sie das Symbolregister von „Finde den Piratenschatz!“, um Kinder in der Entwicklung ihres Symbolverständnis zu unterstützen.
- Kopieren Sie das Register vergrößert und schneiden die 17 Symbolkärtchen aus.
- Lassen sie die Kinder ihren gewählten Handlungsablauf dokumentieren. Dazu legen die Kinder die Symbolkärtchen in der Abfolge ihrer Auswahl in einer Reihe auf den Tisch.
- Je öfter Sie die Geschichte gemeinsam lesen, desto mehr werden die Kinder wissen, welches Symbol für welche Handlung in der Geschichte steht: der Pelikan für die Flugreise von Anne und Henry, die Welle für das Kentern des Boots usw.
- Mit Hilfe der Symbolkärtchen können die Kinder ihre Geschichten auch selbst erzählen.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Sylvie Misslin/Amandine PiuFinde den Piratenschatz! Ein Spielebuch.Berlin: Betz 2023, 40 Seiten | 18,00€ | ab 5
Medientipp Juli 2023
Ludwig und das Nashorn - Ein knallbunter Bilderbuchspaß zum Nachdenken und Philosophieren
Ein Nashorn tobt durchs Buch - auf jeder Seite ist es zu finden, aber trotzdem bleibt es unsichtbar. Ludwigs Vater kann es einfach nicht sehen. Er lacht als Ludwig behauptet, er hätte eben mit dem Tier gesprochen, das bei ihm im Zimmer lebt und allgegenwärtig ist.
Papa schaut im Schrank und unter dem Bett nach, er krabbelt suchend unter den Schreibtisch und erklärt Ludwig: „In diesem Zimmer gibt es weder kleine noch große Nashörner. Ich habe überall nachgesehen.“
Bemerkenswert, denn große wie kleine Lesende werden das Nashorn unschwer auf vielen Seiten entdecken. Selbst wenn man manchmal etwas genauer hinzuschauen hat, da es sich eben liebend gerne versteckt oder mal riesengroß oder ziemlich klein daherkommt. Kinder fühlen sich gut, so dass ihnen mühelos das gelingt, was Ludwigs Vater nicht schafft, da er eben immer an einem falschen Ort sucht.
Dabei hockt der Papa beim Nachgrübeln sogar versehentlich auf dem blauen Nashornpo wie auf einem Sitzsack oder hängt dem Nashorn sein Fernglas ans Horn.
Dass Ludwigs Papa etwas verpeilt ist und dem Nashorn nicht auf die Spur kommt, beweist noch lange nicht, dass das nicht da ist. Denn obwohl der Mond nicht immer am Himmel steht, weiß zweifellos jeder Mensch, dass er existiert.
Lässt es sich überhaupt beweisen, dass etwas nicht da ist? Existiert etwas nur, wenn man es sieht? Das sind die zentralen Denkfragen, die sich aus den Dialogen von Vater und Sohn herausschälen. Ob das blaue Tier lediglich in Ludwigs Phantasie existiert, bleibt dabei offen, was die Verbindung zum philosophischen Nachsinnen und dialogischen Diskurs eröffnet.
Noemi Schneider meint: „Neben Kunst und Kultur versinnbildlicht das Nashorn für mich das Denken und Nachdenken. Eine wunderbare Fähigkeit, die wir Menschen haben, die es uns ermöglicht, diese Welt zu verstehen und zu hinterfragen und Erkenntnisse zu gewinnen, die es uns erlaubt, uns zu irren und zu erkennen, dass wir uns geirrt haben, was mindestens genauso wichtig ist.“ https://nord-sued.com/2023/02/14/ein-nashorn-kommt-selten-allein/
In ihrer Geschichte ging sie von einer Anekdote aus, die mit dem österreichischen Philosophen Ludwig-Wittgenstein verbunden ist. Dieser brachte in seinem Studium seinen Professor zum Verzweifeln, weil er in einer Auseinandersetzung genau wie Ludwig behauptete, dass es nicht zu beweisen ist, dass kein Nashorn im Raum sei. Wie dem auch sei, wichtig für eine Gutenachtgeschichte ist, dass sie unbedingt gut zu enden hat. Und deshalb gibt auch Ludwigs Vater seinem Sohn beim Zubettgehen einen Kuss. Dass auch Ludwig seinem Nashorn eine gute Nacht wünscht, dürfte wohl kaum jemanden überraschen.
„Ludwig und das Nashorn“ wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten Bücher 2023 ausgezeichnet. Der Perspektivwechsel in den Bildern ist genial. Wir begegnen dem Nashorn auf Augenhöhe, sehen sein riesiges Horn unterm Bett oder als letzte Figur in einer Pyramide aus Ludwig, Papa und Tier. Diese perspektivische Vielfalt verstärkt ungemein die Spannung zwischen der Suche und den Beweisversuchen, dass etwas da ist, auch wenn man es nicht sieht. Das Buch fällt auch sofort in Auge durch seine knalligen Farben. Über ihre Gestaltung äußern sich Doris Freigofas und Daniel Dolz, die zusammen das Künstlerduo Golden Cosmos sind:
„Am meisten haben es uns Neontöne angetan, die sind besonders aktiv und mischen sich besonders gut, wenn sie übereinander gedruckt werden. Gerade für diese Geschichte war es uns wichtig, dass die Illustrationen atmosphärisch sind. Deshalb war uns klar, dass die Bilder ein starkes Spiel von Licht und Schatten brauchen. Licht und Schatten definieren Objekte und Raum, sie verorten die Dinge und geben einen Rhythmus im Bild vor. Das Nashorn im Halbdunkel, im Schatten steht für etwas nicht Greifbares, Imaginäres und Ludwig, in seiner sprudelnden kindlichen Energie, steht für das Licht, für die Klarheit. Beides zusammen erzeugt eine Spannung.“ https://nord-sued.com/2023/02/10/von-siebdrucken-und-sonderfarben/
Rundum ist „Ludwig und das Nashorn“ ein Bilderbuchvergnügen der besonderen Art, das Entdeckerfreude, Nachdenken und beste literarische Unterhaltung garantiert.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Kinder fragen – Kinder philosophieren
Wer philosophiert, fragt nach dem Grund der Dinge und stellt scheinbar Selbstverständliches in Frage.
- Da Kinder noch keine Vorstellung des Begriffs „Philosophie“ haben, stellen sie sich diese auch nicht als schwierige intellektuelle Gedankenübung vor.
- Kinder sind sozusagen natürlich nahe an der Philosophie, da sie in ihrer leidenschaftlichen Neugier intensive Lust an Fragen haben. Sie stellen die Welt in Frage, suchen nach Erklärungen und Sinn. Dazu brauchen Kinder Antwortgeber_innen und Partner_innen, die sie als nachdenkende Wesen wahrnehmen und akzeptieren.
- Die Frage ist eine der wichtigsten sprachlichen Formen, um einen Erkenntnisprozess in Gang zu setzen.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Gemeinsam mit Kindern philosophieren heißt Gedanken und Gespräche anregen
Oft sind spontane und unberechenbare Fragen der Kinder der Ausgangspunkt für philosophische Gespräche. Sie wollen wissen, warum die Sonne scheint, der Himmel blau ist oder wer die Wörter erfunden hat. Das fordert Erwachsene heraus und im Umgang mit dieser Fragelust kann uns die eigene Auseinandersetzung mit philosophischen Themen größere Sicherheit geben.
Auch mit gezielt initiierten Gesprächskreisen können wir Kindern ermöglichen sich mit ethischen, erkenntnistheoretischen, logischen oder sprachphilosophischen Themen auseinanderzusetzen. In Kleingruppen werden Gespräche initiiert, die durch konkrete Medien wie beispielsweise das Bilderbuch „Ludwig und das Nashorn“ angeregt werden.
Die Bilder in der Geschichte können Anlass sein, über Fiktion und Realität zu philosophieren. Das Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ setzt beispielsweise an konkreten Erfahrungen der Kinder an und eignet sich, um sich den Kernfragen des Buches anzunähern.
Philosophische Gespräche setzen die Anerkennung der Vernunftfähigkeit des Kindes voraus. Erwachsener und Kind partizipieren an einer gemeinsamen Frage, deren Offenheit sie gleichberechtigt gegenüberstehen.
Wie sich gemeinsam Gedankenfäden spinnen lassen, zeigt das didaktisierte setting eines Gesprächstischs. Diese Anregung für die Praxis finden Sie unter: https://www.biss-sprachbildung.de/wp-content/uploads/2019/09/biss-broschuere-gespraechstisch-kita.pdf
▪ Die Nashornnase, die zeigt dass es das Nashorn gibt…
Damit jeder beweisen kann, dass er ein Nashorn gesehen hat, gibt es unter
https://nord-sued.com/wp-content/uploads/2023/02/NSV_Golden_Cosmos_Nashorn_Bastelvorlage_Folder_Download_221123.pdf
eine Nashornnase zum Ausdrucken, Basteln und Aufsetzen. Wer ein Foto einschickt, kann
nashornstarke Preise gewinnen.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Golden Cosmos/Noemi SchneiderLudwig und das Nashorn.Zürich: Nord-Süd 2023, 40 Seiten | 18,00€ | ab 5
Medientipp Juni 2023
Filipp Frosch und das Geheimnis des Wassers - Ein musikalisches Hörspiel über Abenteuer und den Kreislauf des Wassers
Filipp lebt zufrieden am Teich. Als Frosch ist er natürlicherweise eng mit dem nassen Element verbunden und eines Tages will er es genau wissen: “Woher kommt eigentlich das Wasser? Seine Frage ist der Beginn einer großen abenteuerlichen Forschungsreise. Sie führt ihn in die Berge, ans Meer und einem Fluss entlang bis er schließlich wieder in seinem eigenen Teich landet. Und dank der tatkräftigen Mithilfe seiner quakendenden, schwimmenden und fliegenden Freunde bringt Filipp einiges über das Geheimnis des Wassers in Erfahrung.
Seine Rundreise verdeutlicht die Zusammenhänge des Wasserkreislaufs und bringt ihn zum Schluss, dass das Wasser von überall herkommt, sozusagen einfach da ist und sich immer bewegt. Nur in seinem kleinen Teich, stellt Filipp fest, kommt das Wasser ein bisschen zur Ruhe. Und genau das gefällt ihm und macht ihn sehr zufrieden mit sich selbst und seinem gemütlich nassen zu Hause.
Einleitend stellen die Musiker sich und ihre Instrumente vor. Wunderbar wie die Maultrommel die Sprunggeräusche imitiert oder die Klarinette eine quakende Ente zu Gehör bringt. Solche Anregungen unterstützen Kinder Klänge und Klangfarben differenziert wahrnehmen zu können um letztendlich selbst aktiv darüber verfügen zu können.
Das Hörspiel besticht nicht nur durch seinen kindgemäß bearbeiteten Inhalt sondern auch durch seine sehr sorgsame und aussagekräftige musikalische Gestaltung, die Kinder die Ausdrucksstärke musikalischer Klangwelten erleben läßt.
Die Wiederholungen des Froschlieds, die eindeutige Zuordnung von Musik und Handlungsort oder Person sind Gestaltungselemente, die der Wahrnehmungsfähigkeit von Kindern entgegenkommen und dafür sorgen, dass bereits Vierjährige interessierte Zuhörer sind.
Text und Noten des Lieds von Filipp Frosch sind im Booklet enthalten und ermöglichen es, auch in Verbindung mit der auf der CD vorhandenen Instrumentalfassung, selbst zu singen.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
Kinder sind intensive und leidenschaftliche Hörer, die ihre Hörerlebnisse in mesit vollen Zügen genießen. Dabei fühlen sie sich oft mittendrin im Gehörten, beteiligen sich stark am emotionalen Geschehen und können so über das Zuhören ihre Gefühle ausleben.
Zuhören erfordert also Wahrnehmung und Hinwendung. Und für ein wirklich gutes Ergebnis muss das psychische System des Zuhörenden eine Menge an Information simultan verarbeiten können. Deswegen ist gut Zuhören auch so schwer.
Kinder vollbringen all diese Leistungen wenn sie ihre Hörmedien nutzen. Es wäre somit falsch, diesen komplexen Vorgang als passive Verhaltensweise zu deuten. Zuhören ist eine aktive Leistung.
Für Kinder haben auditive Medien den Reiz, dass sie sich, begrenzt durch die akustische Wahrnehmung, in eine Hörgeschichte hineinversetzen und sich intensiv am Geschehen beteiligen können.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Sprachliche Anregung und Förderung
Track 4 (3:22 Min.) inszeniert Geräusche aus der Wasserwelt. Philipp hört das Rauschen, des Bächleins, instrumentalisiert mit einer Spieluhr, den Rhythmus der Regentropfen (Schlagzeug), aufsteigende Luftblasen im Wasser (Blubbern) und hüpft mit einem lauten Pflatscher in den Tümpel.
Wassergeräusche können laut oder leise klingen, je nachdem wie das Wasser in Bewegung versetzt wird. Eine mit Wasser gefüllte Wanne und die dazugehörigen Utensilien ermöglichen Kindern mit Wassergeräuschen zu experimentieren. Mit dem Spaß am eigenen Erleben verbindet sich dabei das Erlernen lautmalerischer Worte, die die Geräusche und Bewegungen des Wassers beschreiben:
plätschern, plantschen (mit den Händen oder einem Holzbrettchen das Wasser bewegen)
gluckern (eine Höhle aus Steinen aufschichten und langsam Wasser darüber gießen)
blubbern (mit einem Strohhalm in das Wasser blasen
tröpfelt ( mit Pipetten)
schütten (mit Gefäßen und Kellen Wasser umfüllen)
gießen (mit Gießkannen arbeiten)
fließen (den Wasserhahn aufdrehen)
rinnen ( dem Rinnsal des Regenwassers lauschen)
sprudelt (Wasser mit Kohlensäure versetzen)
rauschen (einem Fluss zuhören)
▪ Szenische Spielgestaltung
Die Geschichte von Filipp Froschs abenteuerlicher Reise läßt sich gut in Szenen aufteilen. Folgende Rollen sind zu vergeben: Filipp Frosch, Erwin Quak der Enterich, Rosi und Rudi Forelle, Roberta Fuchs, Alfred Adler und die Seemöwe.
Je nach Größe der Kindergruppe kann die Anzahl der tanzenden Forellen oder der Möwen variieren. Die sechs Haupthandlungsorte werden im Raum festgelegt und mit Tüchern markiert:
Teich, Bach, Quelle, Berggipfel, Strand, Fluss. Die Kinder überlegen sich wer welche Requisiten braucht. Nach diesen Vorbereitungen wird die Geschichte von einem Erzähler oder der CD (Track 3 - 13 = ca. 30 Minuten) erzählt und von den Kindern szenisch dargestellt.
▪ Naturwissenschaftliche Erkenntnisse
Die Musikalische Geschichte über den Wasserkreislauf lässt sich mit Experimenten verbinden, bei denen die Kinder den gasförmigen und flüssigen Aggregatszustand des Wassers beobachten und nachvollziehen können.
Wie das Wasser aus Seen, Bächen und Flüssen durch die Erwärmung der Sonne sich in Wasserdampf verwandelt zeigen folgende Experimente:
Wenn ein kleines Schälchen Wasser in der Sonne steht verdunstet das Wasser, wenn Wasser erhitzt wird, kocht es und verdampft. Der dabei entstehende gasförmige Wasserdampf besteht aus sehr vielen kleinen Wassertröpfchen, die sehr leicht sind und mit der warmen Luft nach oben steigen.
Hoch oben am Himmel ist die Luft sehr kalt. Wenn die warme aufsteigende Luft die kalte Luftschicht erreicht, kühlt sie ab, sie kondensiert. Dabei wird der Wasserdampf verdichtet und als Tropfen wieder sichtbar. Das kann beobachtet werden wenn eine Kelle, die eine Stunde im Tiefkühlfach lag, über einen Topf kochendes Wasser gehalten wird: der Dampf, der aufsteigt kühlt an der Kelle schnell ab. Das Wasser kondensiert, es bilden sich Wassertropfen, die - wie die Regentropfen aus einer Wolke- nach unten fallen.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Marko SimsaFilipp Frosch und das Geheimnis des Wassers.Hamburg: Jumbo Neue Medien 2023, 34 Minuten | CD ca. 10,00€ | ab 4
Medientipp Mai 2023
Wie man bis eins zählt… Ein unterhaltsames und sprachanregendes Buch für Zahlenfans, in dem es, fast immer, nur um die Eins geht…
In diesem dialogstarken Mitmachbuch ist eines strengstens verboten: weiter zu zählen als bis eins! Natürlich, hier sind zwei Wale zu sehen, aber gezählt wird nur eines: das kleine Würstchen, das einer der riesigen Wale auf seiner Wasserfontäne balanciert.
Auch wenn sich eine Menge Regenwürmer (unter uns: Es sind genau zehn, aber pssst!) auf der Seite kringeln - gezählt wird selbstverständlich, wie immer, nur einer: der Verkleidete mit Schnurrbart, Mütze und Schal.
Seitenweise bietet das originell illustrierte Buch reichlich Entdeckungen, die Spaß machen, interessant sind und mit witzigen und komischen Feinheiten unterhalten. Nur alles, was zu sehen ist, einfach so durchzuzählen, das ist streng verboten. Auch auf der Seite mit den 46 kleinen Bilderrahmen. Und genau das macht den Reiz aus und animiert im Verbund mit den augenfälligen Illustrationen, erst Recht alles, was sich da ins Blickfeld rückt, abzuzählen.
Klar wird bei den witzigen Enten bis sechs gezählt, obwohl es wieder mal nur um eine geht, in dem Fall die, die mit ihren Rollschuhen unterwegs ist. Wem es glückt immer und immer wieder nur bis eins zu zählen, der bekommt einen Preis und darf seine Leidenschaft am Zählen auf den letzten zwei Seiten austoben – wie, das möchte ich jetzt aber doch nicht verraten…
Ein unübliches, raffiniert umgesetztes Zahlenbuch, das das Zählen spielerisch herausfordert und dabei Spaß macht wie kein anderes.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Mathematische Grunderfahrungen
Die Grundlagen mathematischen Denkens werden in den ersten Lebensjahren entwickelt, wenn Kinder ihre ersten Erfahrungen mit Zeit und Raum, aber auch mit mathematischen Operationen wie Messen, Schätzen, Ordnen und Vergleichen machen können. Mathematisches Verständnis und Denken lösen sich vom Gegenständlichen hin zu abstrakten Begriffen wie Zahlen.
Mechanisch gelerntes Zählen können schon junge Kinder. Doch erst in Verbindung zu realen Objekten werden Zahlen lebendig. Ohne diese Verbindung bleiben sie leere Symbole.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Zahlen- und Sortierspiele mit den Abbildungen von „Wie man bis eins zählt“
Kopieren Sie hierfür die ersten zwei Seiten, den Vorsatz von „Wie man bis eins zählt. Und fang erst gar nicht mit größeren Zahlen an“.
Lassen Sie die Jungen und Mädchen die Abbildungen ausschneiden. Von den doppelt vorhandenen wird jeweils ein Doppel beiseitegelegt.
Jetzt stehen Tiere und Dinge für mathematische Spiele zur Verfügung.
▪ Messen und Vergleichen Wie lang wird die Reihe sein, wenn wir 10, 20, 30 etc. der Abbildungen aneinanderreihen?Lassen Sie die Kinder die Länge der Reihe mit einem Meterstab abmessen und die gemessene Zahl notieren.
Da die Abbildungen verschieden groß sind, können sich dabei, je nach Auswahl, auch unterschiedlich lange Reihen ergeben.
Lassen Sie die Kinder mit den abgebildeten Tieren eine Abfolge der realen Tiergrößen legen. Ist der Wal größer als der Elefant? Kommt das Krokodil vor oder nach dem Nashorn? Ist die Ente kleiner als der Fisch?
Wir legen zwei gleichschwere Tiere in die Mitte, schwerere rechts, leichtere links.
Zur Information und Auflösung vieler Fragen helfen entsprechende Sachbücher.
▪ Spiele mit Mengen
fördern die Visualisierung von Zahlenfiguren und schaffen Voraussetzungen für den Umgang mit dem abstrakten Konzept Zahl.
Das einfache Becher-Spiel dient der mentalen Vorstellung kleiner Mengen und verhilft den Kindern zu den ersten Erfahrungen mit dem Zahlbegriff.
Spielablauf: beim Zählen wird bei Eins ein Bild in den Becher geworfen, bei Zwei das zweite. So wird weiter gezählt, bis die Zahl erreicht wird, an der das Kind gerade „arbeitet“. Dann decken Sie den Becher zu und fragen: „Wieviel Bilder sind drin?“ Der Becher wird umgekippt und nachgeschaut, ob es stimmt.
▪ Mathematische Alltagswortschätze
Wenn Alltagssituationen, in denen Zahlen und Mathematik eine Rolle spielen, kommunikativ begleitet und aufgegriffen werden, steckt reichlich Sprache in der Mathematik.
Dabei wird auch der Wortschatz gefestigt und erweitert.
Kinder erwerben so Alltags- und Fachvokabular wie beispielsweise:
- kürzer-länger als, höher-tiefer als, kleiner-größer als, mehr oder weniger,
- viele, wie viele, regelmäßig, unregelmäßig, wie lange, wie weit, wie groß,
- Form, Größe, Gewicht, Gramm, Muster, Zahl, Ziffer, Zeichen, Zahlwörter, Symbol, Menge, Anzahl, Reihenfolge, Wiederholung, Mosaik, Mandala, Menge, Mathematik
- Länge, Breite, Höhe, Entfernung, Kreis, Viereck, Dreieck,
- Taschenrechner, Preis, Preisschild, Spielgeld, Geldschein, Münze, Hausnummer, Telefonnummer, Abzählreim, Würfel, Dominostein,
- Zählen, weiterzählen, abzählen, auszählen, sortieren, ordnen, wiegen, vergleichen, messen, rechnen, würfeln, teilen, aufteilen, schätzen,
▪ „Alles zählt! Mathe im Kita-Alltag“
Wie sich mathematische Grunderfahrungen im Alltag integrieren und sprachlich begleiten lassen zeigt auch das Materialpaket „Alles zählt! Mathe im Kita-Alltag“, welches zur Stärkung der frühen mathematischen Bildung bei Kindern innerhalb der Gesamtkonzeption „Kompetenzen verlässlich voranbringen“ (Kolibri) vom Land Baden-Württemberg realisiert wurde.
Download unter:
▪ https://kindergaerten.kultus-bw.de/,Lde/Foerderung+mathematischer+Kompetenzen
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Caspar Salmon / Matt HuntWie man bis eins zählt. Und fang erst gar nicht mit größeren Zahlen an!München: Kunstmann 2022, 32 Seiten | € 16,00 | ab 3
Medientipp April 2023
Palomino will ein Mädchen…
„Ich will auch eins, jeder hat eins…“, verkündet Palomino, der sich sehnlichst ein kleines Mädchen wünscht. Aber auch bei Familie Pferd gelten strenge Regeln, die Eltern argumentieren, dass man im Haus kein kleines Mädchen halten kann, ein solches Lebewesen immer versorgt sein will und viel zu viel Arbeit macht.
Palominos Freundin Arizona verrät ihm, dass sie ihr Mädchen am Fluss gefunden hat. Palomino schwingt die Hufe und trifft am Ufer auf eine Horde kleiner Mädchen. Er entdeckt eines, das ein wenig abseits sitzt und, es ist genau das Mädchen, von dem er immer geträumt hat. Die Sache hat nur einen Haken. Damit sein Traum in Erfüllung geht, muss er noch zwei Hindernisse überwinden: den Fluss überqueren und seine Eltern umstimmen. Deshalb stürzt sich der kleine mutige Palomino einfach in die Fluten. Prompt aber wird er von der Strömung mitgerissen, treibt ab, vorbei an Felsen und Bäumen, immer weiter weg von zu Hause. Nur gut, dass er auf wundersame Weise dem reißenden Fluss entkommen kann.
So finden die aufgeregt herbeigelaufenen Eltern ihren geliebten Palomino in den Armen seiner Retterin, die niemand anders ist als sein Traummädchen Scarlett.
Natürlich darf sie als Dankeschön für ihre große Rettungstat mit nach Hause und vielleicht wird sie sogar Palominos allerbeste Freundin werden, die mit ihm noch viele Abenteuer erlebt.
Ein Pferdebilderbuch der anderen Art, das mit seiner umgekehrten Welt für ziemlich viel Witz und humorige Unterhaltung sorgt. Die freche Bildgestaltung und die Comicgestaltung mit Sprechblasen überzeugen. Sie sorgen, zusätzlich dafür, dass diese etwas anders erzählte Geschichte über Pferde und Mädchen die Art von Humor liefert, die Kinder heiß lieben und brauchen.
Ein äußerst gelungenes Bilderbuch, das seine Leserinnen und Leser kurzweilig und lustig einlädt, die Perspektive zu wechseln.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Die Perspektive wechseln im Rollenspiel
Für die schöpferische und eigensinnige Aneignung von Welt brauchen Kinder Ideen. Diese sammeln sie im Spiel, erschaffen sie in ihrer Phantasie. Ein anschauliches Beispiel finden wir in Palominos Bilderbuchgeschichte: Ein Pferd möchte ein Mädchen haben – wer sich in die Palomino hineinversetzt, wechselt die Perspektive und befasst sich mit der Erfüllung seines Herzenswunschs. Die Geschichte überschreitet die Grenzen der Realität und erobert neue Welten. Aber nicht nur dazu trägt sie bei. Sie ermutigt Kinder, sowohl Phantasien zu entwickeln als sich auch mit ihrer Gegenwart, beispielsweise den eigenen Wünschen und ihrer Verwirklichung auseinanderzusetzen. Zudem gewinnt Palomino durch seinen Wunsch eine Freundin, mit der er gemeinsam neue Ideen entwickelt und nun zu zweit schöpferisch tätig wird. Über diese neuen tatkräftigen Abenteuer erzählt ein weiterer Band der Reihe.
▪ Comicleselust: Kinder lieben Comics
Comics sind ein eigenständiges Erzählmedium und begeistern Kinder fürs Lesen. Die enge Verknüpfung von Bild und Text macht Comics sowohl für bildlesekundige Kinder als auch für Leseanfänger besonders interessant. Insbesondere wenn Kinder Schrift und Zeichen entdecken, entwickeln sie oft großes Interesse an der comicspezifischen, außergewöhnlichen Textgestaltung in Sprech- und Denkblasen. Sie erleben dadurch Schrift als besonders herausgestellt und genießen diese Besonderheit der Comicerzählung. Innerhalb der Kindermedien haben sich Comics zu einer eigenen literarischen Gattung entwickelt, die eine Vielfalt von Illustrationsstilen und Themen bietet.
Comics unterstützen Kinder nicht nur dabei, Bilder auszulesen und Lesefreude zu entwickeln, sondern auch in der Entwicklung ihrer visuellen Literacykompetenz d.h. in der Fertigkeit, Kommunikation mit visuellen Symbolen (Bildern) zu interpretieren und mit Hilfe visueller Symbole Nachrichten selbst zu gestalten.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Wer ist Scarlett?
Am Fluss spielt eine ganze Horde kleiner Mädchen Fußball. Dort entdeckt Palomino sein Mädchen, das er Scarlett nennt. Gemeinsam stellen wir anhand folgender Fragen Überlegungen und Vermutungen an:
- Woher kommt sie?
- Wo wohnt sie?
- Wer hat ihr das Flechten gelehrt?
- Geht sie in die Kita oder schon in die Schule?
- Warum kann sie so gut schwimmen, dass sie Palomino aus den Fluten retten konnte?
▪ Was erleben Palomino und Scarlett ?Palomino darf Scarlett zu sich nach Hause einladen. Das lädt die Kinder ein, sich selbst weitere Geschichten auszudenken:
- Was erleben die beiden zusammen?
- Was spielen sie?
- Palominos Freund Arizona hat auch ein Mädchen. Sie heißt Roxy.
Welche Abenteuer erleben die Vier gemeinsam?
▪ WunschbilderPalomino hat in seinem Zimmer viele Mädchenbilder aufgehängt, die er selber gezeichnet hat. Wir erweitern seine Bildergalerie und zeichnen für ihn neue Bilder, die ihn und seine Abenteuer mit Scarlett zeigen.
Wir sprechen über unsere eigenen Herzenswünsche und halten sie im Bild fest.
▪ Was sich hinter dem Namen Palomino verbirgt
Der Palomino ist streng genommen keine eigene Pferderasse, sondern lediglich eine Farbbezeichnung. Palomino ist eine genetische Farbe bei Pferden, die aus einem goldenen Fell und einer weißen Mähne und einem weißen Schweif besteht; der Weißgrad kann von hellweiß bis gelb variieren. (Wikipedia)
▪ Buchtrailer
Einen Einblick in die Palominos Geschichte und ihre Gestaltung gibt Ihnen der bei youtube eingestellte Buchtrailer: https://www.youtube.com/watch?v=q2vOF-9N7Gg
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Michaël EscoffierPalominoMünchen: Mixtvision 2023, 32 Seiten | € 16,00 | ab 4
Medientipp März 2023
„Jetzt geht´s los und das kommt mit“ – das etwas andere Fahrzeugbuch
Fahrzeuge sind für viele Kinder ein Symbol für Abenteuer - man ist mobil und kann seinen Radius erweitern. Zudem empfinden auch Kinder Geschwindigkeit als eine Art Kraftzuwachs. Diese Attraktivität spiegelt sich in der Kinderliteratur wieder, die unzählige Fahrzeugbücher bereithält.
Masse ist jedoch nicht immer Klasse und deswegen ist es umso erfreulicher, dass „Jetzt geht´s los und das kommt mit“ sich als Fahrzeugbuch zeigt, das äußerst angenehm aus der Rolle fällt. Es zeigt nicht einfach mal wieder all das, was da so durch die Gegend rollt, sondern interpretiert das Thema neu, denn Gwen Vanderstraeten stellt in ihrem Buch die Bedeutung der Fortbewegungsmittel als Nutzfahrzeuge in den Fokus. Für Kinder ist es wichtig, dass das Polizeiauto Einsätze mit Blaulicht fährt, ein Forstauto geländegängig ist oder das Feuerwehrauto dazu dient, Menschen zu retten.
All das Material und Zeug, was die Polizei, der Förster, oder die Polizei für ihre Arbeit benötigen, wird im jeweiligen Auto verstaut und kommt dann nützlicherweise zum Einsatz. Welch ungeahnte Mengen von Gegenständen sich im Foodtruck, Paket- oder Polizeiauto befinden, zeigen die jeweiligen Doppelseiten.
Die Bildtafeln ergänzt die Autorin Tine Bergen mit knappen, informativen Kommentaren wie beispielsweise: „Ein Rettungswagen hat unterschiedliche Signaltöne, je nachdem ob er auf dem Land oder in der Stadt fährt.“
Beim Betrachten der abgebildeten Dinge lässt sich viel entdecken und fragen. Warum haben die Leute im Wohnmobil eine kleine Schaufel dabei oder wofür bracht der Förster einen Gehörschutz und wozu einen Besen?
Man staunt, wie viel Gepäck das Familienauto geladen hat oder entdeckt, dass die Band und ihre Crew ziemlich viel Knabberzeug in ihren Tourbus geladen haben.
So lässt sich in diesem besonderen Fahrzeug- und Wimmelbuch immer wieder neugierig aufspüren und nachsehen, was in den elf Fortbewegungsmitteln (Forstauto, Feuerwehrauto, Wohnmobil, Tourbus, Paketauto, Rettungsboot, Polizeiauto, Foodtruck, Rettungswagen, Familienauto, Flugzeug) Interessantes versteckt ist. Die Illustrationen von Gwen Vanderstraeten sind detailreich und farbsatt, was dem Buch einen charmanten Retrocharakter verleiht.
Zudem lässt sich mit dem Buch eine Art Kofferpacken spielen, denn bei jedem Gefährt lädt der ritualisierte Satz „Ich fahre mit dem …auto und das kommt mit“ die Kinder ein, sich selbst auszusuchen oder aufzuzählen, was sie jeweils mitnehmen möchten. Eine gelungene Verbindung von Sprache und Bilder in der Wimmelwelt der Nutzfahrzeuge, die für viele Stunden Bilderbuchfreuden und interessante Dialoge sorgt.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Sortieren – das Wissen um Ordnung einzufangen
Ordnen und Sortieren sind Vorläuferfähigkeiten für Mathematik. Kindern wohnt ein natürlicher Drang inne, die Welt um sich herum nach bestimmten Kriterien zu ordnen. Dabei geht es darum,
- Merkmalen zu erkennen
- Merkmale zu benennen
- Dinge nach Merkmalen zu ordnen, z.B. Form, Farbe, Größe
- Dinge mit gleichen Eigenschaften zu Gruppen zu ordnen
- Vergleiche von Eigenschaften anstellen: „Das ist auch rot“ „Das ist kleiner als…“
In „Jetzt geht´s los und das kommt mit“ lassen sich Kriterien bilden und vielfältige Ordnungen schaffen.
▪ Wimmelbilder und Sprache
Wimmelbilder eignen sich hervorragend für die sprachliche Förderung und auch für den Einstieg in Mathematik. Kinder können so spielerisch und erzählend wahrnehmen und benennen lernen, was sie sehen. Dabei regen das Wimmelbild das genaue Hinschauen an, bieten die Möglichkeit zu zählen und zu beschreiben - oft auch was sich von einem zum anderen Bild verändert hat, wie beispielsweise in den Jahreszeiten-Wimmelbüchern von Rotraut Susanne Berner, die ebenfalls im Verlag Gerstenberg erschienen sind.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Erfahrungen, wie sich Dinge anhand spezifischer Eigenschaften ordnen lassenAuf den einzelnen Buchseiten wird gesucht, welche Abbildungen zu Oberbegriffen wie Werkzeug, Bekleidung, Schuhe, Tiere, Kopfbedeckungen oder Nahrungsmittel zu finden sind.
Die Doppelseiten werden kopiert. Die Kinder schneiden all das, was in einem Fahrzeug verstaut ist, grob aus und füllen es in eine Schachtel. Das jeweilige ausgeschnittene Fahrzeug wird auf den Deckel geklebt.
Jetzt steht beliebig viel Gepäck zum Ordnen, Zuordnen, Sortieren, Abzählen zur Verfügung.
Die Kinder können die Dinge beispielsweise nach Farben, Größen und Funktionen sortieren
Ein Kind sucht geheim aus den Schachteln einige Gegenstände aus, die anderen Kinder versuchen diese im Buch zu finden und den jeweiligen Seiten zuzuordnen.
▪ Durch die Bilder ins Sprechen und Erzählen kommen
Jedes Kind sucht sich seine Lieblingsseite im Buch. Es wählt aus dem, was im jeweiligen Fahrzeug verstaut ist, diejenigen Dinge aus, die es am wichtigsten findet und versprachlicht dies mit dem ritualisierten Satz „Ich fahre mit dem Polizeiauto und das kommt mit…“
Zu den abgebildeten Dingen werden Vermutungen hergestellt oder kleine Geschichten entwickelt: „Franz und Gerda fahren mit ihrem Wohnmobil weg. Sie haben einen Rucksack, den sie auf ihren Wanderungen mitnehmen. Heute packen sie zwei Bananen, das Kartenspiel und den Fotoapparat ein. Sie laufen los und als sie am Waldrand ankommen sehen sie ein kleines Reh. Rasch holt Gerda den Fotoapparat aus dem Rucksack und fotografiert das Tier. Da rennt es auch schon in den Wald hinein. Auch Franz und Gerda laufen durch den Wald. An einem Rastplatz machen sie eine Pause und essen ihre Bananen. Bevor sie sich wieder auf den Rückweg machen, spielen sie noch eine Runde Mau Mau.
Werden die ausgedachten Geschichten in einem Heft schriftlich festgehalten, entstehen eigene Texte zum Bilderbuch.
Im Wimmelbild-Dialog Präpositionen wie unter, über, hinter, vor, neben, zwischen, an thematisieren, Zahlwörter gebrauchen, und Dinge abzählen.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Gwen Vanderstraeten (Mellon)/Tine BergJetzt geht´s los und das kommt mitGerstenberg, Hildesheim: Gerstenberg 2023, 32 Seiten | € 16,00 | ab 5
Medientipp Februar 2023
Mamma mia – hier kommt die Pizzakatze Pia…
Pizza – das klingt schon so verlockend, dass fast allen das Wasser im Mund zusammenfließt: „Pizza ist mein Leibgericht, ohne Pizza kann ich nicht“, verrät uns Will Gmehling, der Autor, und beginnt seine klangvolle temporeiche Reimgeschichte mit der Vorstellung eines schön gepunkteten Pizzabäckers:
„Dies ist Teodoro Tatze, er backt Pizza für die Katze. Pizza, die so köstlich ist, dass du es nicht mehr vergisst.“ Teo, der Leopard könnte seine Pizza ja blitzschnell selber vorbeibringen, aber er hat seine Mitarbeiterin aus der kätzischen Verwandtschaft: „Hier fährt Pizzakatze Pia, flink und flitzig Mamma Mia! Pizzakatze liefert aus, bringt uns Pizza bis nach Haus.“ Auf ihrem stylishen gelben Motorroller fährt sie vor, hupt und bringt jedem, der bestellt hat seine Pizza in der Schachtel. Da Pizza so tierisch beliebt ist, hat sie jede Menge Pizzen auszuliefern. Der Elefant im Zirkus braucht gleich mehrere, beherrscht er doch eine Jongliernummer mit Pizzen. Die Tanzmäuse auf dem Seil haben ebenso Pizzalust wie eine hungrige Bootsbesatzung mit scharfen Wolfszähnen. Geliefert wird auf Bäume, in den Stall oder auch an das im Knast einsitzende Krokodil Atze.
Man isst im Salon, auf der Wiese oder im Baumhaus – Pia liefert flink und flitzig, täglich und „…immer Mittwochs für die Kita: Echte Pizza Margarita!“ Tja klar, dass dort eine tierisch diverse Gruppe um den runden Tisch hockt, ihren Tischspruch sicherlich schon abgewickelt hat und es kaum erwarten kann zuzulangen.
Zum wunderbar rhythmischen Takt der Worte gesellen sich die Bilder von Antje Damm. Sie eröffnen unterhaltsam den Raum der Geschichte, setzen die Verse mit viel Witz und Dynamik ins Bild und zeigen eine echt charakterstarke Tierwelt. Die wilde Lola Lazza überzeugt beispielsweise als dynamische Aktionskünstlerin, die ihren Baum samt Baumhaus kopfüber schaukelnd mit Blumen bepinselt. Als Eichhorn bekommt sie von Pia einen Pizzakarton geliefert, den Haselnüsse zieren. Sind da wirklich gesunde Haselnüsse auf der Pizza? Klar, Eichhörnchen brauchen viel superfood fürs Gehirn, wo sie sich doch alle Nussverstecke merken müssen… Der feinen Familie Hund, die wieder mal keinen Vogel (im Käfig) hat, liefert Pia eine Pizzakarton mit Krönchenemblem. Wer unterm Kronleuchter speist und Sekt trinkt, gehört sicher zur gehobenen Tiergesellschaft. So verlocken Zeichen, Symbole und andere bildhafte Anregungen zu Vermutungen, beflügeln Gedanken und geben den Reimen eine unterhaltsame zweite Lesebene.
Zu so viel Rhythmus, Reim und Bildkunst scheut man sich fast, Fachtermini wie phonologische Bewusstheit oder Lautbildung zu packen. Genau das aber steckt hier derart bestens gemacht drin, dass es eine riesige Freude für Kinder und Sprachliebhaber ist, diese wunderbare Pizzakatze samt ihrem kunstvollen Sprachbildungspotential zu erleben.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Der Laut ist die kleinste Einheit der gesprochenen Sprache
Jede Sprache hat ihr eigenes Lautrepertoire. Sprachen unterscheiden sich zusätzlich darin, wie Laute miteinander kombiniert werden. Kinder müssen sich Sprache erhören und abhorchen, um sie lautsprachlich und später schriftlich reproduzieren zu können.
Sie müssen aus dem kontinuierlichen Lautstrom die verschiedenen Laute, aus denen sich Wörter zusammensetzen, heraushören können. Das ist nicht einfach, denn wir hören keine Einzellaute sondern einen Lautstrom bei dem Laute ineinander übergehen und sich gegenseitig beeinflussen. Viel Übung ist erforderlich, um einzelne Laute aus Wörtern herauszuhören und festzustellen mit welchem Laut ein Wort beginnt und mit welchem es endet.
Das Wort „Pizzakatze“ beinhaltet den Zischlaut [z] und die nicht einfache Konsonantenkombination [tz] . Zischlaute gehören zu der Lautgruppe der Frikativlaute, d.h. Laute die durch Reibung mittels Verengung des Artikulationskanals erzeugt wird. In der Kita- Zeit sind die Kinder beschäftigt, schwierige Konsonantenkombinationen und bestimmte Einzellaute (z. B. Frikativlaute, Explosivlaute) zu erarbeiten, um so ihr Lautrepertoire zu vervollständigen.
▪ Wie die „Pizzakatze“ sprachliche Bildung der unterhaltsamen Art bietet
Im gereimten Text der „Pizzakatze“ wimmelt es von [p]-Lauten und der Lautverbindung [tz]: z.B. „Kommt zu Frieda mit der Fratze und zu Glenn mit seiner Glatze, und zu Petra mit der Pratze und zu Mimmi, Miez und Matze. Alle rufen „Pizzakatze!“ Damit regen die Verse der Pizzakatze den Lauterwerb unterhaltsam an.
Insbesondere Kinder im Zweitspracherwerb sind auf gute Sprachvorbilder angewiesen, um sich das für sie teilweise neue Lautrepertoire erhören und erarbeiten zu können. Wenn erwachsene Sprachvorbilder im Alltag deutlich und betont artikulieren, ermöglichen sie damit Kindern, sehr feine Lautunterschiede wahrzunehmen wie beispielsweise g und K, oder f und w.
Auch die prosodische Ebene der Sprachgestaltung lässt sich mit dem Bilderbuch thematisieren. Wenn wir im Sprachalltag mit Kindern prosodische Aspekte in unserem Sprachverhalten zeigen, unterstützen wir Kinder in ihrer Intention, sich einem Gegenüber kommunikativ verständlich zu machen. Als Prosodie werden komplexe Spracheigenschaften oberhalb der Lautebene bezeichnet. Darunter fallen u.a. die Intonation, die Satzmelodie, das Sprechtempo, der Sprechrhythmus und Pausen. Üben Sie das Vorlesen der Reime in diesem Bilderbuch unter besonderer Beachtung dieser Aspekte.
Achten Sie auch sonst beim Vorlesen von Bilderbüchern auf Ihre bewusste prosodische Sprachgestaltung, indem Sie beispielsweise den handelnden Figuren unterschiedliche Stimmen geben.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Wer wohnt wo in „Pizzahausen“ ?Das Vor- und Nachsatzpapier im Buch hat Antje Damm als Stadtplan zur Geschichte gestaltet. Vielleicht heißt der Ort ja Pizzahausen…?
Wenn wir konzentriert schauen und wahrnehmen, können wir alle Figuren der Geschichte einem Gebäude zuordnen und finden heraus wer wo wohnt.
Die Protagonisten im Buch sind:
Teodoro Tatze – der Pizzabäcker
Pizzakatze Pia – die Pizzaausfahrerin
Frieda – der Elefant
Glenn – der Löwe
Mimmi, Miez und Matze – die Mäuse
Hulk und Hilda – die Wölfe
Fritz und Fritza – die Pferde
Anastasia – die Eule
Atze – das Krokodil
Glitz und Glitza – das Hundepaar
Lola Latza – das Eichhorn
Suleika und ihre Oma – die Ziegen
Der schöne Schatzo – das Wildschwein
Clarissa und Ké Katzo – Die Hasen
Die Kitakinder: Pinguin, Giraffe, Bär, Fuchs, Schlange, Vogel, Pferd
Sie alle sind den zehn Orten, die auf dem Vor- und Nachsatz gezeichnet sind zuzuordnen.
▪ Kunst im PizzakartonWie einfach es ist, aus einem Pizzakarton ein kleines 3-D Kunstwerk zu schaffen zeigt die folgende Anleitung.
https://www.geisweider-schule.de/wp-content/uploads/Pizzakarton-in-3-D.pdf
So können Kinder ihr Lieblingsbild aus der Liefertour von Pizzakatze Pia selbst kreieren. Mit den bemalten und gestalteten Schachteln lässt sich eine kleine Pizzakarton-Kunstgalerie gestalten. Für die Einladung zu dieser Ausstellung werden Eintrittskarten hergestellt und vor der Führung durch die Ausstellung wird die story der Pizzakatze im szenischen Spiel präsentiert oder einfach vorgelesen.
▪ Eine angenehm entspannende Pizzamassage
Die Pizzamassage greift einzelne Arbeitsgänge der Herstellung einer Pizza auf und wird auf dem Rücken durchgeführt: „Ich knete jetzt den Teig.“ Dabei wandern beide Hände über den oberen Rücken und führen leichte bis stärkere Knetbewegungen aus, wobei sie zwischendurch den Teig immer wieder etwas glatt streichen. Dann wird der Pizzateig auf dem Rücken ausgerollt, die Tomatensoße verstrichen, belegt und mit Käse versehen, bevor sie gebacken wird. Die einzelnen Massageschritte finden Sie hier beschrieben:
https://www.zuckersuesseaepfel.de/2020/02/eine-pizzamassage-massage-fuer-kinder-entspannung.html
▪ Die musikalische „Pizzakatze“
Karin Obermaier, alias „Musikarin“, inszeniert ihr Lied über eine Pizzakatze, das zum bewegungsfreudigen Mitmachen animiert: https://youtu.be/hriylecFsqI
▪ Wir lieben Pizza! Ein Buch über unser Lieblingsessen
Von Elenia Beretta, erscheinen im Verlag Kleine Gestalten.
Was wäre die Welt ohne Pizza…? Und so beginnt dieses originelle Sachbuch rund um die Pizza mit dem Vers: „Die Welt kennt viele Speisen / man kann sie gar nicht zählen / Doch diese würde siegen, dürften wir nur eine wählen.“ Natürlich gibt es ein Rezept und die Vorstellung von Pizzen aus aller Welt gibt vielfältige Anregungen zur geschmacklichen Gestaltung. Dass eine gute Pizza nicht vom Himmel fällt, veranschaulicht die Vorstellung der Menschen, die alle ihren Teil beisteuern, dass es uns am Ende schmeckt. Fakten und Rekorde finden sich genauso, wie unterschiedliche Arten, eine Pizza zu essen oder die Hintergründe zur Pizza Margherita, die ein neapolitanischer Koch für Königin Margherita von Italien 1889 erfunden hat. Ein liebevoll und originell gestaltetes Buch über ein Essen, das weltweit geschätzt ist und mit dessen Impulsen sich unschwer mit den Kindern ein Pizza-Projekt entwickeln lässt.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Will Gmehling / Antje DammPizzakatzeWuppertal: Peter Hammer 2023, 24 Seiten | € 15,00 | ab 3
Medientipp Januar 2023
„Warte doch mal“ - über die Langsamkeit und die Lust am Trödeln
Die Sonne steht schon tief, der kleine und der große Igel sind auf dem Weg nach Hause. Eigentlich… aber wie das so ist, haben auch kleine Tiere selten das Bedürfnis, schnell im Bett zu sein. Und so beginnt das große Spiel, dies und das zu entdecken, zu betrachten und die Zeit verstreichen zu lassen.
Erst mal möchte der kleine Igel den rotglühenden Sonnenuntergang genießen. Seite an Seite sitzt er mit dem Großen im Gras und sie schauen, wie der Feuerball am Horizont verschwindet. Ein kleines Stück kommen die Zwei voran, dann muss der große Igel wieder warten. Diesmal auf den aufgehenden Mond. Plötzlich hört der kleine Igel die Eulen rufen, er will an ihrem Schlafbaum vorbeischauen und ihnen zuwinken. Und obwohl es immer später wird, gibt es noch die Frösche am Teich oder die magisch leuchtenden Glühwürmchen, die besucht und bestaunt werden wollen. Und ganz selbstverständlich müssen natürlich auch noch alle Sterne gezählt werden, auch wenn der Kleine bereits gähnt und ihm keine Zahl mehr einfällt.
Es sind die kleinen Dinge der Natur, die das Igelchen faszinieren und für die der große Igel dann doch Zeit aufbringt und mittrödelt – äußerst geduldig und so lange, bis das Kind in seinen Armen einschläft. Aber da sind Igels bereits bei ihrem Haus angekommen.
Die kindlichen Bedürfnisse nach Entschleunigung und Hinauszögern des Einschlafens inszeniert Britta Teckentrup stimmig und liebevoll. Dabei veranschaulicht sie realistisch das sehr unterschiedliche Zeitempfinden von Kindern und Erwachsenen. “Warte doch mal“ ist eine wunderbare Geschichte über die Ausübung heilsamer Langsamkeit in unserer schnelllebigen und hektischen Zeit. In einer Zeit, in der Zeit immer kostbarer wird, Kinder aber immer noch das Schneckentempo und die Geduld und Einfühlung der Erwachsenen benötigen, um die Welt entdecken und in ihr aufwachsen zu können.
Zudem gelingt es der Illustratorin immer wieder, die Schönheit der Natur in der ihr eigenen Bildsprache ins Bilderbuch zu holen. Ihre Bilder leben von Schattenrissen und Lichteffekten, ihre intensiven Farbgebungen brillieren in nuancenreichen Schattierungen.
Emotional, sprachlich und ästhetisch bestens versorgt, ist es für Kinder eine große Freude, ihre eigenen Bedürfnisse in diesem Bilderbuch wiederzufinden.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Zeitempfinden ist subjektiv und hat viel mit dem Standpunkt des Betrachters zu tun
Zeit ist kostbar, Zeit muss eingeteilt werden. Diese Situation verfolgt Erwachsene und somit sind Kinder unmittelbar mit dem Diktat der Zeit verbunden. Nur empfinden Kinder Zeit völlig anders als Erwachsene. Ihr Verständnis für ausdifferenzierte Zeiteinteilungen, wie sie Erwachsene gebrauchen, ist noch nicht entwickelt, sie reflektieren wenig oder anders über die Zeit und leben den Tag in oft beneidenswerter Zeitlosigkeit. Auch der kleine Igel ist ein Kind, das sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Er genießt seine Entdeckungen und Verzögerungstaktiken, wenn der große Igel immer wieder mahnt: „Komm wir gehen jetzt schnell nach Hause!“
Unsere beschleunigte Gesellschaft bringt eine Reihe von Konsequenzen mit sich, die für Kinder nicht unproblematisch sind. Eine davon hat mit dem Umstand zu tun, dass Kinder, anstatt zu lernen, wie sie ihr Bewusstsein selbst stimulieren und ihr Verhalten selbst organisieren können, schnell vom Wettlauf ihrer Eltern mit der Zeit aufgerieben werden. Wer aber hetzt oder sich langeweilt, erlebt das Resultat aus dem Missverhältnis von äußeren Zeitabläufen, die wir objektiv messen können, und innerem Zeiterleben. Sobald aber der äußere Ablauf mit dem inneren Zeitenrhythmus einigermaßen übereinstimmt, erleben wir Ruhe oder wohltuende Entspannung – das; was wir mit dem Gefühl der „Behaglichkeit“ umschreiben können.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Reihengeschichten und szenisches Spiel unterstützen Kinder beim Erfassen und Erzählen der Geschichtenstruktur
- Die Geschichte erzählt die Entdeckungen des kleinen Igels auf dem abendlichen Nachhauseweg und sein Bemühen, das abendliche Schlafengehen zu verzögern.
Dieser eng gefasste Zeitausschnitt ist für Kinder überschaubar, die Thematik ist für sie gut nachvollziehbar, da sie selbst mit derartigen Abläufen und Verhaltensformen bestens vertraut sind. Der auf das Wesentliche reduzierte Text bietet ritualisierte Dialoge, eine übersichtliche Reihung von Ereignissen und eignet sich somit auch für Kinder mit Deutsch im Zweitspracherwerb.
Die Aufreihung der Geschehnisse unterstützt Kinder, die Geschichte in ihrer Abfolge nachzuerzählen und szenisch zu spielen: Der kleine und der große Igel gehen nach Hause und treffen dabei auf Sonne, Mond, Feldblumen, Eulen, Wolke, Fische und Frösche, Glühwürmchen und Sterne. Diese Stationen der Geschichte und den kleinen und großen Igel zeichnen die Kinder und suchen sich ihre Rollen aus. Dann braucht es eine erwachsene Erzählerin. Die liest oder erzählt die Geschichte, die zeitgleich von den Kindern gespielt wird.
Das szenische Spielen ermöglicht Kindern Textverständnis und ein Gefühl und Wissen zur Struktur von Geschichten zu entwickeln.
- Die Aufforderungen, die der große Igel nach jeder Episode äußert, sind in variantenreichen Satzstellungen formuliert.
„Jetzt müssen wir aber weitergehen. Es ist schon spät, kleiner Igel.“
„Es ist wirklich schon spät, kleiner Igel. Lass uns weitergehen.“
„So, jetzt aber!“
„Komm wir müssen weiter, kleiner Igel, es wird immer später.“
„Jetzt ist es aber wirklich spät, kleiner Igel. Komm wir beeilen uns.“
„Komm wir gehen jetzt schnell nach Hause!“
„Jetzt müssen wir aber wirklich los.“
„Lass uns weitergehen, kleiner Igel. Wir sind schon fast da.“
Um diese Vielfalt zu erhalten, sollte die Rolle des großen Igels von einem Erwachsenen übernommen werden.
▪ „Der Engel der Langsamkeit“
Gedicht von Jutta Richter für kleine Igel und andere vertrödelte Kinder
Zum Vorlesen, zum Verschenken in einer schönen Schachtel, zum gerahmt an die Wand hängen…
“Aus einem stillen großen See”
© 2003 Carl Hanser Verlag, München-Wien
Der Engel der Langsamkeit
Ein Engel hat immer für dich Zeit,
das ist der Engel der Langsamkeit.
Der Hüter der Hühner, Beschützer der Schnecken,
hilft beim Verstehen und beim Entdecken,
schenkt die Geduld, die Achtsamkeit,
das Wartenkönnen, das Lang und das Breit.
Er streichelt die Katzen, bis sie schnurren,
reiht die Perlen zu Ketten, ohne zu murren.
Und wenn die Leute über dich lachen
und sagen das musst du schneller machen,
dann lächelt der Engel der Langsamkeit
und flüstert leise: lass dir Zeit!
Die Schnellen kommen nicht schneller ans Ziel.
Lass den doch rennen, der Rennen will!
Ein Engel hat immer für dich Zeit,
das ist der Engel der Langsamkeit.
Der Hüter …
Er sitzt in den Ästen von uralten Bäumen,
lehrt uns den Wolken nachzuträumen,
erzählt vom Anbeginn der Zeit
von Sommer, von Winter, von Ewigkeit.
Und sind wir müde und atemlos,
nimmt er unseren Kopf in seinen Schoß.
Er wiegt uns, er redet von Muscheln und Sand,
von Meeren, von Möwen und Land.
Ein Engel hat immer für dich Zeit,
das ist der Engel der Langsamkeit.
Der Hüter …
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Britta TeckentrupWarte doch mal! Der große und der kleine IgelBerlin: Jacoby & Stuart 2022, 32 Seiten | € 14,00 | ab 3
Medientipp Dezember 2022
„Ein Licht im Wald“ - eine magische Geschichte über Angst, Mut und die Kraft des Lichts
Kaninchen ist den ganzen Tag draußen. Es abenteuert, erforscht das Feld und folgt entdeckungsfreudig einer Hummel, die in den Wald fliegt. Dabei gerät es immer tiefer ins Dickicht, wird von der Dunkelheit überrascht und beginnt, vor Verzweiflung zu weinen.
Plötzlich aber entdeckt es, in einer Kuhle mitten im Dunkel des Waldes, ein gleißendhelles, äußerst geheimnisvolles Licht. Federleicht fühlt es sich an, knistert und lässt sich sogar zu einer Kugel formen.
Von so viel Helligkeit und Wärme ermutigt, rappelt sich das Kaninchen auf, und läuft mit der Lichtkugel in den Händen weiter.
Unterwegs trifft es auf Tiere, die nicht ungefährlich für ein Kaninchen sind. Trotz seiner Ängste und Befürchtungen gibt es allen ein Stück seiner Lichtkugel ab. Es teilt mit dem Maulwurf, damit der bei Licht lesen kann. Der Mäusebussard will seiner Freundin heimleuchten und der Fuchs sein dunkelängstiges Kind beruhigen. Als Kaninchen einem Feldhasen begegnet, leuchtet das Licht nur noch schwach. Trotzdem bietet es dem Alten an, mit ihm zu teilen. Der kleine Held, der alle Gefahren mutig gemeistert und seine Ängste überwunden hat, schläft schließlich beruhigt ein. Und wie er morgens aus dem Wald hinausläuft und ein neuer schöner Tag beginnt, erkennt er, dass die Nacht auch schön ist – schön anders.
Eine atmosphärisch sehr intensive Geschichte, die magisch und spannend erzählt, dass man auch in herausfordernden Situationen an sich glauben, mutig sein und seine Ängste überwinden kann.
Raphaël Kolly arbeitet mit Bleistift; das ermöglicht ihm, bestens mit Licht und Schatten zu arbeiten. Seine Bleistiftzeichnungen koloriert er digital. Die magischen Bilder muten wie ein Märchen an, das finster samtene Schwarz der Nacht schafft kontrastreiche Bildwirkungen.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Die Bedeutung von Licht als Symbol und Metapher
Licht ist Voraussetzung für Leben und Wärme, es ist für uns Menschen so selbstverständlich wie die Sonne selbst. Licht fasziniert, prägt die geschichtliche und kulturelle Entwicklung der Menschheit und hat eine hohe Symbolkraft. Diese, so sagt der Literaturwissenschaftler Heiko Wandhoff, hat auch mit seiner Deutung als „Götterfunke“ zu tun: In den meisten Religionen markiert die Unterscheidung von dunkel und hell die Entstehung der Welt.
In allen Kulturen, bei allen Völkern, in allen Religionen begegnen wir dem Licht. Es ist die Quelle des Lebens. Licht bedeutet Orientierung, Wärme und Leben. Der Gegensatz zum Licht ist Dunkelheit. Sie bedeutet Orientierungslosigkeit, Bedrohung, Tod.
Licht steht für Gott und Gottes Wort, Vollkommenheit, Heiligkeit, Weisheit, Rettung und Heil, Klugheit und Verstand.
Im Christentum ist die Lichtsymbolik von grundlegender Bedeutung: Jesus selbst beschreibt sich als "Licht der Welt", das Leben schenkt und seine Jünger auffordert, selbst Licht in der Welt zu sein. Liturgie und Brauchtum des Kirchenjahres durchzieht die Lichtsymbolik: vom Adventskranz, dem wachsenden Licht, zu den vielen Lichtern am Weihnachtsbaum, bis zum feierlichen Licht der Osternacht.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Ein selbstgestaltetes Lichtglas
… schafft eine harmonische Atmosphäre zum Betrachten des Bilderbuchs, das bei vielen Medienstellen auch als Bilderbuchkino (Matthias-Film) auszuleihen ist.
Licht ist nicht gleich Licht, und wenn es um eine atmosphärisch angenehme Beleuchtung geht, gibt es außer Kerzen und gedimmtem Licht noch die Möglichkeit, mit Licht hinter Glas wunderbare Effekte zu schaffen.
Die perfekte Grundlage dafür sind große Einmachgläser, die mit Lichterketten illuminiert werden. Je nach persönlichen Wünschen und Vorstellungen werden sie mit Bildern oder Objekten, die in Bezug zur Geschichte stehen, ausgestattet.
▪ Geschichtendeckel – als visuelles Erzählgerüst unterstützen Kinder beim Erfassen und Erzählen der Geschichtenstruktur
Die Geschichtendeckel unterstützen Kinder dabei, die Geschichte in ihrer Abfolge nachzuerzählen, und dadurch Textverständnis und ein Gefühl für die Struktur einer Geschichte zu entwickeln.
Sie sind ein visuelles Erzählgerüst, die den Verlauf der Geschichte verbildlichen und Kinder beim Versprachlichen der Geschichte unterstützen.
Wie Geschichtendeckel hergestellt werden: Die vorletzte Doppelseite von „Ein Licht im Wald“ hat Raphaël Kolly mit Vignetten gestaltet.
Auf diesen finden Sie auch die Tiere, denen das Kaninchen im Laufe der Nacht begegnet.
Diese Buchseite wird kopiert, die Vignetten werden ausgeschnitten und auf Deckel von Schraubgläsern geklebt. Die Kopie des Kaninchens kann von einer beliebigen Seite stammen.
Verlauf: Die Geschichtendeckel sind ungeordnet ausgelegt. Sie werden von den Kindern in eine logische Reihenfolge gebracht. Wenn die Abfolge der Geschichte geregelt vorliegt, beginnen sie die Geschichte mit eigenen Worten wiederzugeben.
▪ Wir erleben Dunkelheit und Licht und sammeln Dunkelwörter und Lichtwörter
Material: 1 großer Bogen schwarzes Tonpapaier, 1 großer Bogen weißes Papier, 1 schwarzer Marker, 1 weißer Marker, Taschenlampen oder andere Lichtquellen
Der Raum wird so weit wie möglich verdunkelt, die Lichter werden ausgeschaltet, in der Mitte des Stuhlkreises liegt schwarzes Tonpapier.
Eine Achtsamkeitsübung folgt:
Das Kaninchen ist in der Nacht im Wald unterwegs. Heute wollen wir nachspüren, was Dunkelheit ist.
- Wir schließen die Augen. Scheint noch immer etwas Helligkeit durch die Augenlider?
- Dann könnt ihr die Augen mit den Händen bedecken.
- Jetzt ist schwarze Nacht um euch, so wie beim Kaninchen, als es im Wald unterwegs ist.
- Wir sitzen in der Finsternis und lauschen in die Finsternis hinein.
- Was hören wir?
- Was spüren wir in uns?
- Jetzt öffnen wir unsere Augen wieder.
Danach können sich alle zur Dunkelheit, zu ihren Gefühlen und Gedanken äußern. Die Kinder sammeln dabei ihre „Dunkelwörter“. Die Dunkelwörter schreiben wir mit weißer Kreide auf das schwarze Tonpapier: Nacht, Schatten, Finsternis, Nachtgespenst, Nachthimmel, Nachtbegeisterung, Nachtwandler, Nachtstille, Nachtlicht. Finster, dunkel, unheimlich, gruselig, schwarz, pechschwarz, rabenschwarz, düster, stockdunkel, lichtlos, trübe, schummrig, schattig, dämmerig, duster, düster, lichtlos, undurchsichtig.
Danach wird mit Kerzen, Taschenlampen etc. Licht ins Dunkel gebracht und es werden Lichtwörter gesammelt und auf ein weißes Plakat geschrieben: Tageslicht, Laterne , Lampion, Wunderkerze, Taschenlampe, Sterne, Sonne, Mond, Komet, Lichtschein, Lichtstrahl, Sternschnuppe, Sternenvogel, Irrlicht, Flamme, Feuer, Kerze, Fackel, Lichtblitz, Feuerwerk. Leuchten, strahlen, funkeln, scheinen, glitzern, glänzen, gleisend, lichtdurchlässig, transparent, flimmern, schimmern, flackern, blinken, glimmern, flirren, spiegeln, blitzen.
● Weiterhin können eigene Geschichten zu den Dunkelwörtern und/oder Lichtwörtern oder Geschichten aus der eigenen Erfahrungswelt der Kinder erzählt werden.
● Alternativ können die Dunkel- und Lichtwörter auf kleine Zettel geschrieben und in zwei Schraubgläsern aufbewahrt werden. Das ist ein schöner Impuls, die Gläser immer wieder mal zu öffnen, die Wörter vorzulesen und sich darüber zu unterhalten.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Raphaël KollyEin Licht im WaldZürich: Atlantis 2022, 44 Seiten | € 18,00 | ab 4
Medientipp November 2022
„Der kleine Holzroboter und die Baumstumpfprinzessin“ - begeisternd märchenhaft, abenteuerlich und eine Anstiftung zum Selbsterzählen
"Es war vielleicht gerade Zeit, diese Märchen festzuhalten, da diejenigen, die sie bewahren sollen, immer seltener werden ...", heißt es 1812 in der Vorrede zu den Märchen der Brüder Grimm.
Und heute ist es an der Zeit, dass wir uns dafür stark machen, dass Kinder weiterhin mit märchenhaften Geschichten wie der Baumstumpfprinzessin und dem kleinen Holzroboter groß werden können.
Tom Gauld erzählt in seinem Bilderbuch von einer Königin und einem König mit sehnsüchtigem Kinderwunsch. Weil sich dieser nicht erfüllt, bittet der Herrscher die königliche Erfinderin, seine Frau wiederum eine schlaue Waldhexe um Hilfe. Und so kamen die beiden zu ihren geliebten Kindern: dem kleinen tapferen Holzroboter und der mutigen Baumstumpfprinzessin. Geheimnisvoller Weise verwandelt sich diese beim Einschlafen zurück in einen Holzklotz. Jeden Morgen wird sie von ihrem netten Bruder mit einem Zauberspruch geweckt, der sie wieder zur Prinzessin verwandelt. Eines Tages aber nimmt das Schicksal seinen Lauf und die Sache geht schief. Der Holzklotz wird weggeworfen und landet auf einem riesigen Stapel mit abertausenden anderen Klötzen, die in den gefährlichen Norden verschifft werden. Glücklicherweise ist der kleine Holzroboter mit an Bord und trotz eisiger Kälte findet er seine Schwester im Holzhaufen wieder. Gemeinsam machen sie sich auf den sehr langen Heimweg, auf dem für beide reihenweise Herausforderungen warten. Aber ihr geschwisterlicher Zusammenhalt, die Hilfe vieler Tiere und die handwerklich begabte Hexe sorgen für ein glückliches Ende der abenteuerlichen Reise. Und so fallen sich bei Königs alle in die Arme, lachen und weinen und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
Tom Gauld, der unter anderem auch für den „Guardian“ Cartoons zeichnet, schafft Figuren, die durch ihre Klarheit und Schlichtheit begeistern. Mit wenigen Strichen gelingt es ihm, seinen Protagonisten Mimik und Gestik vom Feinsten zu verpassen. Es wirkt liebevoll, wie dezent sich das Krönchen um den Dutt der Prinzessin schmiegt oder eine kleine Astgabel dem Holzroboter als Antenne dient. Staunend und mit großem Entzücken blättert man sich durch die Seiten und freut sich über die oft unvergleichlich merkwürdigen Wesen, die diese Geschichte vorwärtstreiben und für die gegenseitige Hilfe und Unterstützung so selbstverständlich ist. Wer gerne Bilder liest, und darin sind Kinder Meister, wird vielfältige und originelle Details entdecken, wie etwa die Käferfamilie, die im Inneren des kleinen Holzroboters lebt und letztendlich dafür sorgt, dass sich das Drama auflöst und die Geschichte ein gutes Ende nimmt. Auch die Werkstätten der schlauen Hexe und der genialen Erfinderin, die diese so besonderen Geschwister erschufen, zeigen sich als detailverliebte Suchbilder, die Kinder mit Skurrilitäten unterhalten und mächtig die Phantasie ankurbeln. Tom Gaulds erzählt seine märchenhafte Abenteuergeschichte so liebevoll anrührend, eigenwillig und besonders, dass Kinder und Erwachsene gleichermaßen sie noch einmal und immer wieder erleben wollen. Mehr gemeinsames Bildvergnügen und Leselust ist schwer vorstellbar.
Anregungen zur thematischen Reflektion - theoretischer Hintergrund
▪ Warum Kinder märchenhafte Geschichten brauchen
Albert Einstein vertrat die Ansicht: „Wenn Sie möchten, dass Ihre Kinder intelligent werden, dann erzählen Sie ihnen Märchen. Wenn Sie möchten, dass sie hochintelligent werden, erzählen Sie Ihnen noch mehr Märchen.“ - Das wird mit Tom Gaulds märchenhafter Geschichte nicht schwer sein.
Obwohl Märchen der Phantasie und dem Gerechtigkeitsbedürfnis von Kindern entsprechen wird immer wieder die Frage gestellt, ob Kinder Märchen brauchen. Bruno Bettelheim bejaht dies in seinem Buch „Brauchen Kinder Märchen?" (1973, S.28) und schreibt dazu: „Mythen und Märchen beantworten die ewigen Fragen: Wie ist das Leben wirklich? Wie soll ich darin leben? Wie kann ich mich selbst sein? Das Märchen überlässt es der Phantasie des Kindes, ob und wie es das, was die Geschichte vom Leben erzählt, auf sich selbst bezieht.“
Bruno Bettelheim weist sehr deutlich und überzeugend darauf hin, wie notwendig das Märchen für die Entwicklung des Kindes ist. Gerade die Märchen würden dem Kind die Möglichkeit geben, seine inneren Konflikte, die es zum Teil unbewusst erlebt, intuitiv zu erfassen und in der Phantasie auszuleben und damit zu lösen. Das Märchen sieht er als eine Art Zauberspiegel, der die innere Welt des Kindes widerspiegelt: seine Ängste, Wünsche und Phantasien, und es zeige zugleich auf, welche Reifungsschritte notwendig sind
Der Neurobiologe Gerald Hüther sieht Märchen als „Superdoping für das Gehirn“ und vertritt die Einschätzung, Märchenstunden könnten verstärkt die emotionalen Zentren im Gehirn aktivieren und dabei helfen, dass Kinder Ruhe finden und lernen, sich zu konzentrieren. Das Lernen funktioniert bei Kindern immer dann am besten, wenn es ein bisschen „unter die Haut geht“, wenn also die emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert werden und all jene Botenstoffe vermehrt gebildet werden, die das Knüpfen neuer Verbindungen zwischen den Nervenzellen fördern
▪ Warum Kinder Comics schätzen
Tom Gauld zeichnet die Geschichte der Baumstumpfprinzessin und des kleinen Holzroboters in Bildern, die sowohl an Holzschnitt als auch an einen Comic erinnern. Comics erzählen in einer speziellen Bildsprache und typischerweise in Sprechblasen von phantastischen Welten und Abenteuern. Das macht sie bei Kindern so beliebt.
Mit Hilfe lautmalerischer Ausdrücken und der Verbindung von Bild und Text zeigen sich die Comic-Geschichten deutlich lebhafter als klassische Bücher. Dies unterstützt die Vorstellungskraft der Leser und Leserinnen, ohne ihnen die Interpretation einzuschränken.
Immer noch wird die kindliche Nutzung und Freude an Comics von manchen Erwachsenen kritisch gesehen obwohl „Leser:innen deutlich mehr Transferleistung erbringen müssen, als es zunächst den Anschein hat. Comics leben von der Imagination des Lesers. Sie können Dinge wie Geräusche, Bewegung oder das Vergehen von Zeit lediglich andeuten. Letztendlich ist es Sache des Lesers diese Stilmittel mit Leben zu füllen und die einzelnen Bilder zu einer Geschichte zusammen zu fügen.“ (www.comicstation.de/faszination-comic-graphic-novel/)
Viele Gründe also, die also dafür sprechen, dass Kinder Comics lesen.
Auf die Frage nach seinen frühen Comicerlebnissen und Präferenzen als Kind antwortet Tom Gauld: „Die ersten Comics, die ich gelesen habe, waren Asterix und Tim und Struppi. Sie waren die einzigen Comics, die meine örtliche Bibliothek führte. Es gab jede Menge Kinderbücher, aber sie hatten nur eine komplette Auflage dieser beiden Serien und zwei Lucky-Luke-Comics. Meine Eltern waren große Fans der Bibliothek, und wir gingen jede Woche dorthin, sodass ich mich durch die kompletten Folgen von Asterix und Die Abenteuer von Tim und Struppi arbeiten konnte. (the comic journal 27.10.2017)
Die Praxis der Anschlusskommunikation
Wir erzählen selbst ausgedachte Geschichten über die Abenteuer des kleinen Holzroboters
Glücklich, seine Schwester als Baumstumpf wiedergefunden zu haben, legt der kleine Holzroboter sie in den Handkarren und macht sich auf den langen Heimweg.
„Unterwegs erlebte er zu viele Abenteuer, um sie hier alle zu erzählen“ schreibt Tom Gould und skizziert diese als Panels auf einer Buchseite:
- Der Schlüssel des Riesen
- Die Räuberfamilie
- Die alte Flaschendame
- Der Zauberpudding
- Der einsame Bär
- Die Königin der Pilze
Aber auch die mutige, wieder erweckte Baumstumpfprinzessin, die in der Holzkarre ihren erschöpften Bruder zieht, erlebt auf dem Nachhauseweg ins Schloss viele Abenteuer. Sie trifft:
- Die hinterlistigen Elfen
- Das Drachenei
- Die verfeindeten Jäger
- Die riesengroße Amsel
- Den Spukbrunnen
- Den Säugling im Rosenstrauch
Tom Gauld zeichnet auch hierzu Einzelbilder, die uns den perfekten visuellen Input geben, die insgesamt zwölf Geschichten selbst zu erzählen. Die von den Kindern ausgedachten Erzählungen werden mit einem Audioprogramm aufgenommen und verschriftlicht. Die Kinder illustrieren die Texte mit eigenen Zeichnungen. Daraus lässt sich ein selbstgestaltetes Buch, sozusagen Band Zwei, zum Bilderbuch von Tom Gauld herstellen: „Die zwölf Abenteuer des kleinen Holzroboters und der Baumstumpfprinzessin“ geschrieben von…, illustriert von… erschienen im kitaeigenen Verlag …
▪ Bilderbuchfilm mit englischem Text
Einen Eindruck in das wunderschön illustrierte Bilderbuch von Tom Gould bietet der mit englischem Text vorgelesene Bilderbuchfilm „The Little Wooden Robot and the Log Princess“
https://www.youtube.com/watch?v=MhQPOBw2O_4
Sowie der Trailer zum Buch:
https://www.youtube.com/watch?v=mNl-bChPZB4
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Tom GauldDer kleine Holzroboter und die BaumstumpfprinzessinFrankfurt: Moritz 2022, 40 Seiten | € 18,00 | ab 4
Medientipp Oktober 2022
"Steinchen“ - ist vieles: ein Berg, eine Insel und eine Überraschung…
„Legt euch nicht mit mir an, ich bin steinhart. Ein riesiges, furchtloses Felsgebirge.“ …behauptet Steinchen, das schon hunderte von Jahren einfach da ist, unangefochten von Wind und Zeit.
Überzeugt, dass es nie seinen angestammten Platz verlassen wird, da ja alle zu ihm kommen, ändert sich ganz plötzlich sein geruhsames Dasein: es wird von einem Hund weggeschleppt und von dessen Herrchen durch die Luft geschmissen. Pflatsch, landet Steinchen hoch oben im Baum in einem Vogelnest neben zwei schönen weißen Eiern. Aber das ist kein Ort für einen Stein, befindet die Amsel, und wirft ihn in den See. Steinchen fühlt sich schon als Insel, da wird es von Kinderhänden geschnappt, in die Tasche gesteckt und findet sich im Kinderzimmer wieder. Dass es dort bemalt und jemand ganz anders wird, empfindet es gar nicht so übel. Fragend wendet sich Steinchen an die Betrachter und Leserinnen. „Was ich wohl morgen bin? Hast du eine Idee? Nein? Macht nichts. Aber eines ist sicher: Du wirst staunen.“ Und so ist die Phantasie und Kreativität von Erwachsenen und Kindern angeregt, eigene Kreationen aus Steinen zu schaffen, selber Steinschätze zu sammeln oder mit Steinen zu spielen.
Der kurzgefasste Text, aus der Ichperspektive des Steinchens erzählt, kurbelt sowohl die Phantasie als auch die Sprache an. Flächig und klar illustriert erzählt Marianna Coppo schnörkellos und aufs Wesentliche reduziert über das Steinchen, das mit vielen Veränderungen zurechtkommen muss. Dass es sich dabei nicht aus der Ruhe bringen lässt, ichstark, resilient und phantasievoll sein Steinleben meistert, macht diesen originellen Bilderbuchcharakter sehr sympathisch.
Theoretischer Hintergrund
Dank der im Mond schimmernden weißen Kieselsteine konnten Hänsel und Gretel wenigstens einmal den Weg nach Hause zurückfinden. Nicht nur in der Sagen und Märchenliteratur oder im Bilderbuch stoßen wir immer wieder auf die Faszination der Steine. Nahezu überall begegnen wir in der Natur allen möglichen Arten mit interessanten Strukturen, Färbungen und anderen Besonderheiten. In vielen Kulturen sind Steine ein seit jeher beliebtes Mittel zum Gestalten und zum Spielen. Wir verwenden sie für Geschicklichkeits- und Regelspiele oder ganz einfach, um sie ins Wasser zu werfen. Steine sind seit Jahrtausenden eng mit der Menschheitsgeschichte verflochten, und bis heute übt diese steinerne Materie ihren Reiz auf Kinder- und Erwachsenenhände aus. Zum Spielen eignen sich meistens Kieselsteine. Die sind von vielen Wellen und Wasserströmungen hin und her gerollt und davon glatt geworden.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Steinmuseum
Steine haben genauso vielfältige Farbtöne wie sie Formen haben. In der Beschaffenheit des Steins sehen Kinder oft etwas Typisches, ein Tier etwa oder ein Gesicht. Diese Wahrnehmung wird angeregt, wenn diesen Phantasien und Interpretationen Gestalt verliehen wird. Das geht ganz einfach mit einem schwarzen, wasserfesten Filzstift. Geht man spazieren, sollte man den gleich parat haben. So entsteht ein Elefant, ein Marienkäfer oder ein anderes, phantastisches Wesen.
Präsentiert auf schwarzem Hintergrund, Holz oder Wurzeln lässt sich drinnen oder draußen eine Steine-Ausstellung oder ein Stein-Museum einrichten – und natürlich kann „Steinchen“ auch gerne dabei sein…
Eine Aktion, die übrigens Erwachsene und Kinder gleichermaßen begeistern kann.
▪ Stein-Pyramide
Für jedes mitspielende Kind braucht es 21 Steinchen. Außerdem benötigt man noch einen Augen-Würfel.
Die Mitspielenden sitzen im Kreis. In der Mitte befindet sich der Steinbruch, d.h. alle Steine liegen auf einem Haufen. Wir würfeln reihum. Sobald ein Spieler eine Sechs hat, nimmt er sich sechs Steine weg und legt sie, mit kleinen Abständen, in einer waagrecht verlaufenden Reihe, vor sich hin. Als nächstes versucht er, die Fünf, dann die Vier, die Drei, die Zwei zu würfeln, und die jeweilige Anzahl von Steinchen abzulegen. Werden die Steine versetzt, d.h. immer über den Zwischenräumen, abgelegt, baut sich eine Pyramide auf. Gewonnen hat, wer als erster oder erste für seine Pyramide die krönende Eins würfelt.
▪ Steine im Schuh
4-6 Kinder können mitspielen, jedes braucht fünf etwa gleichgroße Steine. Außerdem wird ein Schuh benötigt.
Hier geht's darum, möglichst geschickt beim Werfen zu sein. Zuerst zeichnen wir mit Kreide einen Kreis, der Durchmesser hängt vom Wurfgeschick der Kinder ab. In die Mitte wird der Schuh eines der mitspielenden Kinder gestellt. Jedes Kind hat fünf Steine. Reihum versuchen die Kinder, einen Stein in den Schuh zu werfen. Die getroffenen Steine bleiben drin. Alle, die im Kreis gelandet sind, werden unter die Kinder aufgeteilt.
Reihum wird jetzt versucht, diese mit einem Blitzschlag im Schuh zu versenken. Und das geht so: Ein Auge wird zugekniffen, unter das offene wird ein Stein gehalten und in den Schuh fallen gelassen. Steine, die getroffen haben, bleiben drin, die anderen lässt man liegen.
Der Schuhbesitzer schnappt nun seinen Schuh und schaut nach, wieviel Steine drin gelandet sind. Die Kinder versuchen, ihr Wurfgeschick von Spiel zu Spiel zu steigern.
▪ Steinschatz-Kim
Ein "Kim" ist ein Wahrnehmungs- und Gedächtnisspiel. Mitspielen können bis zu sechs Kinder. Alle haben einen „Schatzkasten“, d.h. ein farbiges Blatt Papier. Jede und jeder legt 10 Steine in den eigenen Schatzkasten.
Die erste Spielerin schaut sich ihre Steine ganz genau an und sagt zu den anderen: "Ich betrachte meinen Schatz". Die anderen sagen: "Hast du ihn Dir angeschaut?".
Dann hält sie sich die Augen zu und die anderen nehmen jeweils einen Stein aus ihrem Schatz und legen ihn in die eigene Schatztruhe.
Die Spielerin öffnet die Augen und versucht, ihre weggenommenen Steine wiederzuerkennen. Wenn sie es schafft, bekommt sie sie zurück - sonst sind sie verloren.
Dann kommt der nächste Spieler an die Reihe. Wer am Schluss die meisten Steine in seiner Schatztruhe hat, ist Gewinner oder Gewinnerin.
▪ Wortschatz
„Steinchen“ wird mit wenig Text erzählt. Deshalb ist die Geschichte auch geeignet, Sprechanlässe zu liefern und den Wortschatz zu erweitern.
Hierzu eine kleine Wortschatzkiste:
Es gibt: Edelsteine, Kieselsteine, Hinkelsteine
den Steinadler, Steinbeißer und den Steinbock, und die Steinzeit
Aber auch: Dominosteine, Bausteine, Grabsteine, Tropfsteine….
Steine sind vielfältig: rund, spitz, eiförmig, glatt, groß, klein, dick, bunt, grau, weiß, schwarz, rot, grün, gefleckt, hart, bröselig…
Manches ist: steinalt, versteinert, steinig…
Wie lassen sich Steine beschreiben? Form, Struktur, Farbe, Gewicht
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Marianna CoppoSteinchen.Münster: Bohem 2022, 48 Seiten | € 15,00 | ab 3
Medientipp September 2022
„Drachenregentage“ - wenn Drachen auch mal müssen…
Wenn draußen zunehmend der Regen herabrauscht, wird es drinnen behaglich und gemütlich: „Einfach nur lesen oder spielen oder rumhängen und träumen…“, denkt Toni, packt sich einen Stapel Bücher und wirft sich in ihren kuscheligen Sessel. An der Wohnungstür Tür hängt ihr „Bitte- nicht-stören-Zettel“, aber Fred, der Drache kann oder will ihn nicht lesen.
Wild entschlossen flattern seine kleinen Flügel, sein Drachenschwanz wackelt vor Freude, während er mit der Schirmspitze auf den Klingelknopf drückt. Toni öffnet ihrem Freund, kocht seine geliebten Würstchen und viel Kaffee. Flugs hat Fred eine Tasse in den Pfoten und trinkt die Kanne leer, dann fläzt er sich auf das Sofa und liest. Als er Toni pinkeln hört, muss er auch. Trotz aller trickreichen und auch absurden Versuche will das nicht so richtig klappen. So ein großer Drachenpo passt halt nicht aufs Menschenklo, und draußen pinkeln will Fred auch nicht. Verdruckst und dringlich müssend tritt er von einem aufs andere Drachenbein, und plötzlich hat er die Lösung: schnell zum Pinkeln nach Hause fliegen. Und so startet ein fantastischer Flug. Mit Toni und ihrem Dackel auf dem Rücken, jagt Fred raus aus der Stadt, fliegt pfeilschnell über Berge und geheimnisvolle Landschaften bis ins Reich der Drachen. Dort erfahren wir einiges über das Leben von Freds Spezies und sehen erstaunt, wie der freundliche Geselle endlich zur Sache kommt: in hohem Bogen pinkelt er aus seinem wunderhübschen barocken Drachenklo-Pavillon in den See. Dass er sich dafür ziemlich umständlich in dieses Klo-Juwel hineinwinden muss, ist ihm egal, er ist erleichtert und hochzufrieden. Rasch verabschiedet er sich von seinem Familienclan, und Kind, Drache und Dackel begeben sich auf einen sagenhaft schnellen Rückflug. Zu Hause gibt es erst mal einen schönen warmen Kakao, bevor Drache Fred schon wieder loszieht und Toni es sich erneut auf dem Sofa gemütlich macht.
Die feinen, mit herbstgoldenen und wasserblaugrauen Farbtönen aquarellierten Bleistiftzeichnungen setzen die Atmosphäre der Geschichte bildstark in Szene. Die regennasse Kleinstadtatmosphäre, der luftige Flug, bei dem es Bindfäden regnet, und das wasserreiche Land der Drachen schaffen fühlbare Kontraste zum heimeligen Zu-Hause-Sein. Die Grenzen kindlicher Phantasie und die Realität verschwimmen zusehends. Sehen da nicht alle Kinder in der Stadt den fliegenden Drachen? Verwandeln sich Steine und Berge allmählich in bewegte Wesen? Der kurzgefasste, zurückhaltende Text lässt Kinder viel Spielraum zum Kommentieren, Fragen und Interpretieren. Dass das so mühelos passiert liegt auch daran, dass Kinder dieses „Ich-muss-mal-Thema“ zur Genüge kennen und unschwer nachvollziehen können. Ein wunderbares Bilderbuch, das mit seinen vordergründig schlichten, dabei hochraffiniert kolorierten Bleistiftzeichnungen Fantasie und Traum anregt. Ein zeitlos schönes, sehr stimmungsvoll illustriertes Bilderbuch, nicht nur für das heimelige Drinnensein im Herbst.
Theoretischer Hintergrund
Kinder brauchen ihre „Pipikaka-Themen“
Worüber Erwachsene wenig sprechen oder sogar mit Scham besetzen, fasziniert Kinder. Die Endprodukte des Verdauungssystems sind jedenfalls für die meisten Kinder ein interessantes Gesprächsthema, mit dem sie auch gerne Eltern und andere Erwachsene aus der Reserve locken. „Pipikaka-Themen“ werden in Gesprächen behandelt, die Unsicherheit darüber gerne mit Witz und Unsinn verarbeitet.
Nicht immer schaffen Kinder es rechtzeitig aufs Klo, manchmal machen sie nachts noch ins Bett – mit Humor versuchen sie Kontrolle über ihre Ängste bezüglich solcher Missgeschicke zu erlangen. Bilderbücher, die dem Thema möglichst offen begegnen, werden von Kindern heiß geliebt und gebraucht, um diese Entwicklungsstufe zu bewältigen.
Manche, wie beispielsweise „Der Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“, werden zu Longsellern und in viele Sprachen übersetzt.
Die „Drachenregentage“ zeigen sowohl die Nöte, die den Drachen plagen, und die teilweise absurden Lösungsversuche, die mit viel Humor ins Bild gesetzt sind – einfühlsam und unterhaltsam zugleich kommt Juli Völks Bilderbuch daher, in dem sie das handlungsleitende Entwicklungsthema, die Ausscheidungsorgane beherrschen zu lernen, souverän im Drachenleben ansiedelt.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Drachenschwanz-Fangen
Wie Fred, der Drache in Juli Völks Bilderbuch, haben alle Drachen lange Schwänze. Deshalb ist in China, der Heimat der Drachen, auch das Drachenschwanz-Fangen erfunden worden.
- Dazu stellen sich alle Mitspielenden hintereinander auf und fassen mit beiden Händen die Schulter oder die Taille der Vorderfrau oder des Vordermannes fest.
- Zunächst steht der Drache, den die Kinder bilden, ganz locker da. Ertönt aber der Ruf "Fred muss mal", rennt der Kopf los und versucht, seinen eigenen Schwanz einzufangen. Der aber will dies natürlich verhindern. So windet sich der Drache hin und her - er darf dabei aber nicht auseinanderbrechen.
- Ist der Schwanz gefangen, wird der Kopf des Drachen zum neuen Schwanz, und der nächste Mitspieler rückt zum Kopf des Drachens auf.
- Wenn jüngere Kinder mitspielen, kann man dem Kind, das den Drachenkopf einen Fred-Schnurrbart (an einem Gummiband befestigt) aufsetzen und dem letzten in der Drachenreihe ein langes Tuch gut sichtbar als Schwanz um die Taille binden.
▪ Zum Wesen der Drachen
Julie Völk gibt ihrem Drachen nicht nur einen Namen, sondern verleiht ihm auch einen liebenswerten Charakter. Sie zeichnet ihn nicht biestig und feuerspeiend, sondern eher grazil und weltläufig, ob im Drachenland oder zu Besuch bei den Menschen.
Wenn er dort mit seinem Dali-Schnauzbart auftaucht, hübsch artig mit seinem spitzen Stockregenschirm die Klingel drückt, ist sonnenklar, dass hier ein freundliches Wesen anrückt. Jeder würde ihm gerne die Tür öffnen und aus der Bredouille helfen, sein dringendes Geschäft erledigen zu müssen.
Drachen sind nicht nur in Kinderbüchern zu Hause, sondern auch in Märchen oder Sagen in vielen Ländern der Welt bekannt.
Grundsätzlich zeigt sich der Drache als Mischwesen und setzt sich aus mehreren realen Tieren zusammen. Meist haben Drachen Flügel und einen schuppigen Körper. Manche haben sieben Köpfe oder sind so groß wie ein Haus. Weitere Merkmale sind ein scharfer, durchdringender Blick, ein feuriger Schlund und giftiger Atem.
Populäre Drachentöter sind der heilige Georg, der Erzengel Michael oder Siegfried, eine der Hauptfiguren in der Nibelungensage.
Im Grimm-Märchen „Die zwei Brüder“ erleben Zwillingsbrüder mit ihren zahmen sprechenden Tieren viele Abenteuer und einer erlegt einen siebenköpfigen Drachen: „Gar nicht lange, so kam mit großem Gebraus der siebenköpfige Drache daher gefahren. Als er den Jäger erblickte, verwunderte er sich und sprach: »Was hast du hier auf dem Berge zu schaffen?« Der Jäger antwortete: »Ich will mit dir kämpfen.« Sprach der Drache: »So mancher Rittersmann hat hier sein Leben gelassen, mit dir will ich auch fertig werden«, und atmete Feuer aus sieben Rachen…“
▪ Julie Völk zeichnet kunstvoll und mit Bleistift
Wer der Illustratorin beim Zeichnen und erzählen über die Schulter schauen möchte:
https://www.youtube.com/watch?v=JCZ7N-svxsA
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Julie VölkDrachenregentageHildesheim: Gerstenberg 2022, 48 Seiten | € 18,00 | ab 3
Medientipp August 2022
Rosalie träumt – kraftvoll kuriose Phantasiewelten
Die kleine Rosalie liegt schlafend in ihrem Bett, bewacht von einer rosa Krake und einem knautschigen Frosch. Den Zipfel ihres grasgrünen Deckbetts festumschlossen in der Hand, träumt sie sich in eine fiktive Welt, die es nur in ihrer Vorstellung gibt. Sie fühlt, beobachtet und erlebt in ihrem Traum, dass sie ganz andere Eltern hat:
Sie fühlt, beobachtet und erlebt in ihrem Traum, dass sie ganz andere Eltern hat: Mama und Papa sind wunderschöne Seeelefanten, die sie liebevoll mit ihren Flossen umarmen. Mama Seeelefant träumt ebenfalls, allerdings von einem Tiefseeforscher. Der flossenpaddelnde Forscher begegnet einem lausig kleinen Oktopus, der wiederum träumt, er wäre ein mächtiger über die Meere geisternder gefährlicher Superschurke, der kleine Menschenkinder erschreckt. Doch bei dem badenden Mädchen, das keinerlei Angst kennt, klappt das überhaupt nicht. Die träumt sich in ihrem Schwimmring als Opernsängerin auf die Theaterbühne. Dort singt sie gemeinsam mit zwei Riesen, von denen der eine träumt, er wäre viel kleiner, hätte aber eine riesengroße Freundin. So erzählen und verbinden diese Träume eine sich ständig weiterentwickelnde Geschichte.Nikolaus Heidelbach illustriert in seinen kunstvollen Bildern die Träume von Meerschweinchen und Erdmännchen, von Menschen und Teufeln. Er erzählt kleinen und großen Leserinnen und Lesern bildgewaltig, mit berauschender Phantasie und lotst sie dabei in skurrile Traumwelten. Da wird geträumt, dass man geliebt wird, so wie man ist, Großes und Gutes tun möchte, Ängste überwindet oder, wie die Fee, jemand ganz anderes zu sein. Die will nie mehr Fee sein, sondern als jüngste Tochter in einer glücklichen Familie leben, weil sie keinerlei Lust mehr verspürt, ewig die Wünsche anderer zu erfüllen.
Trotzdem sei hier der Wunsch erwähnt, dass Kinder möglichst viele Wesen und Geschichten von Nikolaus Heidelbach erleben können. Denn Kinder lieben Heidelbachs Bilder, viele Erwachsene schätzen seine Kunst.
Mit „Rosalie träumt“ verschafft er uns, wieder einmal, märchenhaft inszenierte Traumwelten, die Gefühle und Gedanken stark anregen. Dabei werden wir in eine andere Welt entführt: in die kunstvolle Welt der ungezähmten Phantasie, mit symbolträchtigen und magischen Bildern.
Theoretischer Hintergrund
„Für Kinder sind Träume real“, erklärt Professor Michael Schredl, Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Erst mit etwa fünf Jahren können Mädchen und Jungen zwischen Traum und Realität unterscheiden.
Einen aufschlussreichen Beitrag zum Thema Kinder und Träume liefert sein Fachbeitrag
„Träume - einem Mysterium auf der Spur“ in dem er unter anderem auch darauf eingeht, wie unterschiedlich Erwachsene und Kinder träumen.
https://www.visoparents.ch/fileadmin/medien/Imago_Magazin/pdf/imago_4_21_OK_einzelseiten_traeume.pdf
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Wenn Kinder ihre Träume erzählen und zeichnen
Die fantastischen Bilderwelten von „Rosalie träumt“ fordern den Dialog mit Kindern geradezu heraus. Die Magie und surrealen Elemente regen Imagination und Sprache gleichermaßen an.
In vielen Szenen sind Situationen dargestellt, die inspirieren können, gemeinsam mit den Kindern weitergehende Überlegungen anzustellen. Solche Gedankenspaziergänge sollte man allerdings nicht gleich in der ersten gemeinsamen Betrachtung anstellen. Erst einmal sollen die Kinder die Bilder auf sich wirken lassen können.
Im Dialog ist oft zu erleben, dass Kinder über ihre eigenen Träume sprechen möchten. Ihre Träume zu erzählen hilft Kindern auch, zwischen Traum und Realität besser unterscheiden zu können. Wenn Kinder Erwachsene um sich haben, denen sie ihre Träume erzählen können, wird das Traumgeschehen deutlicher abgehoben von der Realität.
Suchen Sie dabei gemeinsam mit den Kindern nach einer Lösung, wie sie herausfordernde Situationen im Traum bewältigen könnte.
Wenn Kinder ihren Traum aus sprachlichen Gründen nicht schildern können, hilft das Zeichnen, Traumerlebnisse auszudrücken. Lassen Sie Kinder den Traum zeichnen und achten Sie darauf, dass es auch sich selbst in das Bild einzeichnet. Versuchen sie nicht, die Bilder zu deuten, fragen Sie einfach nach, was im Traum passiert ist.
▪ Einen positiven Ausgang von Träumen kreieren
Der Psychologe und Traumforscher Michael Schredl, rät, sich Helfer vorzustellen oder die bedrohliche Traumfigur direkt anzusprechen. Vielleicht kann man sie auch wegzaubern.
Fragen Sie das Kind, was es auf seinem Traumbild einzeichnen könnte, damit es in der Situation weniger Angst hat. Diesen positiven Ausgang des Traums sollten die Träumenden sich zwei Wochen lang jeden Tag vorstellen. «Auf diese Weise konfrontieren sich die Betroffenen mit der Angst und sie verändern ein eingefahrenes Muster», sagt Michael Schredl.
▪ Traumfänger
Ein Traumfänger soll böse Träume einfangen und nur die guten Träume zum Schläfer durchlassen. In der indianischen Vorstellung neutralisiert die Morgensonne die bösen Träume, die im Traumfänger festgehalten wurden.
Materialien, die benötigt werden um einen Traumfänger herzustellen:
- einen Ring aus Holz oder Metall (20 cm Durchmesser)
- dicke Wolle, festes Garn
- Federn, Holzperlen
Eine einfache Herstellungstechnik zeigt:
https://www.youtube.com/watch?v=RvRtoARuo44
Wie Kindern aus Natur-Fundstücken einen Traumfänger herstellen können:
https://blog.hans-natur.de/allgemein/anleitung-traumfaenger-basteln
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Nikolaus HeidelbachRosalie träumt.Zürich: minedition 2022, 32 Seiten | € 20,00 | ab 5
Medientipp Juli 2022
Spinne spielt Klavier - Geräuschwelten im Bilderbuch.
Zzzzzzzssssssssch, so klingt das hochfrequent zischende Luftablassen eines Standup Paddeling Boards, das fast lautlose Ssssssssssssssssss eines E-Scooters ist wohl unsere Zukunftsmusik. Fakt ist, jede Zeit klingt anders: Kein Zug muss mehr schnaufen wie „Henriette Bimmelbahn“, das Mobiltelefon wählt lautlos, im Gegensatz zum früheren Wählscheibentelefon.
Wie wir leben beeinflusst, welche Geräusche um uns herum klingen. Der Alltag ist voller Geräusche – jedoch merken wir meist erst, wie viele es sind, wenn sie plötzlich fehlen.
Bereits zu Beginn des Spracherwerbs, wenn Kinder mit ihrer Stimme experimentieren, entdecken sie bald freudig das Spiel, externe Töne, Klänge und Geräusche zu erzeugen. Sie freuen sich, wenn sie selbst ein Scheppern oder Klappern auslösen und zeigen oft reges Interesse am Geräuschemachen und an den Geräuschen der Umwelt. Bei Kindern sprechen Geräusche sehr intensiv die emotionale Ebene an, sie wirken unmittelbar.
Im Bereich der Literatur für die Allerkleinsten sind geräuschvolle Bilderbücher, beispielsweise „Klipp Klopp“ (Moritz Verlag) oder der Klassiker „Klopf an!“ (Hanser Verlag), dementsprechend stark vertreten.
Ein Blick auf die Geräusche, die in unserer Welt wahrzunehmen sind, zeigt ein besonderes Bilderbuch, das ganz ohne Worte auskommt. In 160 Bildern klappert und scheppert, schnattert, knattert, knistert, raschelt und bimmelt es. Ungewöhnlich ist, dass die Geräusche in witzigen, farbstarken Illustrationen abgebildet sind, die sofort zum Imitieren animieren. Manche Geräusche, entstehen wie von selbst im Kopf und tönen sofort aus den Mündern der Leserinnen und Leser. Manchmal erfordern die Bilder feine Unterschiede bei der Soundproduktion: wie klingt der Luftstrom eines Föns im Vergleich zum Heulen eines mächtigen Sturms?
Das visuelle Auslesen der 160 Bilder und deren hörbare Umsetzung machen viel Spaß, weil das Leseergebnis in der unmittelbaren Produktion der Geräusche besteht. Auffallend oft und gern beschäftigen sich mehrere Kinder gleichzeitig mit den soundanimierenden Bildern. Die mündliche Sprache kommt dabei rasch und zuverlässig ins Spiel, da gerne erklärt wird, warum das Spaghettischlürfen genauso klingt, wie es jetzt zu hören war. Oder aber wenn jemand eine gerade produzierte und von den Mitlesenden angezweifelte Geräuschinterpretation engagiert erklärt oder verteidigt wird.
Rundum ist dieses geräuschvollste aller Bücher eine sehr solide Grundlage, um aus den vor Begeisterung tönenden Kindern später einmal eine begeisterte Leserin oder einen begeisterten Leser werden zu lassen.
Theoretischer Hintergrund
Sprechen beginnt mit Hören, deshalb ist die auditive Wahrnehmung ein Bereich, den es zu sensibilisieren gilt.
„Spinne spielt Klavier“ regt Kinder in ihrer auditiven Wahrnehmung an, sich mit Klängen, Geräuschen und Sounds in vielfältiger Art und Weise auseinanderzusetzen, genauer hinzuhören und zu unterscheiden.
DIE BEREICHE DER AUDITIVEN WAHRNEHMUNG SIND:
1. Die Auditive Aufmerksamkeit
Kinder müssen sich auf Gehörtes konzentrieren, auf auditive Reize einstellen können.
2. Die Auditive Figur-Grund-Wahrnehmung
Ähnlich wie bei der visuellen Wahrnehmung wird hierunter die Fähigkeit verstanden, Reize aus ihrem Hintergrund - den Nebengeräuschen - herauszulösen. Trotz des Lärms im Gruppenraum sollte ein Kind z.B. der Stimme der Erzieherin, die eine Geschichte vorliest, lauschen oder im Straßenverkehr ein hupendes Auto wahrnehmen können.
3. Die Auditive Lokalisation
Hierzu gehört, dass ein Kind eine Geräuschquelle räumlich einordnen, die Richtung, aus der ein Geräusch oder eine Stimme kommt, erkennen kann.
4. Die Auditive Diskrimination
Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Lauten und Tönen müssen erkannt und richtig zugeordnet werden können. Voraussetzung für den Erwerb der Sprache ist z.B., ähnlich klingende Buchstaben wie d und t oder g und k voneinander unterscheiden zu können.
5. Die Auditive Merkfähigkeit
Gehörtes muss gespeichert werden, um wiedererkannt und wiederabgerufen werden zu können. So ist die Fähigkeit, die Reihenfolge von Buchstaben oder Worten zu behalten, Grundlage des Lesenlernens.
6. Das Verstehen des Sinnbezugs
Auditives Wahrnehmen umfasst auch das Verstehen und inhaltliche Zuordnen des Gehörten. Das Hupen des Autos im Straßenverkehr muss nicht nur herausgehört, sondern auch in seiner Bedeutung erkannt werden. Wörter und Buchstaben müssen nicht nur behalten, sondern auch in einen Sinnzusammenhang gebracht werden (z.B. die unterschiedliche Bedeutung von zwei Wörtern mit ähnlichem Klangbild: Kirche - Kirsche)
Zusammenfassung aus:
Zimmer, Renate: Handbuch der Sinneswahrnehmung. Herder 2012.
Der IQB-Bildungstrend* zeigt: Zuhörkompetenzen in der Grundschule sinken
Geräusche, Klänge, Worte und Musik erregen sinnliche Aufmerksamkeit. Vom Aufhorchen bis zum Zuhören aber ist ein Stück Weg zu bewältigen. Zuhören, Horchen und Lauschen wollen gekonnt sein.
Geräusche zu produzieren und zu interpretieren ist eine oft vernachlässigte, aber erlebenswerte Teilstrecke auf dem Weg, das Zuhören zu lernen. Dass Zuhörförderung ein unverzichtbarer Anteil sprachlicher Bildung ist, zeigt sich im Nationalen Bildungsbericht 2022. Auch im Kernbereich Zuhören zeigt sich ein Leistungsabfall in der Grundschule: 18,3 % der Schülerinnen und Schüler verfehlten 2021 den Mindeststandard im Bereich Zuhören. Im Jahr 2011 waren es lediglich 7,4 der Grundschülerinnen und Grundschüler.
* Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) testet die Grundschüler alle fünf Jahre.
Quelle: IQB Bildungstrend 2021, Nationaler Bildungsbericht.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Lautmalerei in Szene setzen
Der Reiz des Buchs ist ein doppelter: zum einen die lautmalerische Ebene der Geräusche, zum anderen ihre Umsetzung ins Bild.
In unserer Sprache versuchen wir mit Lautmalerei Naturgeräusche nachzuahmen. Es gibt viel Wörter, die ähnlich klingen wie der beschriebene Vorgang: Beispielsweise zischen, klappern, rascheln.
In Comics beschreiben Wörter die Bewegungen oder Gefühle der Protagonisten, beispielsweise Boing, Zisch, Zack, Zabadong, Keuch, Seufz, Ächz usw.
Setzen Sie mit den Kindern kleine Szenen um, in denen Bewegungen mit Geräuschen und Lautmalereien ausgedrückt und untermalt werden.
▪ Geräuschlustige Lautmalerei in lyrischen Texten erleben
Lautmalerei steckt in vielen Sprachspielen wie beispielsweise „Aramsamsam Aramsamsam“ oder Versen wie „Eni, Beni, Subtraheni, Divi, davi, Domineni. Zingele, Zangele Dus.”
Das Spektrum solcher Laut- und Klangspielereien reicht noch viel weiter - bis zu den in Phantasiesprachen verfassten Klanggedichten von Hugo Ball und Christian Morgenstern.
Diese zeigen, wie Sprache nicht mehr der Kommunikation dient und Gedanken vermittelt, sondern zum Material wird, bei dem die Musikalität der Sprache mit Klängen und Geräuschen in den Vordergrund rückt.
Ein Gedicht von Christian Morgenstern - zum Vorlesen und zum Sprechen über Lautverbindungen, die es in der deutschen Sprache so nicht zu hören gibt:
Das große Lalula
Kroklokwafzi? Sememi!
Seiokronto - prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo ...
Lalu lalu lalu lalu la!
Hontraruru miromente
zasku zes rü rü
Entepente, leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lalu la!
Simarar kos malzipempu
silzuzankunkrei!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei!
Lalu lalu lalu lalu la!
Derlei sprachspielerische Texte regen an, über die Sprache nachzudenken. Diese wichtige Funktion gilt es insbesondere dann hervorzuheben und zu vermitteln, wenn es um Sprachförderung geht. Sprachspiele unterstützen kindliche Theoriebildungen über Sprache, weil man, mit der Sprache spielend, am besten Distanz zu ihr gewinnt.
▪ Tonspur zu den Bildern im Buch produzieren
Zwei Situationen, in denen Kinder eine momentweise völlige Aufmerksamkeit und Konzentration auf die abgebildeten Geräusche entwickeln können:
- Jedes Kind sucht sich einige Lieblingsbilder aus und die dazu produzierten Geräusche werden digital aufgenommen.
- Produzieren Sie mit den Kindern eine Tonspur zum Buch: Nehmen Sie die von den Kindern produzierten Geräusche digital mit Smartphone oder Handyrecorder auf und lassen sie beim Betrachten abspielen.
Die geräuschvollen Aufnahmen werden gerne immer wieder angehört und geben Anlass zu Kommentaren, Feststellungen und Gesprächen.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Benjamin GottwaldSpinne spielt Klavier. Geräusche zum Mitmachen.Hamburg: Carlsen 2022, 160 Seiten | € 18,00 | ab 3
Medientipp Juni 2022
Was müssen das für Bäume sein... und andere Fragen rund um die gut bekannten großen Elefanten
Das bei Kindern beliebte Spiellied „ Was müssen das für Bäume sein“ erzählt von Bäumen, die rechts und links wachsen und von den Zwischenräume, die den Elefanten ermöglichen, ohne Blessuren hindurch zu spazieren. So weit, so gut - so ist es den meisten Menschen bekannt.
In diesem Lieder-Bilderbuch gibt es jedoch noch vier weitere Strophen, die den Spaziergang der Elefanten beschreiben und immer eine witzige Lösung anbieten, wenn es mal wieder eng wird. Da geht es durch Steppe und Dschungel, an Flüssen entlang, unter Brücken durch und auf die Berge hinauf.
Schlussendlich, versteht sich, gehen auch die Elefanten nach ihrem abenteuerlichen Wandertag nicht sofort schlafen… All das ermöglicht insgesamt viel Singspass, von laut nach leise, lädt ein zum Stampfen, Tanzen und anderem Körpererleben.
Jede Liedstrophe ist auf einer Doppelseite flächig und frech illustriert und mit dem jeweiligen Textvers versehen. Das erlaubt Kindern, das Lied bildgestützt zu erlernen und zu singen, was die Bücher dieser Reihe besonders praxistauglich macht. Auf der Rückseite des Bucheinbands befindet sich der Notensatz für Singstimmen, der Kindern auch die Erkenntnis ermöglicht, dass Noten als schriftliche Symbole für Töne verwendet werden. Diese Liederbuchreihe verbindet Musik, Sprache und Literacy und ist ein kleiner kinderkultureller Schatz für die Kitabibliothek.
In dieser Ausstattung erhältliche Titel sind unter anderen beispielsweise: „Alle Vögel sind schon da“, „In meinem kleinen Apfel“, „Die Affen rasen durch den Wald“, „Backe, backe Kuchen“, „Häschen in der Grube“, „Wide wide wenne heißt meine Puthenne“, und auch das bekannte Gedicht von Christian Morgenstern „Die drei Spatzen“.
Theoretischer Hintergrund
Kinder lieben die Verbindung von Bewegung, Singen und Sprechen, die das Spiellied kennzeichnet. In der kindlichen Entwicklung sind diese Elemente eng aufeinander bezogen: die frühen Kommunikationsmuster und auch die erste Kinderworte wie Mama, Papa, Wau-Wau sind vorwiegend rhythmisch musikalisch. Die Bewegung des Körpers unterstützt die Wahrnehmung von Stimme und Sprache.
Die Motorik, die wir zur Artikulation der Sprache benötigen, ist eng mit der Feinmotorik der Hände und Finger verbunden. Unsere Lautsprache ist aus der Sprache der Gesten und Gebärden entstanden. Spiellieder beziehen mit ihren Bewegungen den Körper mit ein. Gesungene Sprache und Bewegung verbinden sich, das sprachliche Geschehen wird körperlich erlebt. Wenn es um kindliches Lernen und ganzheitliche Entwicklung geht, spielt diese Verbundenheit immer eine wichtige Rolle.
Die Praxis der Anschlusskommunikation
▪ Gemeinsam Bewegungschoreographien zum Text entwickeln
Im Verlauf des Liedes werden zum Text bestimmte Bewegungen umgesetzt. Beispielsweise zur ersten Strophe im Buch:
„Was müssen das für Bäume sein, wo die“ - abwechselnd mit den Füßen stampfen,
„großen“ - die Arme nach oben strecken,
„Elefanten“ - einen Rüssel formen, indem man mit einer Hand an die Nase fasst und den anderen Arm durch die Öffnung streckt,
„spazieren gehn, ohne sich zu stoßen“' - wieder abwechselnd mit den Füßen stampfen,
„Rechts sind Bäume,“ - mit beiden Händen rechts stehende Bäume darstellen,
„links sind Bäume“ - mit beiden Händen links stehende Bäume darstellen,
„und dazwischen Zwischenräume“ – mit den Händen die Zwischenräume andeuten,
„wo die großen Elefanten spazieren gehn.“ – wieder mit den Füßen stampfen.
Die Bewegungen zu den nächsten vier Strophen sind aus dem Text abzuleiten und lassen sich gemeinsam mit den Kindern entwickeln.
▪ Der Fingerelefant spielt mit
Das Spiellied lässt sich auch mit der Hand bespielen, die hierzu einen Fingerelefanten führt.
Unter https://www.kidsweb.de/zirkus_spezial/elefant_mit_fingerruessel.pdf
gibt es eine Vorlage zum Ausdrucken, die von den Kindern ausgeschnitten und bemalt werden kann.
▪ Zum Singen, Sprechen und Rappen
Auf der CD „Was müssen das für Bäume sein“ präsentiert das Vokalensemble FÜENF frisch und charmant 25 Kanons zum Singen, Sprechen und Rappen. Vom Gänsekanon über Mozarts Bona nox bis zu Fredrik Vahles Rabenkanon reicht die Palette der CD, die witzig und überzeugend hörbar macht, wie „cool“ und rhythmisch Kanons klingen können.
Eine Hörprobe, der im Verlag Sauerländer erschienen CD finden Sie unter:
https://www.fuenf.com/audio/was-muessen-das-fuer-baeume-sein-2/
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Sabine Kranz (Illustr.):Was müssen das für Bäume sein.Berlin: Eulenspiegel Kinderbuchverlag 2022, 12 Seiten | € 8,00 | ab 2
Medientipp Mai 2022
Bücher und Medien zum Brücken bauen und Mut machen
Geschichten können Trost spenden und Mut machen in schwierigen Zeiten.
In dieser Zusammenstellung finden Sie Bücher und Geschichten, die Kinder mit deutscher oder ukrainischer Erstsprache erleben können.
Sie bieten sich an als Brücke für Gespräche, trostreiche Lesesituationen, für ein verständnisvolles Zusammensein.
Und sicher sind Bücher und Geschichten ein Weg, um ein Stück Sprachlosigkeit aufzubrechen. Auch wenn es darum geht, Gewalt und Flucht, Krieg und Frieden im Zusammenleben mit Kindern zu thematisieren.
Wir können helfen, indem wir vorlesen und uns für ein friedvolles Zusammenleben engagieren.
Floris & Maja
Elzbieta : Floris & Maja Frankfurt: Moritz 2022, 40 Seiten |12, 95 € | ab 5
Jeden Tag spielen Floris und Maja zusammen am Bach. Mal auf Majas, mal auf Floris´ Seite. Wenn sie groß sind, wollen sie heiraten. Doch da kommt der Krieg. Floris´ Vater muss fort. Am Bach, zwischen Floris und Maja, liegt auf einmal hoher Stacheldraht. Die beiden dürfen sich nicht mehr sehen, ja nicht einmal mehr voneinander sprechen. Der Krieg hat es verboten. Er beherrscht alle und nimmt keine Rücksicht. Eines Tages kommt der Vater zurück, der Krieg ist zu Ende. Aber Floris begreift, dass das „Ungeheuer” nur eingeschlafen ist und dass man sehr leise sein muss, um es nicht wieder aufzuwecken. Er läuft zum Bach hinunter und hört plötzlich, wie jemand seinen Namen ruft. Maja hat ein kleines Loch im Stacheldraht gefunden und ist zu ihm über den Bach gekommen. Ein anrührend poetisch erzählendes Bilderbuch, das Kindern das Unvorstellbare nicht erklärt, sondern Gefühle, Gedanken und Gespräche ermöglicht.
Elzbieta erzählt ihre Kindergeschichte aus Floris‘ Perspektive. Sie hält nichts zurück, sondern führt uns in ganzseitigen Fensterbildern sowie in wenigen Worten seine Erlebnisse und Fragen vor Augen. „Den Krieg kann man nicht töten, kleiner Floris. Denn er wird niemals sterben. Er schläft nur hin und wieder ein.“ Geboren in Polen wuchs Elzbieta im von Deutschen besetzen Elsass auf, lebte in England und zuletzt in Paris. 2018 ist sie im Alter von 82 Jahren gestorben. Über Floris & Maja sagte sie einmal: »Aufgrund meiner eigenen Erfahrung als Kriegskind soll der Stacheldraht zwischen Floris und Maja nicht nur als psychische und physische Trennung verstanden werden, sondern darüber hinaus jede Art von Willkür und Volksverhetzung symbolisieren.«
Deutsch-Ukrainische Kinderbücher
Ich bin anders als du | Ich bin wie du
Constanze von Kitzing: Ich bin anders als du - Ich bin wie du Deutsch-ukrainische Ausgabe |mit MP3-Hörbuch zum HerunterladenMünchen: bi:libri 2022, 80 Seiten | 17,50€ | ab 4
Was verbindet oder unterscheidet ist in diesem Wendebuch über Vielfalt nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erfassen. Christiane von Kitzings Bilder spielen zunächst mit den Gedanken der Betrachtenden und überraschen diese dann, indem sie das Offensichtliche unterlaufen. Der Text unter den Bildern vermittelt viel über die Vorlieben, Interessen und Wünsche der porträtierten Kinder und ihrer Familien. Wir erleben, wie bunt Vielfalt ist, und dass es gut tut diese gemeinsam zu leben. Die Verbindung von Individualität und Diversität ist spannend gestaltet und überzeugt durch die Leichtigkeit der Bilder.
Methodische-didaktische Anregungen finden Sie in der Besprechung 2021
Im Verlag bi:libri sind |in der Reihe bilibrini | die Titel „Im Wald“, „Beim Kinderarzt“, „Im Supermarkt“ in einer deutsch-ukrainischer Ausgabe erhältlich. Die kleinen zweisprachigen Hefte haben 16 Seiten mit Wort-Bild-Leiste auf jeder Seite.
https://www.edition-bilibri.com/books/im-wald
Deutsch- Ukrainische Kinderbücher zum kostenlosen Download
4 Bilderbücher aus den Verlagen cbj und penguin junior
- Ingo Siegner: Der kleine Drache Kokosnuss - Mein Bildwörterbuch ab 4
Wie heißen die Gegenstände in der Drachenhöhle auf Englisch oder Ukrainisch? Und wie die Dinge in der Drachenschule? Wie lauten die Begriffe für Tasse, Tafel oder Tasche? Da der kleine Drache Kokosnuss und seine Freunde Oskar und Matilda viel durch die Welt reisen, wollen sie jetzt Englisch und Ukrainisch lernen! - Ute Krause: Minus Drei wünscht sich ein Haustier
- Stephanie Schneider: Platz da, ihr Hirsche!
- Annette Herzog: Kleiner Dachs & großer Dachs - Der riesengroße Streit
Die drei Verlage Edition bi:libri, Hueber und NordSüd veröffentlichen im Juni 2022 eine zweisprachige Ausgabe des Bilderbuchs »Kleiner Eisbär – Wohin fährst du, Lars?« auf Deutsch und Ukrainisch.
Die digitale Version finden Sie unter:
https://www.hueber.de/shared/livebook/kleine-eisbaer-ukr/
30.000 kostenlose Pixi-Bücher für ukrainische Kinder in Deutschland
Der Carlsen Verlag gibt ein Pixi-Buch für Kinder heraus, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland flüchten mussten. Pixi bekommt Besuch wurde ins Ukrainische übersetzt und wird über den lokalen Buchhandel an Hilfsprojekte verteilt, die sich für die Versorgung geflüchteter Kinder und ihrer Mütter engagieren. Insgesamt werden 30.000 Exemplare kostenlos zur Verfügung gestellt. Wer Pixi Bücher an geflüchtete ukrainische Kinder weitergeben möchte, kann sich mit einer Buchhandlung vor Ort in Verbindung setzen, die dann die Bestellung der Bücher beim Verlag übernimmt.
Zum Inhalt: „Pixi und seine Freunde helfen einer Katze, deren Windmobil zu Bruch gegangen ist. Bei heißem Kakao wird aus der Begegnung Freundschaft, schließlich ziehen alle zum Übernachten in Pixis gemütliche Höhle, wo die Katze von ihren Reiseabenteuern erzählt.“ Auf der Rückseite des Buches stellt Pixi statt des üblichen Basteltipps einen „kleinen Grundwortschatz der Begegnung“ vor.
Geschichten in vielen Sprachen
Auf www.bilingual-picturebooks.org sind Geschichten in vielen Sprachen kostenlos
herunterzuladen.
Fünf der Geschichten stehen auch in ukrainischer Übersetzung zur Verfügung:
- Der gläserne Ring
- Wie entsteht eigentlich die Zukunft?
- Oskar und Lumufo - der Fuchs und die Außerirdische
- Der flammende Fuchs
- Schokokuchen auf Hawaii
Diese fünf Bücher haben Kinder und Jugendliche für andere Kinder und Familien geschrieben. Sie haben sich zusammen die Geschichte ausgedacht, die Bilder gemalt und zu zwei der Bücher auch Musik komponiert. Die Idee der Kinder ist es, anderen Kindern Geschichten zu schenken.
Ganz alleine meine Mama
Das ukrainische Bilderbuch "Ganz allein meine Mama" erscheint im Mai. Der Moritz-Verlag übernimmt die Schirmherrschaft über das Buch des ukrainischen Krocusverlages, das trotz der Papierknappheit Ende Mai in Deutschland erscheinen soll: "Najmoisha Mama" ("Ganz allein meine Mama") mit einem Text von Halyna Kyrpa und Bildern von Hrasia Oliyko wird in Deutschland auf ukrainisch gedruckt. Die Druckorganisation und den Vertrieb übernimmt der Moritz Verlag, die Druckerei spendet den Druck. Somit können die Einnahmen aus dem Verkauf nahezu gänzlich dem Krokusverlag und seinen Künstler_innen zugutekommen.
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Medientipp April 2022
Für jeden Tag im Jahr ein Gedicht: Das große Buch der Tiergedichte und Lieder
Gedichte, sind kleine sprachliche Kunstwerke, die mit wenigen Worten viel auf den Punkt bringen und reichlich Inhalt transportieren. 365 lyrische stimmungsvolle Gedichte und Lieder zu Tieren aus aller Welt, für jeden Tag eines, sind in dieser Anthologie versammelt.
Der Frühling ist die schönste Zeit
Der Frühling ist die schönste Zeit!Was kann wohl schöner sein?Da grünt und blüht es weit und breitIm goldnen Sonnenschein.
Am Berghang schmilzt der letzte Schnee,Das Bächlein rauscht zu Tal,Es grünt die Saat, es blinkt der SeeIm Frühlingssonnenstrahl.Die Lerchen singen überall,Die Amsel schlägt im Wald!Nun kommt die liebe NachtigallUnd auch der Kuckuck bald.
Nun jauchzet alles weit und breit,Da stimmen froh wir ein:Der Frühling ist die schönste Zeit!Was kann wohl schöner sein?Annette von Droste-Hülshoff
Dass die Vielfalt im Tierleben nicht nur zoologisch interessant ist, sondern sich eindrucksvoll in Poesie und Melodie umsetzen lässt, beweist dieser einmalig wunderschön ausgestattete Prachtband. Bekannte Reime und Kinderlieder, volkstümlich oder klassisch, von Morgenstern über Ringelnatz bis zu Johann Wolfgang von Goethe, sind genauso zu entdecken wie zeitgenössische Verse. Auch vom „Meister der kleinen Form“, Josef Guggenmos, sind viele Tiergedichte zu finden. Sein kinderlyrisches Werk versorgt Kinder mit hunderten Gedichten zum Tierreich.
„Jetzt singt im Wald, wer singen kann, vor Frühlingsglück nach langer Not.Und einer trommelt, dass es schallt:Der Buntspecht schwarzweiß-feuerrot.“
Josef Guggenmos
Ob kurz oder lang, ob ernst oder heiter, ob laut oder leise, Tierpoesie kennt viele Formen, und deshalb finden hier alle, ob groß oder klein, ihr tierisch schönes Lieblingsgedicht oder Lied.Die künstlerische Gestaltung dieser Anthologie ist ein umfassender zoologischer Bilderbogen. Sie lässt die Leserinnen und Leser in das geheimnisvolle Tierreich eintauchen und lädt ein, in den faszinierenden Bildern von Britta Teckentrup auf Abenteuer und Entdeckungsreise zu gehen.
Einen Leguan und die Schlange zwischen den Blättern zu entdecken, die Krebse und Meeresschildkröten im tiefen Blau des Meeres zu betrachten oder mit einem Braunbär durch die Bergwelt zu stapfen - alles ist möglich in diesem Bücherschatz.Die ausdrucksstarken Bilder von Britta Teckentrup geben der Lyrikanthologie einen atmosphärischen Zauber. Alleine schon deswegen sollten Kinder diese Gedichte über Tiere in ihren unterschiedlichen Lebensräumen wie Arktis, Dschungel, Savanne, Wiese und Wald erleben können.
Das umfangreiche, ästhetisch gestaltete Hausbuch, weckt viel Freude an der Lyrik und bezaubert mit seinen kunstreichen und genussvollen Bildern aus der Tierwelt. Eine rundum wundervolle Sammlung, ein Lyrik- und Kunstschatz, der jede Kitabibliothek bereichert.
Theoretischer Hintergrund
▪ Tierfiguren in Geschichten, Liedern und Gedichten für KinderTiere in all ihrer Vielfalt sind Begleiter durch die Kindheit. In Texten und Bildern für Kinder nimmt das Tier eine zentrale Rolle ein. Kinder haben eine besonders nahe Gefühlsbindung zu Tieren, sie fühlen sich ihnen ähnlich. Und trotzdem muss das Kind nie werden wie das Tier, der Vorbildcharakter fällt weg. Tierfiguren bieten Kindern die Möglichkeit, einen Lebensentwurf, eine Entwicklung zu spielen und auszuprobieren. Das hilft ihnen, ihre eigene Welt und sich selbst besser zu verstehen.Eine Tierfigur kann ein Stück Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder wiederspiegeln. Vielen Kindern fällt es leichter, sich mit einer Situation auseinanderzusetzen, wenn sie auf ein Tier projiziert ist. Das ermöglicht eine Begegnung mit fremden Erfahrungen, eine Gelegenheit, etwas zu erleben und zu testen, und zwar ohne Konsequenzen. Tierfiguren erlauben es Kindern, auf sehr unterschiedliche Art und auf verschiedenen Gebieten Erfahrungen zu sammeln.Die Kinderbuchautorin Hanna Johansen beschreibt die Beziehung zwischen Kindern und Tierfiguren so: „Das Kind weiß genau: Das Tier, das lebt nun mal anders als ich. So entsteht eine wunderbare Gleichzeitigkeit, indem sich die Kinder identifizieren und dennoch ‚ich‘ bleiben.“
▪ Kinder und Lyrik Kinder brauchen Gedichte, weil sie gebundene Sprache, Rhythmus und Reim lieben und nie genug davon bekommen können. Zur komplexen Wirklichkeit des Spracherwerbs gehören auch Sprachlust und Kreativität, und Lyrik vermittelt beides.Kinder leben in der Mündlichkeit, und so versteht es sich von selbst, dass Gedichte gesprochen, gelesen, rezitiert werden. Und weil Kinder Wiederholungen lieben und Reim und Rhythmus die besten Speichermedien für Sprache sind, machen sie sich Gedichte zu eigen, indem sie die Texte memorieren und auswendig sprechen. So kann man ein Gedicht ein Leben lang besitzen, was sich von wenigen materiellen Dingen sagen lässt, und kann sich auch ein Leben lang an diesem verinnerlichten Schatz erfreuen.
Lyrik erleben
Kinder lieben das Jonglieren mit Wörtern, Klangfarben, Rhythmen und Pausen, sie brauchen Gedichte, um ihre Vorstellungen und Phantasien zu beflügeln, ihre Erlebnis- und Verstehensfähigkeit zu intensivieren. In der Praxis sind Gedichte methodisch-didaktisch vielfältig umsetzbar. Über diese Vielfalt erhalten Sie im Folgenden einen Überblick unter der Fragestellung: Wie kommt das Gedicht zum Kind?
▪ Mit akustischen Mitteln- Das Gedicht vortragen, vorlesen, immer wieder vorlesen oder akustisch gespeichert vorlesen lassen (CD, mp3, etc.)- Das Gedicht bewegungsbetont – mit Gesten/Mimik, Pantomime - vortragen.- Das Gedicht vortragen und Textteile singen - Das Gedicht auf ein großformatiges Papier abschreiben, aufhängen und „vom Blatt lesen“- Das Gedicht wiederholt und mit einem anderen Gestus vortragen- Zusammen mit den Kindern im Kreis sitzen und das Gedicht seiner Stimmung entsprechend - leise, geheimnisvoll - noch einmal sprechen- Die Kinder einladen und ermuntern, beim Vortrag mitzusprechen- Teile des Gedichts gemeinsam chorisch sprechen- Das Gedicht mit verteilten Rollen sprechen- Das Gedicht vortragen und akustisch ergänzen durch: Instrumente, Percussion und Geräusche, die mit dem Körper oder mit Material produziert werden.- Im Gesprächs- und Gedankenaustausch, im Dialog wird es möglich, dem Gedicht und Dem, was es mit den Nutzern macht, auf die Spur zu kommen, der Lyrik nachzufühlen und nachzusinnen. ▪ Mit visuellen Mitteln- Das Gedicht szenisch lesen- Das Gedicht wird von einem Sprecher vorgetragen und eine oder mehrere Personen spielen parallel dazu die Szenen.- Es spricht die: Handpuppe, Stabpuppe, Marionette, Klappmaulpuppe, Schattenfigur- Material spricht- Bilder ergänzen den akustischen Vortrag- Das Gedicht wird in Schriftform präsentiert ( z. B. als laminiertes Tischset für zu Hause)
Medientipp von Sylvia Näger
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Britta Teckentrup:Das große Buch der Tiergedichte und Lieder. München: Ars Edition 2022, 320 Seiten | € 28,00 | ab 4
Medientipp März 2022
Hörnchen und Bär - Zwei ziemlich beste Freunde, unterwegs auf waldigen Abenteuern
Hörnchen ist ziemlich quirlig und aufgeweckt und mit dem geduldigsten Bär des womöglich allerbesten Waldes eng befreundet. Deswegen leistet es ihm auch sehr gerne Gesellschaft beim Alleinsein.
Hörnchen wohnt in einem Baum, nutzt einen Ast als Leseort, andere zum Frühstücken, Häkeln oder Warten auf Bär, seinen gemütlichen und etwas kauzigen besten Mitabenteurer. Der seufzt zwar manchmal über Hörnchen und seine verrückten Einfälle, ist aber grundsätzlich durch fast nichts zu erschüttern und ist unweit entfernt in einer Höhle zu Hause.
Fast jeden Tag gehen die Zwei zum Nicht-Angeln und alltäglich sind sie unterwegs auf Abenteuer. Dabei lüften sie das Geheimnis des Waldgeistes, experimentieren mit Toastern, erforschen Erdbeben oder überleben einen wilden Sturm. Schlechte Laune wird einfach wegerlebt, gesungen wird im Kaninchenchor, und fühlt Hörnchen sich herausgefordert, hilft Bär und umgekehrt natürlich auch, was allerdings selten vorkommt. In den in kindlicher Leichtigkeit und mit Humor erzählten Abenteuern stecken auch immer wieder sinnfällige Weisheiten. Wenn etwa Hörnchen hyperaktiv durch den Tag turnt und dann meint: "Manchmal ist es bisschen anstrengend, ich zu sein.“
Die zwanzig abgeschlossenen Geschichten leben von den herrlich markanten Charakteren und docken eng an den Interessen von Kindern an, was konzentriertes Zuhören fördert und viel spielerische Anschlusskommunikation ermöglicht. Erzählt wird in traditionellem bis heimeligem Ton, mit viel „hui“, was stimmungsvolle Vorlesefreude garantiert.
Dieses rundum gelungene, humorvoll illustrierte Vorlesebuch, mit Leinenrücken und Lesebändchen ausgestattet, sollte jedes Kind erlebt haben wenn es die Kita verlässt.
Theoretischer Hintergrund
Der primäre Weg, Kindern Literatur zu vermitteln, ist das Vorlesen. Beim Vorlesen und Betrachten von Büchern wirken Situation, Personen und Text zusammen und konstruieren eine Art Zwischenwelt. Das Vorlesen oder Erzählen hat dabei die Funktion einer Brücke zwischen einer schriftsprachlich festgehaltenen Vorgabe und den zuhörenden Kindern, denen vor allem die mündliche Sprache vertraut ist. Insofern bewegt sich das Vorlesen von Bilderbüchern und Texten zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und macht Kinder im Kindergartenalter mit dem Lernprozess vertraut, der sie mit dem Eintritt in die Grundschule erwarten wird, dem Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit.
Neben dem Elternhaus ist die Kita der zweite zentrale Vorleseort für Kinder. Für die Vorlesestudie 2021 hat die Stiftung Lesen in Kitas bundesweit befragt und wollte wissen wie das Vorlesen in Kitas verankert ist. Die erfreuliche Nachricht: In 91 % der Kitas erhalten Kinder mindestens einmal am Tag Impulse durch Geschichten. In neun von zehn Kitas ist Vorlesen auch Thema der Elternarbeit. 62% der pädagogischen Fachkräfte sind der Meinung, dass Kindern zu Hause zu wenig vorgelesen wird. 41% der Fachkräfte glauben, dass mehr als einem Drittel der von ihnen betreuten Kinder zu Hause gar nicht vorgelesen wird.
Für die Praxis
▪ Die Stimme: das Kostüm der Vorleserin
Wer eine Geschichte spannend vorlesen will, muss sie kennen. Deshalb: Lesen Sie die Geschichten, die sie vermitteln wollen, erst einmal selbst. Arbeiten Sie immer wieder an der Ausdrucksfähigkeit Ihrer Stimme. Zeigen Sie in Ihrer stimmlichen Gestaltung Engagement und lesen Sie wörtliche Rede mit veränderter Stimme. Damit werden das Wesen und die Emotionen von Hörnchen und Bär oder anderen Handlungsträgern und unterschiedliche Textstimmungen lebendig. Lautstärke, Tempo und Pausen sind dramaturgische Elemente in der sprachlichen Gestaltung eines Textes. Zum einen erhöht das bei Kindern die Bereitschaft aufmerksam zuzuhören, zum anderen erleben sie ein Lesevorbild, das Sprache prosodisch gestaltet. Auch das ist ein Ziel in der Sprachlichen Bildung und Förderung von Kindern.
▪ Schaukästen mit den Abenteuern von „Hörnchen und Bär“
Die waldigen Freundschafts-Geschichtchen von „Hörnchen und Bär“ bieten Vorleseabenteuer, in denen Kinder ihre alltäglichen Situationen und Wünsche erkennen. Hörnchens teilweise naives und verrücktes Verhalten verschafft Kindern ein gewisses Überlegenheitsgefühl und ist immer wieder Anlass zu Kommentaren, Feststellungen und Gesprächen. Bär, der ausgleichende Ruhepol, sorgt mit seinem vernünftigen Verhalten dafür, dass die Abenteuer nicht im Chaos enden.
Die Erzählungen bringen immer wieder auch andere Tiere ins Spiel, wie beispielsweise Hettie, eine winzige Zaunkönigin, Hopp, der Laubfrosch, singende Hasen und kellnernde Pinguine, oder den schweigsamen Daniel, ein weiteres Hörnchen. Der Wald mit seinem See, den Bächen, Felsen und Bäumen aller Größen und Arten sorgt für eine sehr atmosphärische Geschichtenkulisse. Mit „Hörnchen und Bär“ erleben Kinder ausgearbeitete Charakterdarsteller, Themen, die sie interessieren, und deshalb arbeiten beim Vorlesen kindliche Fantasie, Empathie und Imagination besonders intensiv. Somit sind das beste Voraussetzungen Leseerfahrungen handlungsorientiert zu gestalten und diese im Gestaltungsprozess zu vertiefen.
Unter den zwanzig abgeschlossenen Geschichten wird jedes Kind unschwer seine Lieblingsgeschichte finden, die es in einem Schuhkarton selbst in Szene setzen kann. Dafür taugen sowohl bereits vorhandenes Figurenmaterial und auch Naturmaterialen wie Moos, Steine oder Tannenzweige. Aus Karton lassen sich Figuren selber herstellen und in die Szenerie einfügen. Mit den „Waldbühnen-Schachteln“ wird eine „Hörnchen und Bär Geschichten-Ausstellung“ gezeigt und die Gestalter erzählen dazu Szenen aus ihrer ausgewählten und selbst gestalteten Geschichte.
▪ Wie „Hörnchen und Bär“ entstand
zeigt Andreas H. Schmachtl in zwei Filmclips:
https://www.facebook.com/arenaverlagfans/videos/h%C3%B6rnchen-b%C3%A4r/3959963630790043/
https://www.facebook.com/arenaverlagfans/videos/so-entsteht-eine-h%C3%B6rnchen-b%C3%A4r-illustration/572749707445112/
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Andreas H. Schmachtl:Hörnchen & Bär. Haufenweise echt waldige Abenteuer.Würzburg: Arena 2021, 216 Seiten | € 16,00 | ab 4
Medientipp Februar 2022
Was macht Püüüp? Ein Geräusch auf Identitätssuche
Püüüp ist klein, gelb und ein Geräusch mit Problem: Er weiß nicht zu wem er gehört und hat keine Ahnung was püüüp macht. „Finde es raus, jeder gehört irgendwohin. Finde den Ort, an den du gehörst. Und dann kannst du weiter geräuscheln. So wie ich“ rät ihm Plopp, das Wassertropfengeräusch, das faul in einem Schwimmring im Waschbecken hängt.
Gesagt, getan - der zauselige Püüüp macht sich auf die Suche nach seinem Zuhause.
Auf der Straße landet er im wilden Stadtverkehr, trifft Brumm Brumm, der total auf die Ampel fixiert ist und staunt über die Vielfalt der Geräuschkulisse. Verblüfft hört er die TATÜÜTATAAS, die auf dem Feuerwehrauto heranbrausen und als Quartett ihr ohrenbetäubendes TA TÜÜ TA TAA jaulen.
Auf der Baustelle trifft er Ratata, der wie besessen auf einem Presslufthammer herumhüpft. Auch er hat keine Ahnung, wer wohl ein püüüp von sich geben könnte. Im Konzertsaal erkennt Püüüp, dass er wohl auch keiner der Orchestertöne ist. Die schweben elegant durch den goldfunkelnden Saal und lassen verlauten, dass Geräusche dort gänzlich unerwünscht sind. Das Roahh im Museum, lässt ihn leider nicht mitmachen. Es gehört zu dem ausgestorbenen Dinosaurierskelett und brüllt nur noch nachts und aus Verbundenheit mit dem alten Urzeittier. Ratter, das taffe lila Geräusch aus dem Supermarkt, hängt über den Rollen des Einkaufswagens und bezeichnet ihn als Knallbirne. Und auch an das hastige Plipp, das auf dem Warenband an der Kasse joggt und jedes Mal mit einem Plipp in die Luft springt wenn der Kassierer Waren über den Scanner zieht, weiß nicht wo Püüüp hingehört. Im Wald trifft er auf den freundlichen Tschilp und lernt eine Menge Geräusche aus der Natur kennen: Knarz und Knack, Klack, Pock und Raschel, aber auch das besondere Superman-ähnliche Echo, das ewig zwischen Felswänden hin und her fliegt.
Verlassen und entmutigt hockt Püüüp am Meeresstrand, wo wilde Wellen schäumen, landet dann unverhofft auf einer Wiese, wo ein Schlürf an den Trinkbechern der Kinder steht und das Quietsch an der Schaukel hängt. Er staunt nicht schlecht als er etwas Kleines sieht, nichts hört und plötzlich weiß, zu wem er gehört und wo er zu Hause ist…
Der Reiz der Geschichte ist ein doppelter: zum einen die lautmalerische Ebene der Geräusche, zum anderen ihre Umsetzung ins Bild. Die Klanggestalten, die der geräuschsensible Püüüp auf seiner Reise trifft, sind reichlich schräg und skurril. Das visuelle Auslesen der Bilder macht auch deshalb so viel Spaß, weil kaum jemand figürliche Bilder zu Geräuschen im Kopf hat. So lebt das Bilderlesen von der Überraschung, wie beispielsweise der, dass das lila Schlürf lässig am Becherrand lehnt und cool einen Rüssel, ähnlich dem eines Ameisenbärs, in die Luft reckt. Genau so könnte es aussehen! Wem nach diesem Bilderbuch-Erlebnis geräuschvolles Geschlürfe zu Ohren kommt, bei dem wird wahrscheinlich ein lila Wesen als Bild im Kopf auftauchen…
Sprechen beginnt mit Hören, deshalb ist die auditive Wahrnehmung ein Bereich, den es zu sensibilisieren gilt. Die Suche von Püüüp nach seiner Herkunft und Zugehörigkeit ist ein wunderbar unterhaltendes und absolut inspirierendes Hör-und Bilderlebnis. Dabei werden Kinder in ihrer auditiven Wahrnehmung angeregt, sich mit Klängen, Geräuschen und Sounds in vielfältiger Art und Weise auseinanderzusetzen, genauer hinzuhören und zu unterscheiden.
Theoretischer Hintergrund
Hören verbindet uns mit der Umwelt. Hören ist nicht nur unerlässlich, um sprechen zu lernen, sondern auch, um in die Welt der Phantasie einzutauchen.
Geräusche, Klänge, Worte und Musik erregen sinnliche Aufmerksamkeit. Vom Aufhorchen bis zum Zuhören aber ist ein Stück Weg zu bewältigen. Zuhören, Horchen und Lauschen wollen gekonnt sein. Das Zuhören ist Zeit-geben und ein Grundelement unserer Kommunikation. Im Gespräch mit anderen Menschen ist es erforderlich, sich selbst zurückzunehmen. Zuhören können ermöglicht, an unserer Kultur teilzuhaben, so wie Schreiben und Lesen dies ebenfalls tun. Gründe genug also, den Hörsinn anzuregen, die Kulturtechnik Zuhören zu lehren und zu lernen. Am besten glückt das mit Handlungen und Erlebnissen. Dafür sind kreative und künstlerische Fähigkeiten ins Spiel zu bringen, um Hörangebote, Geräusch- und Klangwelten zu schaffen, die Kinder ganz Ohr werden lassen.
Für die Praxis
▪ Püüüp im szenischen Hör-Spiel
Die Handlung der Erzählung entwickelt sich linear, die Geräuschprotagonisten und Schauplätze werden nacheinander eingeführt: Wiese, Straße, Baustelle, Konzertsaal, Museum, Supermarkt, Kasse, Wald, Felsen, Meer. So kann die textlich doch etwas umfangreiche Geschichte einfach auf mehrere Tage aufgeteilt werden. Beim wiederholten Vorlesen können Kinder miteinbezogen werden und sich selbst als Geräuschemacher erleben.
Genauso gut lässt sich die Geschichte ins szenische Spiel umsetzen: die Vorleserin gibt den Text zu Gehör, einige Kinder übernehmen die Rollen der personifizierten Geräusche und produzieren diese.
▪ Geräuschejagd in der Kita
Jede Einrichtung hat ihre Geräusche und Töne, also auf zur Geräuschejagd: Gemeinsam wird überlegt, wo im Haus was zu hören ist: die quietschende Gruppentür, das Hämmern an der Werkbank, die singende Nachbargruppe, das Geschirrklappern beim Tischdecken, der einstürzende Turm aus Bauklötzen, die rauschende Toilettenspülung oder der Computersound im Leiterinnenbüro - alles wird hörend wahrgenommen und mit einem Aufnahmegerät festgehalten.
Geräusche einzufangen ist eine relativ unspektakuläre, aber erlebenswerte Teilstrecke auf dem Weg, das Zuhören zu lernen. Eine derartige Höraktivierung bringt die Ohren und vieles dazu in Bewegung.
- Wenn die Kinder in zwei Gruppen auf Geräuschejagd gehen, kann jede Gruppe, die Geräusche der anderen erraten.
- Die entdeckten Geräusche werden Wesen bildlich in personifizierte umgesetzt. So entsteht ein selbstgemachtes Kitageräusche-Bilderbuch .
▪ Akustisches Kita-Album
Klänge, Geräusche, Worte können auch den Jahresablauf in der Einrichtung dokumentieren: wenn die Stimme des Nikolaus zu hören ist, die Originalgeräusche der großen sommerlichen Wasserplanscherei, dazwischen die Osterlieder oder Gesprächsfetzen vom Ausflug in den Wald, dann sind das Klänge, die Erinnerungen aktivieren. Das akustische Album ist ein hochkarätiger Garant für Kommunikation unter Kindern. Solche Aufnahmen werden immer wieder angehört und geben Anlass zu Kommentaren, Feststellungen und Gesprächen.
▪ Geräuscheraten
Hinter einem großen Tuch verborgen stehen eine Geräuschehexe und ein Klangzauberer. Sie haben etwa 20 Gegenstände, die Geräusche und Klänge von sich geben: Glockenspiel, Würfel, Pfeife, Glöckchen, ein brummender Teddybär, Wecker und ähnliches.
Nacheinander - mit genügend langen Pausen - werden die Gegenstände hörbar gemacht. Die anderen Kinder, die vor dem Tuch sitzen, erraten das Gehörte. Danach schauen sich alle gemeinsam die Geräuschequellen an und besprechen, was tief oder hoch klingt, was leise, was laut zu hören ist: ein einfaches - und mit der Zeit für die Kinder auch selber inszenierbares - Hör-Spiel, bei dem sie eine momentweise völlige Aufmerksamkeit und Konzentration auf Geräusch- und Klangmaterial entwickeln können.
▪ Der Trailer zum Bilderbuch
https://www.youtube.com/watch?v=1AOx0qonO48
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Bernhard Hoëcker / Eva von Mühlenfels / Nicolai Renger:Was macht Püüüp? Stuttgart: Thienemann-Esslinger 2021, 32 Seiten | € 14,00 | ab 4
Medientipp Januar 2022
Eine Geburtstagstorte für den kleinen Bären
Das alljährlich wiederkehrende Ritual des Geburtstagsfeierns ist für Kinder außerordentlich bedeutend und für den kleinen Bären ist das nicht anders. Sein Freund Schweinchen fühlt und weiß das und beschließt, für die Feier einen Kuchen zu backen.
Es sucht erst einmal alle Zutaten. Mit viel Hingabe und Backlust rührt er alles zusammen, was da so in einen Kuchen gehört. Die gefüllte Kuchenform wird in den heißen Backofen geschoben und Schweinchen setzt sich hochzufrieden daneben. Mit Gemütsruhe und sichtlichem Behagen wartet es, bis der Kuchen fertig ist. Erdbeeren kommen noch drauf, und gerade wie Schweinchen die Sahne auf den Kuchen spritzt schaut der Hase vorbei. Begeistert bietet der sich als Sahnetester an, weil man ja schließlich insbesondere bei einem Geschenk wissen muss, ob es auch schmeckt...
Zu den emsig immer weiter kostenden Kuchenessern stößt dann auch noch Freundin Ente. Zum Probieren lässt sie sich nicht zweimal auffordern und schnabelt sich, sehr angetan, durch die Sahnetupfer. So wird eifrig gekostet, geprüft und getestet, als plötzlich das Geburtstagskind kleiner Bär da steht. Fasziniert hört er zu, wie die drei ihm den Originalzustand der Torte beschreiben - denn schließlich war sie einmal ein großes Ganzes.
Es schmälert seine Freude keinen Deut, als er erfährt, dass das seine Geburtstagstorte ist, die da bereits deutlich dezimiert vor ihm steht. Begeistert lässt er sich beschreiben, wie wunderbar der Kuchen schmeckt. Strahlend beißt der Bär in ein großes Stück Geburtstagskuchen und ist sich sehr sicher, dass er so etwas köstliches noch nie gegessen hat.
Gemeinsam wollen sie nun feiern und schmausen und ziehen mit der Torte in den Garten um. Dort hocken sie, genießen ihr Festmahl und spielen, schwatzen und singen den ganzen Nachmittag.
Erst als die Sonne untergeht, umarmt der Bär zutiefst erfüllt seine Freunde und verabschiedet sie. Auf dem Heimweg hält er überglücklich sein Fähnchen in den Wind und sinniert über die herrliche Torte samt Erdbeeren und Schlagsahne.
Dass er heute den allerschönsten Geburtstag seines Bärenlebens gefeiert hat, das fühlt er, als er in seinem Bett liegt und der Mond auf seine Decke scheint...
Eine zutiefst liebevoller Klassiker übers Freunde Sein, Feiern und die Daseinsfreude mit einem traditionsverdächtigen Geburtstagstorten-Rezept.
Theoretischer Hintergrund
▪ Zur Gestaltung von Text und Bild
Die Handlung der Erzählung entwickelt sich linear, die Protagonisten werden nacheinander eingeführt. So können bereits Dreijährige und Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, diese Geschichte leicht nachvollziehen. Der übersichtliche Bildaufbau und die klar konturierten Abbildungen tragen dazu ebenfalls bei. Die Tiere sind leicht naiv gezeichnet, ohne ins Betuliche abzugleiten. Vielmehr unterstreicht dieser Stil das kindliche Verhalten des liebenswürdigen tierischen Quartetts, das so gelassen und harmonisch agiert. Max Felthuijs erzählt diese Geschichte nicht ohne Augenzwinkern und beschreibt trefflich, wie riesengroß die kindliche Lust ist, Leckereien sofort probieren zu möchten. Wie mühsam es werden kann, auf den Zeitpunkt zu warten, an dem lukullische Köstlichkeiten freigegeben werden, erleben Betrachtende und Zuhörende hautnah mit.
▪ Zur Bedeutung des Geburtstags
In Kindergruppen sind jährlich etliche Geburtstage zu feiern. Einerseits ist die Dichte des Feierns eine immer wiederkehrende Herausforderung für die Begeisterungsfähigkeit der pädagogischen Fachkräfte, andererseits aber auch eine Chance für Rituale. Und gelebte und erlebte Gepflogenheiten sind besonders geeignet, um bei Kindern später immer wieder schöne Erinnerungen an die Zeit in der Kita wachzurufen.
Der eigene Geburtstag ist ein wichtiger Höhepunkt im Jahreslauf und wird von jedem Kind meist sehnsüchtig erwartet.
Die in unserer Kultur weit verbreitete Festgestaltung mit Kerzen, Blumen, Kuchen und Geburtstagslied zeigt dem Geburtstagskind, dass es heute besonders wichtig ist und dass man sich über sein Dasein freut. Das oft gesungenes Geburtstagslied: "Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst..." bekräftigt das explizit.
Für kleinere Kinder ist es wohltuend, wenn die Feier jedes Jahr ähnlich abläuft. So wie der kleine Bär sich riesig über die Aufmerksamkeit seiner Freunde freut und beim Zubettgehen ganz erfüllt von seinem Ehrentag ist: solche Gefühle wünscht sich jedes Kind auch für den eigenen Geburtstag.
Für die Praxis
▪ Die Bären-Geburtstagstorte selber backen
In Gesprächen mit den erwachsenen Bezugspersonen der Kinder kann die Geschichte ein trefflicher Aufhänger sein, über Rituale für einen lebendigen Jahresablauf ins Gespräch zu kommen. Und wer beim Lesen selbst Lust auf Süßes bekommen hat, findet im Buch das Rezept für die original-Bären-Geburtstagstorte.
Wird diese Geburtstagstorte mit den Kindern gebacken, können sich die Eltern überzeugen, dass dieser Kuchen genauso gut schmeckt, wie er problemlos zu machen ist.
Und das Rezept ist so simpel, dass vielleicht selbst Erwachsene, die am Geburtstag ihrer Kinder normalerweise mit Fertig-Kuchen in der Einrichtung eintrudeln, die Schürze umbinden und selber mal zum Rührlöffel greifen...
▪ Torten produzieren, ohne zu backen
- Runde Keksdosen können in eine Geburtstagstorte verwandelt werden. Für eine mehrstöckige Torte ist nur wichtig, dass die Größen der Dosen unterschiedlich sind, da diese aufeinander gestellt werden.
- Mit Pappe, Papier, Schleifen und vielen anderen Deko-Materialien werden "dauerhafte Kuchen" für mögliche Feste geschaffen: für ein Ritterfest, ein Hochzeitsfest, eine Gespenster-Party etc. Vielleicht gibt es eine Torten-Ausstellung?
- Auf einem rund ausgeschnittenen Papier werden unterschiedliche Kuchendekorationen mit unterschiedlichen Materialien, wie beispielsweise Muggelsteinen, erprobt.
Für den nächsten Geburtstag werden "Bärenfahnen" kreiert.
▪ Die Umsetzung in ein Laufbilderbuch
Satte Farben leuchten aus den nahezu gleichgroßen Bildszenen. Diese Voraussetzung und auch die günstige Größe bieten an, aus den fotokopierten Bildern ein Laufbilderbuch zu gestalten. Dafür werden die Fotokopien so aufgehängt, dass die Kinder die Geschichte ablaufen und dabei sprachlich rekonstruieren können.
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Max Velthuijs:Eine Geburtstagstorte für den kleinen BärenZürich: NordSüd 2021, 32 Seiten | € 15,00 | ab 4
Medientipp Dezember 2021
Kleine Schneeflocke
Am Winterhimmel, in einer Winternacht kam sie zur Welt, die kleine Schneeflocke. Jubelnd und jauchzend tanzt sie hin und her und beginnt hinab zu sinken. Nur, genau das will sie im Grunde ihres Herzens nicht, und so dreht sie sich weiter kreiselnd und schwebend am Himmel.
Wie sie über Berge und Flüsse treibt, entdeckt sie unten im Tal eine kleine Stadt, die ihr gefällt und in der sie ihr Glück versuchen möchte. Aber die Landung will nicht recht glücken, da der Wind sie immer weiter treibt. So gleitet sie an vielen erleuchteten Fenstern vorbei, als sie plötzlich einen wunderschön verzierten im Lichterglanz erstrahlenden Tannenbaum erblickt. Wie gerne wäre sie der Stern auf seiner Spitze. Auch Noëlle, die mit ihrem Opa unterwegs ist, bewundert diesen Baum. Sehnlichst wünscht sie sich ein Weihnachtsfest mit einem lichterglänzenden geschmückten Weihnachtsbaum. Ihr aber muss ein kleiner Tannenzweig genügen, den sie auf dem Nachhauseweg findet. Zusammen mit ihrem Opa bastelt sie den Schmuck für ihre kleine Ersatztanne und stellt diese nach draußen. Wie sie es so durchs Fenster betrachtet, hat sie das untrügliche Gefühl, dass ihrem Tännchen etwas Wichtiges fehlt. Nur was? Am nächsten Morgen ist die Welt ganz ruhig und leise – es hat geschneit. Noëlle blickt staunend ins Winterweiß und entdeckt, oben auf der Tannenspitze, die kleine Schneeflocke. Stolz und glücklich sitzt diese auf Noëlles Tanne, dem schönsten Landeplatz, den sich ein kleiner flockiger Schneestern wohl wünschen kann…
Benji Davies erzählt seine atmosphärisch dichte Geschichte in stimmungsvollen Bildern. Schattierungen von Blau- und Grautönen dominieren in der Reise und den Tänzen der Schneeflocke und schaffen spannungsreiche Kontraste von Licht und Dunkelheit. Sobald Noëlle und ihre Familie ins Bild kommen, dominieren kräftige satte Farben. Das Seitenlayout besticht durch seine Vielfalt und die großformatigen doppelseitigen Abbildungen von Landschaft, Stadtansichten und der langen Reise der kleinen Schneeflocke.
Die Rahmenhandlung der Geschichte erzählt von der Herausforderung der kleinen Schneeflocke, ihren Platz in der Welt zu finden. Die Binnengeschichte beleuchtet die Lebenssituation des Mädchens Noëlle, ihre Gefühle und ihre Wünsche, die durch eine offensichtlich bescheiden ausgestattete familiäre Lebenssituation, nicht immer erfüllbar sind. Die geglückte Verbindung der beiden Stränge bindet die Leserinnen und Leser emotional mit ein und regt auch zu eigenen Sichtweisen und Betrachtungen der Weihnachtszeit an.
Die wunderschöne und poetische Geschichte rückt die Weihnachtsbotschaft unverbraucht und magisch ins Bild. Sie lässt wissen und erspüren, dass das Weihnachtsfest weder Konsum noch Prunk braucht, sondern ein freudiges Miteinander und Geben, das von Herzen kommt.
Schneeflocken als Glücksgefühl
„Wir haben nur diesen einen Augenblick, strahlend wie ein Stern in unserer Hand und dahinschmelzend wie eine Schneeflocke“. Dieses Zitat von Sir Francis Bacon stellt Benji Davies seiner Wintergeschichte voran, die er seinem Vater widmet. Schnee ist der Inbegriff des Winters und zeigt sich in gegensätzlicher Weise: Er richtet Chaos an und er bringt Schönheit: Schnee erhellt graue triste Wintertage, dämpft und verlangsamt die Welt. Psychologisch ist belegt, dass nicht nur verschneite Landschaften, sondern selbst die symmetrische Struktur der Schneekristalle den Menschen in seiner Vorliebe für Ebenmaß beruhigen. Das kalte Element Schnee schürt Emotionen und in der Beurteilung aktueller winterlicher Wetterlagen stellt sich oft die Frage, ob wir es mit den Folgen der Klimaveränderung oder verklärter und verschleierter Erinnerung zu tun haben. Nahezu jeder Erwachsene glaubt sich zu erinnern, dass es früher häufiger und intensiver geschneit hat. Psychologisch ist das erklärbar: diese Legende lebt vor allem von glücklichen und unvergesslichen Kindheitserlebnissen.
Theoretischer Hintergrund
Schnee-Physik
Wenn aus einer Wolke Wassertröpfchen als Kristalle zur Erde sinken, verzahnen sie sich und bilden so eine Schneeflocke. Schneeflocken bestehen aus feinen Kristallen, die wie Plättchen, Nadeln, Säulen oder Sterne aussehen und zeigen häufig eine sechsfache Symmetrie. Die Form des Kristalls hängt hauptsächlich von der Temperatur sowie von der Luftfeuchtigkeit in der Wolke ab. Und wie im Bilderbuch gleicht auch in der Natur keine Schneeflocke, der anderen: Jede hat ihre individuelle Form.
Schneeflocken enthalten 95% Luft und schweben deswegen langsam, mit nur 0,5 Metern in der Sekunde. In der verästelten Struktur des Neuschnees bricht das Sonnenlicht wie in unzähligen kleinen Spiegeln.
Auf der folgenden Bildtafel befinden sich Variationen sternförmiger Schneekristalle, fotografiert von Wilson Bentley.
“Es schien mir eine Schande, dass diese Schönheit nicht von anderen bewundert werden sollte”, schrieb er 1925. Und so ging der amerikanische Farmer jahrzehntelang mit einem Tablett auf Flockenjagd, sortierte die “Meisterstücke” aus und fotografierte sie unter dem Mikroobjektiv. Mehr als 2000 Aufnahmen sind in seinem Buch “Snow Crystals” veröffentlicht.
Für die Praxis
Gespiegelte Schneeflocken
Eine wunderbare kaleidoskopartige Sichtweise kann mit Abbildungen von Schneeflocken erlebt werden, die sich in einem selbsthergestellten Klappspiegel mehrfach spiegeln, sodass faszinierende Muster sichtbar werden.
Zwei Spiegelkacheln werden mit einem Klebstreifen zu einem beweglichen, („buchartigen“) Doppelspiegel zusammengeklebt, so dass die Spiegelflächen die inneren Seiten ausmachen. - Eine quadratische Abbildung eines Schneekristalls wird ausgeschnitten und zwischen den aufgeklappten Doppelspiegel gelegt. So entstehen mehrere Spiegelbilder.
Im Netz sind viele Abbildungen von Schneekristallen zu finden, die Kinder auch anregen können, ihren eigenen „Schneestern“ zu zeichnen.
Steht der Klappspiegel im 90°-Winkel, entstehen 3 perfekte Spiegelbilder, im 60°-Winkel sind es 5 perfekte Spiegelbilder.
Schneeflöckchen, Weißröckchen
Das schönste aller Winterlieder, geschrieben 1869 von der Breslauer Kindergärtnerin und späteren Lehrerin Hedwig Haberkern (1837–1902), bringt in seinem Text den Kern der im Buch erzählten Geschichte mit wenig Worten auf den Punkt:
Schneeflöckchen, Weißröckchen,wann kommst du geschneit?Du wohnst in den Wolken,dein Weg ist so weit. Komm setz dich ans Fenster,du lieblicher Stern,malst Blumen und Blätter,wir haben dich gern.Zum Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=Ca7xgHexwSA
Schneeflocken-Lyrik
Schneeflocken
Wende ich den Kopf nach oben:
Wie die weißen Flocken fliegen,
Fühle ich mich selbst gehoben
Und im Wirbeltanze wiegen.
Dicht und dichter das Gewimmel
Eine Flocke bin auch ich.
Wie viele Flocken braucht der Himmel,
Eh die Erde langsam sich
Weiß umhüllt?
Alfred Hensche (1890-1926)
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Benji Davies:Kleine SchneeflockeStuttgart: Aladin 2021, 32 Seiten | € 15,00 | ab 4
Medientipp November 2021
Reim und Rhythmus sind Speichermedien für Sprache
In der Entwicklungsphase, in der Kinder gerne Reimen zuhören, Verse nach- und mitsprechen, wird ihr Gehör sensibilisiert für die Klanggestalt der Sprache. Diese Klanggestalt wird später beim eigenen Lesen zur inneren Sprache. Und diese erzeugt in uns die Vorstellungskraft, die Texte beim Hören oder Lesen lebendig werden lässt.
Insbesondere Kinder, die noch keine Schriftzeichen dechiffrieren können, leben in einer stark mündlich geprägten Kultur – und Reime, Gedichte und Fingerspiele sind zum Sprechen da. Wiederkehrende Reime und Rhythmen empfindet ein Kind als Zuwendung und Bestätigung. Sein intensives Bedürfnis nachzuahmen ist der Motor, die Sprache zu erlernen und auch seinen Körper zu beherrschen, Gefühle zu äußern und zu kommunizieren. Somit bieten sich rhythmische Spiel- und Sprechverse im Kontext der Sprachförderung besonders an, da eine Einheit von Handeln und Sprechen gefordert ist, die dem Kind zu einer authentischen Aussprache verhilft.
Die große Rhythmikerin Wilma Ellersiek, 1921 – 2007, war viele Jahre Professorin für Rhythmik, Schauspiel und gesprochenes Wort an der Hochschule für Musik in Stuttgart. In ihrer Arbeit widmete sie sich insbesondere der Wirkung von Rhythmus auf das Kind im Vorschulalter. Mit großer Sorgfalt und Intuition erarbeitete sie zahlreiche Finger- und Handgestenspiele in gereimter Sprache, durchwoben von Rhythmus und Musik.
Eine Auswahl ihrer künstlerisch geprägten Sprachgebilde bietet der Band „Die tanzende, spielende Hand“. Dessen Finger- und Handgestenspiele vermitteln, wie die Bewegungen der Hände, Fäuste, Daumen und Zeigefinger das aktiven und rhythmisch klangvollen Sprechen anregen und herausfordern. Die Spiele, deren Schwerpunkt in der reinen Bewegungsfreude liegen, machen die Urgebärden der Sprache als reines Klangerlebnis erfahrbar. Bei „Flap und Flop“ handelt es sich um die zwei tanzenden Daumen, „Molle-Mulle“ spielt klangvoll mit Silben und Fäusten, während mit „Pöm und Pam“ ein kleines Abenteuer intensiv bewegt erlebt wird. Damit das gelingt, finden sich zu jedem Text bestens verständliche Bewegungsanleitungen, die mit detaillierten Zeichnungen unterstützend visualisiert sind.
Da jedes Handgesten- und Fingerspiel von Wilma Ellersiek ein kleines Kunstwerk ist, das Bewegung, Sprache und Musik vereint, regen Zunge und Hände das kindliche Sprachzentrum im Gehirn mächtig an. Weil Kinder es ungemein lieben, Sprache und Rhythmus so bewegt zu erleben, sind die Sprachgebilde von Wilma Ellersiek eine betont humane und sehr freudvolle Form, die Sprachentwicklung zu begleiten und zu fördern.
Dass Wilma Ellersieks Sprachschätze denen, die sie vermitteln und mit Kindern erleben dürfen, einiges Lernen abverlangen, das ist gut so. Wer sprachliche Bildung ernst nimmt und engagiert angeht, erlebt sich sicherlich auch gerne selbst als lernendes Individuum. Und ansonsten gilt das alte Sprichwort. „Übung macht den Meister“.
Dabei hilft die gleichnamige DVD weiter. Für das learning bei doing sind die Hand- und Fingerspiele detailgenau filmisch dokumentiert: sowohl frontal als auch von der Seite. Diese aufwendige Verfilmung erleichtert und unterstützt dabei, sich in diese Sprachkunst einzuleben.
Ein wunderbares Werk, das dafür Sorge trägt, dass Kinder Sprache ungemein klanglustig und ausdrucksvoll erleben - und das ist eine bedeutende Motivation für ihre Sprachentwicklung.
Für die Praxis
Für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, sind Reime und Verse eine besondere Stimulanz. Mit ihren ausgeprägt klanglichen Strukturen wecken sie die Lust der Kinder, ihren deutschen Wortschatz auszubauen. Sprachen unterscheiden sich in ihrer Sprachmelodie. Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, brauchen Verse und Gedichte, um die rhythmischen und prosodischen Muster der deutschen Sprache zu erkennen. Mit der Sprache zu spielen macht Spaß; die Rhythmen und Laute werden lustvoll und positiv erfahren und ermöglichen Kindern spontane Erlebnisse mit grundlegenden Strukturen ihrer Zweitsprache.
Folgende Anregungen geben einen Eindruck in die Arbeit mit den Texten von Wilma Ellersiek:
Die kleinen Abenteuer von „Pöm und Pam“ sind ein Fingerspiel mit umfangreichem Text. Es lohnt sich, dieses rhythmisierte, vom Einsatz der Fäuste geprägte Gestenspiel zu erarbeiten. Wer es frei sprechen kann und sich den Ablauf der Bewegungen eingeprägt hat, ist im Besitz eines rhythmisch und klangvollen Spiels mit der Sprache – eines das Kinder fasziniert, herausfordert und gleichzeitig viel Spaß erleben lässt.
Pöm und Pam, die beiden,
mögen sich gern leiden!
Pöm und Pam,
die wandern, wandern
einer mit dem andern,
in die Welt hinaus.
Kehren um
und wandern, wandern,
einer mit dem andern,
zurück, zurück nach Haus
und ruh‘n ein Weilchen aus.
Jetzt springen sie. Seht nur, wie:
Pöm über Pam, Pam über Pöm.
Pöm über Pam, Pam über Pöm.
Pöm – Pam – Pöm – Pam
und hopp und hopp und hopp und stopp!
Noch einmal hin und her, ….
Das komplette Handgestenspiel können Sie hier auf Youtube sehen und hören
Pöm und Pam in acht Sprachen
In der Ende 2020 erschienen englischsprachigen Sonderausgabe der Zeitschrift „erziehungskunst frühe kindheit“ finden Sie den Text zum Handgestenspiel „Pöm und Pam“ in acht verschiedenen Sprachen: englisch, deutsch, russisch, kroatisch, französisch, koreanisch, polnisch und spanisch.
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Wilma Ellersiek, Herausgegeben von Jacqueline Walter, Ingrid Weidenfeld:Die tanzende, spielende Hand. Rhythmisch-musikalische Hand- und Fingerspiele. Stuttgart 2021, 103 Seiten | € 23,00 | DVD | € 20,00
Medientipp Oktober 2021
Geschichten von Panda und Eichhörnchen: innig, emotional und herzensgut
Ziemlich beste Freunde sind sie, Eichhörnchen und Panda. Zwei, deren Freundschaft darauf beruht, dass man sich gern hat und dass Gefühle in der Beziehung eine große Rolle spielen.
Ihre tiefe gegenseitige Zuneigung lässt ihnen Raum für unterschiedliche Sichtweisen und ist die sichere Basis, auf der sie auch Konflikte und Widersprüche leben können.
So heißt es einmal: »Du darfst mich immer stören, Eichhörnchen«, sagt Panda. – »Auch wenn du so brüllst, Panda?« – »Wenn ich brülle, wenn ich schweige, wenn ich schimpfe, wenn ich schnarche. Immer!« Freundschaft beruht eben zumindest zu einem bestimmten Maß auf Gegenseitigkeit…
Die Erlebnisse und auch die Fragen, die sich die Protagonisten stellen, enthalten grandiose Perspektiven und regen zum gemeinsamen Nachdenken und Nachfühlen an.
Als gute Freunde sind sich Panda und Eichhörnchen meist einig, was allerdings nicht ausschließt, dass sie immer wieder mit dem gemeinsamen Aushandeln dessen, was richtig oder gerecht ist, beschäftigt sind: Panda will Eichhorn nicht suchen, weil der kleiner ist und sich viel besser verstecken kann. Eichhorn will nicht spielen, wer am lautesten brüllen kann, weil Panda groß und dick ist und lauter brüllen kann. Derlei Situationen aber lösen die Freunde dank ihrer felsenfesten Zuneigung. Und diese in den Worten spürbare Zuneigung ist es wohl auch, die die Zuhörenden tief in die Geschichten hineinzieht, die mit charmanter kindlicher Weltsicht vom Spielen und vom Streiten, vom Mond und der Langeweile, von einer Reise, die nur zwei Schritte dauert, oder von Tweetie, dem frisch geschlüpften Entchen erzählen.
Kinder brauchen Magie und Phantasie und ganz eigene Symbole, um auf einer verlässlichen Basis Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl zu entwickeln. In den Geschichten von Eichhörnchen und Panda pflegt der flämische Erzähler Ed Franck eine ebenso einfache wie magische und kindgerechte Art des Erzählens. Diese konnte er finden, weil er es versteht, sich auf kindliche Phantasien einzulassen. Wie großartig, dass Thé Tjong-Khing die Welt von Panda und Eichhörnchen in seinen Bildern so ausdrucksstark in Szene gesetzt hat, dass sie die Imaginationskraft von Kindern lustbetont anregen und uns Erwachsene an der Welt kindlicher Wünsche und Vorstellungen teilhaben lassen.
Ein rundum literarischer Glücksfall, der dafür sorgt, dass Kinder das Suchen und Finden der eigenen Person in den handelnden Figuren der Geschichten leicht fällt und sie in ihrer Selbstfindung weiterbringt.
Theoretischer Hintergrund
Zum Leser wird man nicht von allein: Sprache und der erste Zugang zur Literatur entfalten sich durch die Nähe zu Erwachsenen. Die Begleitung von kompetenten Anderen, die das Le-sen anregen – indem sie als Lesevorbilder, als Gesprächspartner und -partnerinnen und damit als Türöffner in die Welt der Schriftsprache auftreten –, entscheidet über diese Entwicklung.
Dass Kinder ins Lesen hineinwachsen bildet die Basis dafür, dass sie später selbst lesen, Lese-freude und Lesemotivation entwickeln. Die Forschung zur Lesesozialisation geht davon aus, dass der Aufbau der schriftsprachlichen Kompetenzen zu einem großen Teil darauf beruht, wie routiniert und verlässlich Kinder und Erwachsene Buchkultur gemeinsam gelebt und erlebt haben. Wesentlich geprägt wird die zukünftige Lesekompetenz davon, wie oft und wie intensiv das Kind mit nahestehenden Bezugspersonen Zeit mit Büchern und Vorlesen verbracht hat.
Vorlesen als Akt der Nähe, in dem sich Sprache, gemeinsam gestaltete Zeit und Lesefreude spiegeln, ist beste Erziehungs- und Bildungszeit.
Die Lust zu Lesen entsteht also Schritt für Schritt: Wer früh vorgelesen bekommt, entwickelt eine höhere Motivation, bald auch selbständig zum Buch zu greifen.
Für die Praxis
„Vorlesen ist die Mutter des Lesens.“ Johann Wolfgang Goethe bringt es mit seiner Aussage auf den Punkt. Die Geschichten von Panda und Eichhörnchen sind wunderbarer Vorlesestoff, der die kindliche Sicht der Dinge und spannende Dialoge anregt: „Was könnten Panda und Eichhorn noch versuchen, um den Mond zu pflücken? Welche Formen kann der Mond denn haben? Wer ist dein Freund? Warum wollen wir Menschen einen Freund/eine Freundin haben? Sollen wir dem Mond eine Rutschbahn bauen, dann kann er uns besuchen kommen…?“
Zudem gibt es zu jeder Geschichte reichlich handlungsorientierte Anschlusskommunikation, wie die folgenden Beispiele zur titelgebenden Geschichte zeigen:
- Panda will gerne den Mond vom Himmel pflücken, um mit ihm zu spielen. Seinem Freund Eichhörnchen erklärt er: „Die Kinder im Dorf spielen oft mit Bällen … sie lachen und singen, während sie sich die Bälle zuwerfen.“
So ermöglicht die Geschichte, in der es zwar nicht gelingt den Mond vom Himmel zu pflücken, dafür aber eine wunderbare Freundschaft geschlossen wird, dieses erwähnte Ballspiel der Kinder aufzugreifen. Hierzu zwei Spielanregungen:- Ballspiel: Ab ins Körbchen
Ein Papierkorb wird auf einen Stuhl gestellt. Von einer Abwurflinie aus versucht der erste Spieler/die erste Spielerin, den Ball in den Korb zu werfen. Nacheinander haben alle fünf Würfe frei. Die Treffer werden in einer Strichliste aufgeschrieben, und dann wird die nächste Station gebaut: der Papierkorb steht auf den Tisch, dem Schrank, usw.
Spielt man draußen, kann der Korb auf dem Liegestuhl, auf der Spitze einer Sandburg oder auf der Schaukel stehen, oder aber er wird mit einer Schnur an einen Ast im Baum gehängt. - Ballspiel: Ball auf den Teller
Auf die Erde wird ein Kreis gemalt, so groß wie ein Suppenteller. In 1 bis 2 Meter Entfernung stellen sich zwei Kinder einander gegenüber auf - sie haben den Kreis also zwischen sich. Gegenseitig werfen sie sich nun den Ball so zu, dass der jedes Mal im Kreis aufspringt, bevor er vom gegenüberstehenden Spieler aufgefangen wird. Wird der Kreis durch einen Reifen ersetzt, kann das Spiel auch von jüngeren Kindern gespielt werden.
- Ballspiel: Ab ins Körbchen
- „Dann fangen sie beide leise an zu singen. Ein Lied über den Mond.“ So endet die erste Geschichte im Buch, und da wollen wir ja gerne mitsingen… Vielleicht: „Der Mond ist aufgegangen, / die goldnen Sternlein prangen / am Himmel hell und klar; / der Wald steht schwarz und schweiget, / und aus den Wiesen steiget / der weiße Nebel wunderbar.“
https://www.singkinderlieder.de/video/der-mond-ist-aufgegangen/
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Ed Franck / Thé Tjong-Khing: Den Mond vom Himmel pflücken.Geschichten von Panda und Eichhorn.Frankfurt: Moritz 2021, 56 Seiten | € 14,00 | ab 5
Medientipp September 2021
Weltweit: Feierlaune
Jedes Fest entspringt aus einer Sehnsucht und ruft Sehnsüchte wach. Wenn es gelingt, schießt es so zu sagen über den Alltag hinaus. Im Jahreslauf reihen sich die Feste auf wie die Perlen einer Silberkette. Und dazu kommen noch - von der Wiege bis zur Bahre - die Meilensteine und Wendepunkte im Lebenslauf jedes Menschen, die von Festen, Sitten und Gebräuchen geformt werden.
Feste haben Aufgaben und Hintersinn: sie gliedern das Jahr und deshalb findet „vom Frühling bis zum Winter in jeder erdenklichen Ecke der Welt ein Fest statt.“
„Wir feiern“ ist ein international ausgerichtetes Buch, das 100 witzige und wichtige Feste aus der ganzen Welt versammelt und ihre Hintergründe und Traditionen beleuchtet. Dabei geht es weit über religiös veranlasste Feste wie Ostern, Weihnachten oder Ramadan hinaus. Denn es werden sowohl kulturelle Feiertage wie der „Weltfrauentag“ vorgestellt als auch solche mit politischen Wurzeln wie der „Martin Luther King Jr. Day“ an dem weltweit seinem Wunsch nach einer gleichberechtigten und freiheitlichen Gesellschaft erinnert und gedacht wird.
Die jahreszeitliche Gliederung des Buchs macht Sinn, denn Frühling, Sommer, Herbst und Winter geben weltweit Anlass, Menschen zusammen zu bringen, zu feiern und damit das immer Wiederkehrende im Alltag zu unterbrechen. Nicht nur zeitlich, sondern beispielsweise auch in der Ernährung. Feier- und Festtage bieten oft intensive Gaumenfreuden und speziell dafür Zubereitetes; von bunten Ostereiern über leckere Zwiebel-Snacks, bis hin zu Safranbrot und Ingwerkeksen - je nach Region und Gepflogenheit.
Der Baumfesttag in den Niederlanden, das chinesische Eis- und Schneefestival in Harbin oder das Kirschblütenfest in Japan – weltweit stehen viele Feste auch in direkter Beziehung zur Natur. Selbst wenn diese heute nicht überall so intensiv wie früher erlebt werden kann, brauchen wir die Freude und die Form der Selbstbestärkung, die in Bräuchen und Ritualen steckt. Auch wer keine Kirschen erntet, sondern diese auf dem Markt kauft, möchte das Kirschblütenfest feiern. Das Bedürfnis, den Alltag außen vor zu lassen, Höhepunkte zu markieren, und in der Familie, im Freundes- oder weiteren Kreis Anlässe zum Fest werden zu lassen, wird nicht dadurch beeinträchtigt oder vergessen, dass man mit dem eigentlichen Festursprung nicht mehr unmittelbar verbunden ist.
Claire Crace vermittelt uns auch außergewöhnliche Rituale wie der schweizerischen Almabtrieb oder skurrile Traditionen wie ein festliches Menü, das in der thailändischen Stadt Lopburri für die dort lebenden und angeblich glücksbringenden Affen ausgerichtet wird.
Der Illustrator Christopher Corr beschreibt seinen Zeichenstil als bunt, fröhlich. Er möchte „unsere Welt, ihre Menschen und Tiere feiern und unsere Geschichten teilen.“ Dass ihm dies mit seinen kreativen Illustrationen gelungen ist, lässt sich auf jeder Seite eindrücklich erleben.
„Wir feiern“ ist ein Buch, das weltoffen vermittelt wie Feste rund um den Globus gelebt und gefeiert werden. Es zeigt Kindern und Erwachsenen kulturelle Vielfalt aus aller Welt und vermittelt eindrücklich, dass die Lust am Feste feiern die Menschheit verbindet.
Theoretischer Hintergrund
Feste, die öffentlich gefeiert werden, gehören seit jeher zur Kultur des Menschen. Dorffeste, Kirchweih und Kirmes, aber auch jahreszeitliche Angelpunkte wie Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen waren immer schon Treffpunkt und Tummelplatz für viel Volk.
Seit altersher haben auch Spiele eine Rolle in der Gestaltung von Feierlichkeiten gehabt. Nicht selten, um böse Geister zu irritieren oder abzuhalten. Überreste solcher Vorstellungen sind in manchen Reigen- und Kreisspielen zu erspüren.
Vieles, mit dem wir festliche Tage gestalten, hat einen alten magischen Ursprung. Geburtstagsfeste und Einladungen entstanden als Schutzgesten und aus dem Sicherheitsbedürfnis für das neue Lebensjahr. Man gratuliert sich, weil man in alten Zeiten glaubte, dass sich die bösen Geister besonders leicht über einen Menschen hermachen, wenn der ungeschützt zwischen den Lebensjahren steht. Dass dagegen hilft, viele Menschen um sich zu scharen, mit denen zusammen zu sein, die einem behüten, liegt doch nahe.
Solche Auffassungen und Blickwinkel wieder zu bedenken und zu betrachten hat seinen Reiz. Manches Ritual, das mitunter etwas leblos und eintönig erscheinen mag, sieht man so in neuem Licht. Auch die Motivation, eigenes zur Fest- und Feiergestaltung zu ersinnen und zu pflegen, kann dadurch beflügelt werden.
Für die Praxis
Die menschliche Psyche liebt das Ritual und lebt nur ungern ohne es. Rituale, Symbole und Gebräuche prägen Feste, das heißt nun aber wiederum nicht, dass diese immer nach dem gleichen Muster ablaufen müssen. Nicht bei jedem Fastnachtfest müssen die Kinder geschminkt werden. Nicht jedes Sommerfest braucht Väter am Grill, die Kuchentheke der Mütter oder die Bewegungsbaustelle für die Kinder. Zuviel Routine kann Fest- und Feierlust töten wie zu viel Festangebote. Wer nach Ostern bereits in Gedanken über das Abschiedsfest für die Schulanfänger stöhnt, kann wahrscheinlich nicht mit Vorfreude kreativ und organisatorisch tätig werden.
- Solide Planung und Muße beim Vorbereiten tragen aber einen gewichtigen Teil dazu bei, Genuss und Lust am Feiern zu erhalten. Wie gesagt: Ein Fest wird zum Fest, wenn man gemeinsam feiert, und nicht, wenn man gemeinsam konsumiert. Dass Gäste sich wohl befinden, Selbstbestärkung und Glücksmomente erleben, hängt erstaunlich wenig von pompös-aufwändiger Festgestaltung ab.
Mut zur Einfachheit dient meist dem Wesentlichen eines Festes. Kinder, Eltern und andere Gäste wissen das oft zu schätzen. Wer sich auf eine solche Art von Gestaltung einlassen kann, spürt dass sich was in Kopf und Herz tut. Den Festen und Feiern bekommt das gut. Sie werden freier, bunter und vielfältiger... - Die Lust und das Bedürfnis, Feste zu feiern, liegt wie gesagt auch darin, mit anderen zusammen zu sein, sich wohlfühlen zu möchten und sich selbst in einer Gemeinschaft zu erleben.
Gemeinschaftserlebnisse, sind aber auch solche Begebenheiten, die nicht alle punktgenau miteinander erleben müssen. Vielmehr zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie einen gemeinsamen Nenner schaffen, von ihrem Wesen also möglichst vielen Teilnehmern der Festgesellschaft entgegenkommen. So bietet die Tatsache, dass in jeder Kita verschiedene Sprachkulturen zu Hause sind, ein Fest mit dem Thema „Unsere Sprachen, Bücher und Geschichten“ ein solches Gemeinschaftserlebnis, das sich in erstaunlicher Vielfalt gestalten lässt. - Übrigens soll es auch Pädagoginnen-Feste geben. Warum soll sich ein Team für ein gelungenes Kita-Jahr oder Kita-Fest nicht selbst belohnen? Oder was liegt näher, als wenn sich nach tiefen Tälern in der Arbeit wieder Lichtblicke und Höhen zeigen, diese auch gebührend wahrzunehmen und wohltuende und festlich zu gestalten?
In diesem Sinne: Feste soll man feiern, wenn sie fallen und wohltun.
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Claire Grace / Christopher Corr: Wir feiern! Ein Jahr, viele bunte FesteLeipzig: EA Seemanns Bilderbande, 2021, 128 Seiten| € 22,00 | Für Alle und Kinder ab 5
Medientipp August 2021
Ich bin anders als du – Ich bin wie du
In der aktuellen Auseinandersetzung um Inklusion und Diversität geht es darum, allen Menschen eine uneingeschränkte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft zu ermöglichen und jegliche Form von Diskriminierung oder des „an den Rand Drängens“ von Menschen aufgrund von zugeschriebenen Merkmalen zu verhindern.
Dafür braucht es Impulse, die Kinder und Erwachsene zum Wahrnehmen und Nachdenken, zum Mitfühlen und sich darüber austauschen anregen. Bilderbücher haben diese Kraft, und geben Impulse, wenn sie Inklusion und Diversität vielfältig und ohne Klischees und stereotype Illustrationen sichtbar werden lassen. Ein solches Buch hat Constanze von Kitzing mit Ihrem „Ich bin anders als du - Ich bin wie du“ geschaffen. Bereits vor zwei Jahren ist es als Pappbilderbuch im quadratischen Format erschienen.
In der neuen, großformatig gebundenen Ausgabe zeigt es sich nicht nur als Wendebuch, sondern erzählt in ausführlichen Texten über die Vorlieben, Eigenheiten und das Dasein der Kinder und Menschen die wir kennen lernen: Mila beispielsweise trägt ein Hörgerät, denn sie ist schwerhörig.
Sie lernt die Gebärdensprache und ihre Lieblingstiere sind Pferde, Meerschweinchen und Delphine. Ihr Zuhause teilt sie mit sechs Geschwistern und gern hätte sie ein Haustier. Leider gibt es dafür keinen Platz, aber vielleicht wird sie mal Tierärztin werden. Ihre Schulfreundin Nura mag Elefanten und zeichnet sie auch gerne. Zusammen mit Oskar, der in der Kita Kunterbunt ist, malen sie rechts- und linkshändig riesige Elefanten an eine Wand. Oskars Papa arbeitet übrigens als Erzieher in der Kita Zwergenmütze und kommt mit Kindern aus seiner Kita für ein Fußball-Turnier zu Besuch in Oskars Kita…
Was verbindet oder unterscheidet ist in diesem Buch nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erfassen. Die Bilder von Constanze von Kitzing spielen mit den Gedanken der Betrachtenden und überraschen diese dann, indem sie das Offensichtliche unterlaufen.
Sergej und Lilli verbindet nicht ihre augenscheinlich lockigen Haare oder ihr Pausenbrot, sondern, wie wir nach dem Umblättern feststellen können, etwas ganz anderes.
So erfahren wir seitenweise reichlich über die Hobbies und Vorlieben, über die Interessen und Wünsche der porträtierten Kinder und ihrer Familien. Wir nehmen Anteil an ihrer Lebensweise, an dem was sie verbindet und unterscheidet. Im Erleben dieser verknüpften Welten wird eine „Normalität“ beschrieben, die zeigt wie bunt Vielfalt ist und, dass eine Gesellschaft gut tut, diese gemeinsam zu leben. Constanze von Kitzing gelingt diese Verbindung von Individualität und Diversität absolut überzeugend und spannend, was auch daran liegt, dass sie ihrem Bilderbuch eine ungemeine Leichtigkeit und Menschlichkeit mitgibt.
„Ich bin anders als du – Ich bin wie du“ ist ein Buch, das vielfältig zu genießen ist: im Selberlesen der Bilder genauso wie als bildstarke Lektüre für Erstleser. Beim gemeinsamen Lesen zeigt sich auch der Gewinn der Neuausgabe: die im ausführlichen Textteil eingefügten Bildwörter ermöglichen es, das Buch gemeinsam mit jüngeren Kindern zu lesen.
Die eingefügten Bild-Icons sind in einer Wörterliste benannt. In dieser kann man nachschauen, falls die bildliche Darstellung des Wortes unterschiedlich gelesen oder nicht unmittelbar deutbar erscheint. Im Vorsatz und Nachsatz des Buches sind die Namen und Abbildungen von Tieren zu finden, die auf der Weltkarte abgebildet sind, die in Lucas Zimmer hängt.
Auf der entscheidenden Doppelseite des Buches liegen Alva und Wahab auf einer grünen Wiese, sie erzählen über die Länder, aus denen sie kommen, dass sie Deutsch als Zweitsprache lernen und zeigen mit ihren Aussagen „Ich bin ich“ das Wenden in der Buchmitte an.
So ist dieses Buch ein Kunstwerk mit vielen positiven Rollenvorbildern, das schon beim Anschauen viel Freude bringt und Gedanken und Gespräche zu Individualität und Inklusion anregt. Ein Buch, dem man wünscht, dass es nicht nur in der Kita-Bibliothek sondern in jeder Kita-Gruppe sein zu Hause findet und somit zum Lebensbegleiter vieler Kinder wird. Beide hätten es verdient!
Theoretischer Hintergrund
Bilderbücher sind ideal wenn es darum geht, Kindern vielfältige Zugänge zum Themenkomplex Inklusion und Diversität zu ermöglichen. Denn ein Perspektivenwechsel beim Kennenlernen vielfältiger Lebensformen und -erfahrungen kann ein erster Schritt zur Empathie sein und trägt so zu einer ersten Bewusstseinsbildung für ethische Werte und Menschenrechte bei. Davon profitieren Kinder und Erwachsene: zum Beispiel durch weniger Barrieren in den Köpfen, mehr Offenheit, Toleranz und ein besseres Miteinander.
Für die Praxis
Spielerische Anschlusskommunikation zur Arbeit mit dem Bilderbuch „Ich bin anders als du – Ich bin wie du“
- Literacy: erzählen, lesen und schreiben mit der Bild-Wörterliste aus dem Buch
Bilder unterstützen Kinder beim Lesenlernen. Die Bilder, die in diesem Buch in den Text eingefügt sind, funktionieren durch Repräsentation und ermöglichen ein gemeinsames Lesevergnügen, an dem alle Beteiligten Spaß haben. Die Bilder geben den Kindern die Gelegenheit, etwas zum Lesen beizutragen.
Die Wörterliste, in der alle kleinen Bilder aus dem Text benannt sind, eignet sich für vielerlei Literacy-Erfahrungen:
- Die kopierten Seiten in kleine Bilder und in kleine Kärtchen zerschneiden.
- Die Bildkärtchen den jeweiligen vier Textseiten im Buch zuordnen auf denen jedes Kind in seiner Lebensumwelt dargestellt wird.
- Aus den Bildkärtchen eine Anzahl aussuchen und damit eine neue eigene Geschichte erfinden und erzählen. Die Geschichte aufschreiben und die Bildwörter einkleben.
- Die Bildkärtchen nach Kategorien sortieren: Obst, Menschen, Tiere etc.
- Da die Bildkärtchen in Großbuchstaben beschriftet sind, schreiben Kinder die Worte auch gerne selbst ab.
- Die Phonologische Bewusstheit fördern: Die Bildkärtchen verwenden, um die Worte in Silben aufzuteilen. Die Silben klatschen und hüpfen. - Selbstreflexion: die Gelenkpuppe „Ich bin ich“ gestalten
Auf der homepage von Constanze von Kitzing können Sie ein Ausmalbild zum Buch und eine Vorlage ausdrucken, mit der Kinder und Erwachsene eine individuelle Gelenkpuppe nach dem Motto „Ich bin ich“ gestalten können.
https://www.constanzevonkitzing.de/ich-bin-anders-als-du - Wohnzimmer-Lesung mit Constanze von Kitzing
Constanze von Kitzung spricht über ihr Buch und liest es in ihrem zu Hause vor. In einer Filmsequenz kommentieren Kinder das Buch:
https://www.youtube.com/watch?v=Yv8MCVMG5c8 - Lied : „Anders als du“ von Robert MetcalfRobert Metcalf ist erfolgreicher Liedermacher und Songwriter und gibt Konzerte für Kinder und Erwachsene. Sein Markenzeichen ist eine schwarze Melone. Robert Metcalf hat zahlreiche CDs veröffentlicht, im Kinderfernsehen ist er regelmäßig in der Sendung mit dem Elefanten zu sehen.In seinem Lied „Anders als du“ geht es darum, die Vielfalt des Lebens in verschiedenen Formen zum Ausdruck zu bringen.
Die erste Strophe und der Reim stehen fest, alle weiteren Strophen können gemeinsam mit den Kindern weiter entwickelt werden.
„Ich bin anders als du bist anders als er ist anders als sie! (klatsch)
Sie ist anders als er ist anders als du bist anders als ich! (klatsch)
Wir, wir, wir sind anders als ihr, ihr, ihr seid anders als wir. Na und?
Das macht das Leben eben bunt!“
REFRAIN:
„Wir, wir, wir sind anders als
ihr, ihr, ihr seid anders als wir. (klatsch)
Na und?
Das macht das Leben eben bunt!“
Quelle: CD „Ich und Du – Schubidu“CD und Begleitheft mit Noten, Texten sowie Spiel- undBewegungsideen sind erhältlich im Liederladen www.der-Liederladen.com
Hier ist das Lied zu hören
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Constanze von Kitzing: Ich bin anders als du – Ich bin wie du. Das große Bilderbuch zum Vor- und Mitlesen.Hamburg: Carlsen, 96 Seiten| € 16,00 | Für Kinder ab 4
Medientipp Juni 2021
Trudi traut sich
Trudi, die Kuh: groß und mächtig und ziemlich prächtig… Schön dunkelbraun-weiß kuhgefleckt, mit einer kleinen Glocke um den Hals, lebt sie auf der grünen Wiese.
So weit wäre alles gut, aber Trudi leidet unter Ängsten, ohne dass es jemand weiß.
Gewittert es, flüchten sich Hase und Schwein verängstigt unter ihrem großen Bauch, und schwärmen von ihrer Größe: „Ach es muss gut sein, wenn man so groß und stark ist!“. Und auch das ängstliche Schäfchen findet das beneidenswert. Beim gemeinsamen Spiel zeigt sich Trudi von ihrer sozialen Seite und schlägt den angsthasigen Freunden vor, sich zu zweit zu verstecken, sodass gleich gar keines der jüngeren Tiere Angst bekommen kann. Klar, dass alle sich mit der großen starken Trudi hinter mannshohen dunklen Heuhaufen verstecken möchten. Auf dem Weg zum Bach mahnt Trudi alle, eng bei Ihr zu bleiben, zumal der Weg durch den wirklich dunklen Finsterwald führt und dort eben die wilden Tiere rumlungern, die jedem auflauern. Aber auch im Dunkeln glänzt Trudi mit ihren Strategien gegen Ängste. Einfach ein Lied singen, schlägt sie vor, dann ist der Wald gleich weniger unheimlich.
So langsam kommt ein leiser Verdacht auf! Aber am Bach wartet gleich die nächste Herausforderung: ein Igelkind kommt nicht über den Bach, der sich durch Regenfälle in einen reißenden Fluss verwandelt hat. Kaninchen weiß die Lösung: Trudi soll sich, mit Vorder- und Hinterfüßen am linken und rechten Ufer stehend, ganz laaang strecken, dann wird ihr Kuhrücken zur Brücke für das Igelkind. Gesagt, getan! Und mutig trippelt das kleine Stacheltier über die Kuhrücken-Brücke zu seiner Familie.
Plötzlich aber fehlt die Kuh. Ihre Freunde finden sie zitternd im Gras liegen. Japsend gesteht sie, dass das nun wirklich zu viel war für sie: das Gewitter, das dunkle Versteck, der Finsterwald und jetzt noch dieser Spagat über den Bach. Wo sie doch vor allem und jedem Angst hat, sogar vor den Fliegen auf ihrer Nase. Alle sind erstaunt und überrascht, dass jemand, der sich immer dafür sorgt, dass sich keiner fürchtet, in Wirklichkeit ein absoluter Angsthase ist! Die Ziege will wissen, warum Trudi das nie gesagt hat. Das Schäfchen verspricht, dass sich bei der nächsten Angst alle für Trudi stark machen werden und das Kaninchen weiß eine allerbeste Übung gegen Angst und für Selbstvertrauen…
In Geschichten dem Thema Angst zu begegnen, macht Kindern Spaß, weil dies die Gewissheit bietet, geprüft und gestärkt in den Alltag zurückzukehren. Die große Angst der mächtigen Kuh hat Henrike Wilson trefflich und sehr sympathisch ins Bild gesetzt. Mögliche Ängste in einer so unterhaltsamen und bildstarken Geschichte herauszufordern bleibt überschaubar, da die Herausforderung an eine bestimmte Situation gebunden ist, die es zu durchleben und zu durchstehen gilt. Das Prickeln, es könnte schief gehen, ist verbunden mit der unverbrüchlichen Gewissheit, dass es schon nicht schief gehen wird. Und die Geschichte von Trudi hält dieses Prinzip ein, in dem Trudis Freunde durch ihre Strategie zum Selbstvertrauen und ihr Versprechen, für Trudis Ängste da zu sein, für ein glückliches Ende sorgen.
Theoretischer Hintergrund
Bilderbücher sind ideal wenn es darum geht, Kindern vielfältige Zugänge zum Themenkomplex Inklusion und Diversität zu ermöglichen. Denn ein Perspektivenwechsel beim Kennenlernen vielfältiger Lebensformen und -erfahrungen kann ein erster Schritt zur Empathie sein und trägt so zu einer ersten Bewusstseinsbildung für ethische Werte und Menschenrechte bei. Davon profitieren Kinder und Erwachsene: zum Beispiel durch weniger Barrieren in den Köpfen, mehr Offenheit, Toleranz und ein besseres Miteinander.
Für die Praxis
Spielerische Anschlusskommunikation zur Arbeit mit dem Bilderbuch „Trudi traut sich“
- Ich und das wilde Tier - Respektperson
Um wilden Tieren, wie denen im Finsterwald, oder anderen angstmachenden Wesen Respekt einzuflößen, ist es wichtig, etwas zu finden, das man selbst besonders gut kann, was man besonders gerne tut oder das besonders an einem selbst ist.
Fragen, die Mädchen und Jungen helfen, das herauszufinden:
- Was tust du gerne? Steine sammeln, Seil hüpfen, Rad fahren, Bobbycar fahren, flöten, mit den Ohren wackeln, pfeifen...
- Wie bist du gerne? Faul, laut, leise, lustig, zappelig, müde...
- Was hast du besonderes? Sommersprossen, lange Haare, eine Zahnlücke, grüne Augen…
- Wenn du etwas Besonderes gefunden hast, kannst du dir einen Heldennamen geben, der darüber erzählt: - Die pfeifende Hanna - Leo, der Steinesammler - Lukas, der Bobbycar-Fahrer... - Angst und Mut: ein Spruch tut gut
Mittels magischer Symbole können Kinder sich als aktives und handlungsorientiertes Subjekt begreifen und versuchen, sich von dunklen, bedrohlichen Dingen zu befreien.
Vertreibesprüche und Zaubersprüche sind für Kinder nicht irgendein Hokuspokus sondern der Ausdruck einer eigenständigen Produktivität. Werden solche gebundenen Texte ritualisiert, sie sind ein Mittel, das die Abwehrkräfte gegen archaische Ängste stärken kann. Mit ihrer Hilfe können sich Kinder auf den Weg durch die Welt machen und neue, fremde Wirklichkeiten erobern. Sprüche, die gemeinsam von den Kindern gesprochen werden können, um beispielsweise die wilden Tiere in der Geschichte zu verjagen:
Hokus Pokus Fidibus
Klauen greifen
Krallen seifen
Pfoten quetschen
und die Zähne fletschen
Angst zu Ende
Spuk vorbei
Klatsch in die Hände.
Hokus Pokus Fidibus
Angst, Angst,
doch zur Angst gehört auch Mut.
Schick die wilden Tiere fort
Jag sie an nen andren Ort.
Schreie löwenlaut:
Furcht weg, Fliegendreck,
Angst weg, Fliegendreck,
GRROOAAAHHUU!
Und dann hast du wieder Ruh.
Danach können die Kinder eigene Zauber- oder Angst-Vertreibe-Sprüche erfinden, mit denen Angstungeheuer zu besänftigen oder zu verjagen sind.
Medientipp von Sylvia Näger
Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Katja Reider/ Henrike Wilson: Trudi traut sich!
Münster: Coppenrath, 2022, Seiten| € 25,00 | Für Kinder ab 3
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