Archiv 2017
Der wilde Watz (Dezember 2017)
Ängste und Monster gehören zum Leben
Schwarz ist die Nacht und voller Monster. Monster mit Hörnern gelb wie der Mond, Nasenlöchern so groß wie Autofenster und riesigen roten Ohren. Das sind die Watze - und einer von ihnen hat sich ins Bilderbuch geschlichen. Da steht er nun, huh, „Der wilde Watz“ und will das Kind nicht nur verängstigen, sondern gleich mit Haut und Haaren fressen.
Bei solch bedrohlichen Angstmachern hilft nur eine Gegenwehr: Wegkitzeln. Und so kitzelt das Kind den Watz erst mal sachte an den spitzen pieksigen Hörnern. Und schwupps: auf dem nächsten Bild sind die weg. Eine Hornsichel hat sich zum Mond verwandelt, der die finsterschwarze Nacht bescheint. Aber weg ist der „wilde Watz“ deshalb noch lange nicht. Deswegen wird das Kind auch weiterhin zum Mitmachen aufgefordert. Es kitzelt seitenweise sowohl Arme, Füße, Zähne als auch alle anderen Körperteile vom Watz einfach weg. Mit dem Erfolg, dass diese Kitzelabenteuer das Ungeheuer vertreiben und als literarisch erlebtes Spiel die Sicherheit geben, die Angst bewältigt zu haben. Die raffinierte, durch den tiefschwarz kontrastierten Hintergrund geprägte Bildgestaltung bestätigt dieses Gefühl dadurch, dass der Watz nicht nur in seine knallbunten Bestandteile zerlegt wird, sondern aus diesen phantasievolle bildhafte Neuschöpfungen entstehen. Sein Rumpf etwa wird zum Haus, seine Schnauze zum Auto, aus seinen Armen und Beinen entstehen Bäume.
Die vielfältigen geometrisch geprägten Formen, aus denen Edouard Manceau sein Monster kreiert, ermöglichen diese Umstrukturierung und sind die Basis für das interaktive Mutmachspiel, auf das sich jedes Kind gerne einlässt und gestärkt daraus hervorgeht. Der knapp gehaltene Text, der direkt mit dem Leser in Kommunikation tritt, unterstreicht den ritualisierten Ablauf der Geschichte.
Ängste kommen eher schnell, vergehen manchmal langsam. Kinder gehen sehr unterschiedlich mit angstbesetzten Situationen um und entwickeln ganz individuelle Strategien, um ihre Ängste zu verarbeiten.
„Der wilde Watz“ inszeniert kindliche Ängste, gibt ihnen ein Gesicht und ermöglicht lustvolle und spielerische Bewältigungsversuche. Eine simple Idee wird so zur hohen Kunst und lässt zu, dass das Kind spielerisch an der Angstverarbeitung mitarbeitet. Und da Rituale helfen, Ängste konstruktiv an zugehen und zu bespielen, endet das Buch mit der Warnung: „Und wenn du wieder mal bei mir klopfst, dann sollst du wissen: Ich kitzle dich, du wilder Watz!“
Und damit erinnert diese phantastische Lesekitzelei an ein literarische Grundrecht des Kindes: das des wiederholten Vorlesens.
Für die Praxis:
- „Der Wilde Watz“ eignet sich in besonderem Maße für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben: Die ritualisierte Wiederholung der Satzstruktur steigert den sprachlichen Lerneffekt. Der Text benennt systematisch Körperteile und setzt sie in Bezug zu Verben, beispielsweise: Zähne / beißen, Augen /sehen, Nase / riechen, Ohren / hören, etc..
- Die interaktive Geschichte des Bilderbuchs spricht auch Kinder mit wenig Leseerfahrung an und ermöglicht eine unterhaltsame und entspannte Begegnung mit Literatur.
- Die fast geometrischen Formen, aus denen „Der wilde Watz“ collagenhaft gestaltet ist, ermöglichen Kindern, selbst das Monster zu zerlegen und mit den einzelnen Formen ihre eigenen bildhaften Neuschöpfungen zu kreieren. Dafür braucht es lediglich eine Farbkopie aus denen die Einzelteile des Monsterkörpers ausgeschnitten werden. Werden lediglich Beine und Arme ausgeschnitten, kann „Der wilde Watz“ wie ein „Hampelmann“ gestaltet werden.
- Die klare Formgebung des Monsters ermöglicht eine einfache Herstellung einer Stabpuppe, mit der eigene Monstergeschichten gespielt werden können. Auch im Schattentheater macht der Watz eine gute Figur.
Edouard Manceau: Der wilde Watz. Aus dem Französischen von Markus Weber.
Frankfurt: Moritz Verlag, 2017, 32 Seiten| € 14,00 | ab 3 Jahren
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Arche Kinder Kalender 2018 (November 2017)
Ein Jahr mit Kunst und Lyrik aus aller Welt
Sprache ist das herausragende Ausdrucksmittel, durch das sich eine Kultur von der anderen unterscheidet. Jede Sprache aber kennt den Gleichklang von Lauten, der den Reim ausmacht. Somit sind Reim und Rhythmus, Silben- und Lautspiele in allen Sprachkulturen der Welt zu Hause und prägen die lyrische Kinderkultur.
Im Idealfall erleben Kinder täglich Lyrik. Dass dies voraussetzt, dass Erwachsene selbst Lust und Leidenschaft auf Lyrik haben und lebenslang ihren eigenen Zugang zu Gedichten pflegen, ist naheliegend. Was taugt da besser als ein Kalender, dessen Blätter wöchentlich dazu animieren, sich einem neuen Gedicht zu öffnen und dies mit Kindern zu teilen? Und nicht nur diese Freude bietet der Arche Kinder Kalender jedes Jahr aufs Neue. Mit seinen 52 Gedichten und Illustrationskunst aus aller Welt ist dieses großformatige Brevier Botschafter dafür, Mehrsprachigkeit auch lyrisch zu leben und erleben.
Damit die lyrische Freude mit den Kalenderblättern jedes Jahr neu beginnen kann, wählen die Mitarbeiter der Internationalen Jugendbibliothek in München jährlich die Gedichte für den Kalender aus. Jedes Gedicht wird übersetzt und liebevoll illustriert, sodass letztendlich 52 kleine Gesamtkunstwerke entstehen. Die Idee des Kalenders ging aus einer Ausstellung hervor, die die die Internationale Jugendbibliothek 2009 organisierte und präsentierte.
Titelbildgebend ist in diesem Jahr ein Kindergedicht aus Dänemark. „Bim bam bommel! Die Katze schlägt die Trommel.“ Engagiert kommt das Katzentier daher, begleitet von vier Mäusen, die den Takt aufgreifen und dazu tanzen, dass der Boden bebt. Eine begeisterte Truppe, unterwegs in Sachen internationaler Lyrik. So erleben wir klangvolle Sprachgebilde, die über koreanische Schriftzeichen, Flaschensterne aus England oder Augensterne in Ägypten erzählen. Katze und Kamel, Eisbär und Hermelin, Kranich und Krokodil zeigen, dass das Tier weltweit in der Lyrik zu Hause ist.
Ein spanisches Gedicht von Beatriz Osés erzählt „Wie man eine Badewanne füllt / Man holt sich die Tränen des mächtigen Walfischs, verrührt sie ein wenig / mit äußerster Vorsicht…/ Bald perlen Gedichte. / Man legt sich hinein / ins salzige Wasser, man schließt die Augen… / und träumt von Meeren, bedeckt mit Silber.“ Lyrische Gedankenspiele regen Gefühle und Empfindungen an. Und deswegen wollen Kinder Gedichte auch: weil sie einfach schön sind, schöne Bilder und Stimmungen vermitteln, gut klingen und weil man sie in Besitz nehmen, also „haben“ möchte. In unserer digital geprägten Zeit aber kommt die Pflege des Gedichts und des Reims manchmal zu kurz. Umso wichtiger ist es heute, Kindern einen lyrischen Bildungsweg zu ermöglichen, indem sie, auch auf eigene Faust, entdecken und aus einer Vielfalt auswählen können. Denn Kindern, so zeigt die Erfahrung, macht es Freude die Bildsprache von Gedichten zu erleben und das musikalische Spiel von Klang, Rhythmus und Reim zu genießen. Im Kinderleben ist Lyrik der Einschlupf in die Sprache, und der Arche Kinder Kalender ist ein bezauberndes und vielsprachiges Medium, das wunderbar dafür sorgt, dass dies alltäglich gelingt und Sprache Heimat wird.
Praxistipp 1: Zu jedem Gedicht das Land auf der Weltkarte oder dem Globus suchen. Die Flagge des Landes malen und damit die auf dem Kalenderblatt stehende Kopfzeile, die Autor, Illustrator und Übersetzer nennt, ergänzen.
Praxistipp 2: Eine internationale lyrische Lesung in der Einrichtung organisieren, in der Eltern und Kinder Gedichte aus ihrer Muttersprache vorlesen, aufsagen und kreativ gestalten.
Praxistipp 3: Gemeinsam mit den Kindern für das nächste Jahr die Zusammenstellung und Produktion eines selbstgemachten Lyrikkalenders planen. Dafür die eigenen Lieblingsreime, Gedichte, Sprechverse, Fingerspiel etc. auflisten und die Möglichkeiten der Gestaltung besprechen. Den Kalender bewerben, Bestellungen sammeln und als Fotokalender in der nötigen Anzahl produzieren lassen.
Internationale Jugendbibliothek, München (Hrsg.): Arche Kinder Kalender 2018.
Zürich - Hamburg: Arche Kalender Verlag, 2017, 60 Blätter| € 20,00 | ab 3 Jahren
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Das Tri Tra Trampeltier, das stri stra strampelt hier (Oktober 2017)
Der Lyriker Hans Magnus Enzensberger setzt sich wunderbar hintersinnig mit dem Wesen von Gedichten auseinander wenn er schreibt : “... Gedicht, das ...- Gefürchtete Textsorte, erkennbar an einem linksbündigen Zeilenfall, der rechts weite Teile der Druckseite freilässt. ... Alles in allem hat sich diese Textsorte jedoch als überraschend zählebig erwiesen. Die Ethnologie ist zu dem Schluss gekommen, dass eine Gesellschaft, in der Gedichte unbekannt wären, nie und nirgends existiert hat. Befürchtungen, dass ihr Aussterben bevorstehen könnte, sind schon aus diesem Grund wenig plausibel.” (Du Nr. 739/ 2003)
Die derzeitige lyrische Kinderbuch-Landschaft sorgt mit beachtenswerten Neuerscheinungen dafür, dass Lyrik Vorstellungskräfte mächtig ankurbelt und Reim und Rhythmus Laute und Silben zum Tanzen bringen. Lyrik ist Bestandteil unserer Kultur, eine Form von Literatur, Spracherfahrung und Sprachbildung, die wir Kindern nicht vorenthalten dürfen. Denn was von Erwachsenen allzu schnell als verzichtbar eingestuft wird, ist für Kinder schließlich der Schlüssel zu Welt und Sprache. In der Lyrik erleben Kinder Sprache gleichermaßen als Bedeutungsträger, als Bildanreger und als Klangvergnügen.
Kinder brauchen einen großen Schatz an Reimen. Dafür sind Sammlungen und Anthologien reich bebilderter Art gut. Hier lässt sich Lyrik finden, die das Herz begehrt. Zur Erfüllung solch lyrischer Herzenswünsche bietet die Anthologie „Das Tri Tra Trampeltier, das stri stra strampelt hier“ ein breitgefächertes Angebot und gefällt mit ihrer am Alltag orientierten Kapiteleinteilung. Da lassen sich Reime für morgens und abends finden, solche, die über die Wut oder das Trösten erzählen, andere die für den Wickeltisch, die Badewanne und Unterwegs passen oder welche, die zum Tanzen oder zum Essen und Geburtstagfeiern einladen. All das, was jeder Tag im Kinderleben braucht, Zuwendung und Sprache, in der es zippelt und zappelt, die klingt und rappelt, die Bewegungs- und Sprechlust zufriedenstellt, findet sich in dieser Anthologie. Einhundertfünfzig lyrische Gebilde, die das Leben begleiten und Geschichten erzählen: vom Wal, der durch den Kakao schwimmt, von einer grauen Ratte, die auf der Langspielplatte tanzt, von singenden Fischen, von schönen Träumen, versteckt in Apfelbäumen, von Tagen, die zum Weinen sind, ja, sogar von einem Schnupfen, der auf der Terrasse hockt. Geschichten in Gedichten, traditionelle und auch neue, geschrieben von bekannten Autoren wie Heinz Janisch, Martin Baltscheit, Frantz Wittkamp, Frederick Vahle und vielen mehr. Dazu gesellen sich witzige, federleichte Illustrationen, Bilder die Lust auf den Text machen und für Kinder wichtig sind, da sie in Bildern lesen. Dass eine solche Anthologie auch vom abwechslungsreichen Layout profitiert, von abwechslungsreicher Farbigkeit einzelner Seiten ebenso wie von unterschiedlichen Formaten in der Illustration, lässt sich in diesem sorgfältig gestalteten Sammelband anschaulich erleben.
Rundum ein Buch, das Möglichkeitsraum eröffnet, eine Landschaft aus lyrischem Wissen, in der nicht nur die Wege, sondern auch die Ausblicke zählen. Und zu guter Letzt will hier noch ein buchkultureller Gedanke Platz finden: die Tatsache, dass bereits junge Kinder durch Sammelbände ein zusätzliches Genre von Büchern kennen lernen. Der gemeinsame alltägliche Gebrauch von Anthologien führt sie an deren Nutzung heran und erweitert ihr Wissen über Bücher.
Praxistipp 1: Lieblingsreime aussuchen, die Texte auf unterschiedliche Personen aufteilen, klangvoll sprechen und digital oder analog aufnehmen. In der Gestaltung der Produktion gilt es zu beachten, dass zwischen den Reimen eine Pause sein soll, also kann man beispielsweise eine leise Tonleiter auf dem Xylophon spielen. Die auditive Distribution ermöglicht Kindern und Erwachsenen den Text, zusätzlich zum Vorlesen, wiederholt zu hören und zu memorieren.
Praxistipp 2: Christian Morgensterns Gedicht vom Schnupfen, der auf der Terrasse hockt, auf ein Papiertaschentuch schreiben – zum Aufhängen, Verschenken etc. Eine lyrische Aufmerksamkeit für die Schnupfensaison.
Praxistipp 3: Zusammen mit den Kindern Reime aussuchen, auf DIN A4 Papier schreiben und bemalen. Laminieren und als Tischset verwenden. Guten Appetit auf Lyrik-art.
Stefanie Schweizer (Hrsg.) und Claudia Weikert (Illu.): Das Tri Tra Trampeltier, das stri stra strampelt hier. Reime für Kleine.
Weinheim: Beltz&Gelberg, 2017, 144 Seiten | € 16,95 | Texte für Kinder ab 1
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Vollkommene Wunder der Natur: Bienen und Blüten (September 2017)
„Die Sonne geht auf, der Tag beginnt, die Blumen schaukeln sanft im Wind. Da fliegt eine Biene und summt ganz leise. Nimmt sie uns mit auf ihre Reise?“ Jawohl, sie lässt uns teilhaben, lädt den Leser ein, ihre Wege mit zu verfolgen, und animiert hierzu auf haptische Art: in der Tiefe einer sechseckig ausgestanzten Wabenzelle zeigt sie sich und jedes Kind nähert sich ihr, indem es forschend seinen Finger in das Guckloch im Buch steckt.
In den aufgeschlagenen Seiten wird das wabenförmige Guckloch fortgeführt und fokussiert den Blick auf die Biene, die ihre Reise in einem Meer von Mohnblüten beginnt und durch den dichten Wald schwirrt, um schließlich auf einer Blumenwiese emsig ihrer Arbeit nachzugehen. Beim Sammeln des Nektars, den sie mit ihrem Rüssel aufsaugt, lässt sich die kleine Biene auf vielen Blumen nieder und bestäubt ihre Blüten. Den pelzigen Körper voll mit Pollenstaub, fliegt die Biene auf ihrer Suche nach Nahrung zur nächsten Blüte. Die Blumen locken sie an mit ihrem Duft und ihren Farben und die Biene „hinterlässt auf der grünen Flur aus Blütenstaub eine goldene Spur.“ Diese goldene Spur ist auf mehreren Bildern zu entdecken. So viel Blütenpracht aber ist zu viel des Guten für eine einzige Biene. Deswegen holt sie Verstärkung im Bienenstock und im Nu fliegt ein ganzer Schwarm zur großen Wiese. Diese Vermehrung der Bienen wird nicht nur ins Bild gesetzt sondern durch eine ordentliche Zunahme von Gucklöchern haptisch erfahrbar in den Fokus genommen. „Die Lilien erstrahlen in rotgoldenem Glanz, der ganze Schwarm wiegt sich im Tanz,“ erzählt der Reim, zu dessen Strahlkraft Britta Teckentrup in einem Interview im Deutschlandfunk meint: „Beim Reim entstehen noch mal neue visuelle Bilder, weil der Reim etwas Bildliches hat. Es ist das Spielerische, was ich daran so liebe. Und die Emotionalität, die der Reim hat.“
Im Buch und auch im Nachsatz des Buches, der wie ein Wimmelbild anmutet, lässt sich nicht nur der Formenreichtum der Blüten erleben, sondern es sind auch andere Insekten wie Schmetterlinge und Käfer und weitere Arten Tiere zu entdecken. Britta Teckentrup gelingt es immer wieder, die Schönheit der Natur in der ihr eigenen Bildsprache ins Bilderbuch zu holen. Ihre Bilder leben von Schattenrissen und Lichteffekten, ihre intensiven, kräftigen Farbgebungen brillieren in nuancenreichen Schattierungen. Die sehr stimmige farbenprächtige Inszenierung dieser besonderen Welt der Honigbienen wird in Verbindung mit der lyrischen Sprache zu einem faszinierend anmutigen Bilderbuch. So zeigen sich die „Bienen“ nicht nur als „kleine Wunder der Natur“ sondern auch als Sachbuchschatz für Kinder. Das Wesen des wabenförmigen Gucklochs und der angenehm anzufühlende feinleinengeprägte Einband geben dem Buch ein zusätzliches, unschlagbares haptisches Erlebnis.
Tipps zur Anschlusskommunikation
Für die wunderbar ins Bild gesetzte Natur bieten sich beim dialogischen Lesen reichliche Wortschätze an. Eine Zusammenstellung zu den Wortfeldern Blumen, Bienen, Tiere:
Blumen: Staubgefäße, Stängel, Knospen, Blatt, Blütenstaub, Blüten;
- Typen von Blüten:
| korbförmig/Körbchenblumen: Sonnenblume, Margerite |
| glockenförmig/ Glocken-und Trichterblumen: Osterglocke, Blaue Rasen-Glockenblume |
| doldenförmig: Scharfgarbe |
- Blattformen:
| spitz , gefiedert, länglich|
Bienen: Schwarm, Flügel, Fühler, Stachel, Rüssel, Wabe, Bienenstock, Pollen, Nektar, Honig, Imker, Bienenstich, Bienenstock Bienenvolk, Bienenwachs, Königin, Arbeiterin;
Tiere: Frosch, Igel, Ente, Fuchs, Vogel, Eule, Eichhörnchen;
Insekten: Marienkäfer, Raupe, Heuschrecke.
Das Geschehen im Buch beschreiben:
Verben: summen, brummen, schwirren, fliegen, sammeln, stechen, bauen, tanzen, Krabbeln, flattern, kriechen, hüpfen, klettern, springen, wieseln, watscheln, quaken, schwimmen, schnattern, piepsen, singen;
Adjektive: schwarz-gelb gestreift, gepunktet, rund, emsig, fleißig, leicht, behaart, honigsüß, flatterleicht;
Aufklärung über das Geheimnis der sechseckigen Bienenwaben-Geometrie finden Sie unter www.scinexx.de/wissen-aktuell-1109-2004-06-30.html. Regen Sie die Kinder an, sich mit der Form der Bienenwaben auseinanderzusetzen: aus Legematerial, das regelmäßige Sechsecke (Hexagon) enthält, bauen Kinder Bienenwaben.
Mengen und Zahlen können auf den Seiten ins Blickfeld genommen werden, auf denen der komplette Bienenschwarm unterwegs ist.
Sachinformationen zum Thema Biene/Imkerei:
Ralf Butschkow: Ich hab einen Freund, der ist Imker. Lesemaus 121. Carlsen Verlag, Hamburg 2010. € 3,99
Anne Möller: Bei den Bienen. Verlag Fischer Meyers Kinderbuch, Frankfurt 2016. € 4,99.
Auf der website des deutschen Imkerbundes findet sich Unterrichtsmaterial als PDF, das reichlich Sachwissen über die Honigbiene vermittelt:
http://deutscherimkerbund.de/userfiles/Kinder_Jugendseite/Bienen_Extras/Honigbiene_Stationen_lernen_Web.pdf
Die Biene ist eines der wichtigsten Nutztiere überhaupt. Das wusste auch schon Hoffmann von Fallersleben. Um 1840 schuf er mit „Summ, summ, summ, Bienchen summ herum“ eines der bekanntesten deutschen Kinderlieder.
Im Liederprojekt der Verlage Carus und Reclam, in Kooperation mit dem Radiosender SWR2, finden Sie nicht nur Noten und Strophen dieses Lieds, sondern auch eine eingesungene sowie eine instrumentale Fassung zum Mitsingen.
www.liederprojekt.org/lied29905-Summ-summ-summ.html
Das Liederprojekt bietet ein umfangreiches, kostenloses Liedarchiv mit qualitätsbewusst und kindgerecht aufgearbeiteten Kinderliedern sowie 170 Podcasts mit ausführlichen Hintergrundinformationen an.
Britta Teckentrup: Bienen. Kleine Wunder der Natur.
München: Ars edition 2017, 32 Seiten | € 12,99 | ab 4
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Rumms und Kawumm – warum auch Riesen Feste und Feiern lieben… (August 2017)
Es gab einmal Zeiten, da konnte es passieren, dass man durch den Wald ging und einen Riesen traf. Die Menschen aber haben den Riesen nicht ausreichend Platz gelassen, und so gibt es nur noch wenige von ihnen. Das ist auch der Grund, warum man fast keinem mehr begegnen kann.
Wenn aber an den Tagen, an denen der Himmel schwarz und grau wird, die Vögel im Wald davonstieben, der Fuchs erschrocken in seinen Bau flüchtet und zwischen den Tannenbäumen sich mächtige schwarze Stulpenstiefel ihren Weg suchen, dann ist der Riese Knurr unterwegs. Laut stampfend und polternd stapft er durch den Wald „Und dann steht er auf der Wiese, der riesengroße, starke Riese. „Mir knurrt der Magen!“ hört man ihn sagen. Und wie er sich seinen Bauch reibt, und aus diesem ein wirklich sehr lautes hungertypisches Knurren zu hören ist, werden die Tiere still im Versteck und schauen sich mit großen Augen ängstlich an. Drei kleine Mäuse aber wagen den großen Schritt. Sie laden den Riesen zum Geburtstag mit Torte ein. Und beim gemeinsamen, begeisterten Feiern, Tanzen und Schmausen zeigt es sich, dass der Riese gar nicht so gefährlich ist wie die Tier dachten.
Kinder lassen sich mit Lust und Spannung auf diese phantastisch gereimte Erzählung ein. Dramatische, in Varianten wiederkehrenden Verse wie: „Rumms und Kawumm! Im Wald geht was rum! Die Sonne versteckt sich, die Luft wird kalt. Der Riese Knurr stapft durch den Wald.“ sind in ihrer Eingängigkeit leicht abspeicherbar. Die lyrische Erzählweise ermöglicht den Kindern rasch, Textanteile mitzusprechen und begeistert eine Geschichte zu erleben, die ihre magischen Vorstellungen riesig anzuregen vermag.
Die Geschichte bringt Reim und Rhythmus zum Klingen und ist beim Vorlesen genussvoll zu inszenieren. Die ausdrucksstarken, oft sehr perspektivisch gestalteten Bilder sind akribisch und mit viel Augenzwinkern gezeichnet und lassen die Geschichte von Angst und Mut, Alleinsein und Freunde finden sehr ungezwungen wirken. Der Fortgang der typischen Reihengeschichte ist für Kinder bestens aus den Bildern abzulesen.
Lesen Sie die Geschichte und kostümieren Sie dabei die Figuren mit Ihren stimmlichen Fähigkeiten. Nehmen Sie Ihre Lesung auf und stellen Sie die Aufnahme den Kindern zur Verfügung. Dadurch ermöglichen Sie den Kindern, die gereimten Verse öfters und selbstbestimmt zu hören. Dies sind Voraussetzungen Texte abzuspeichern und zu erinnern. Kinder schätzen die Wiederholung, machen sich auf diese Weise den Text zu eigen und nehmen ihn in Besitz. Derartiges „Auswendiglernen“ ist durchaus genussvoll und hat nichts mit auf den Punkt abverlangtem Abspeichern und Wiedergeben zu tun.
Die wiederholt vorkommenden lautmalerischen Wortspiele „Rumms und Kawumm! Im Wald geht was rum! ...“ werden gemeinsam im Chor, verbunden mit Gesten gesprochen. Die Gesten entwickeln Sie assoziativ fragend, gemeinsam mit den Kindern: „Wie hört sich „Rumms“ und „Kawumm“ an? Leicht wie Watte oder schwer wie Stein? Wie können wir das mit Bewegung und Mimik ausdrücken?
Die Typographie dieses Buchs gestaltet die Bildwirkung tragend mit und vermittelt Kindern deutlich, wie Sprache in Schriftzeichen festgehalten werden kann. „Der Riese Knurr“ ist nicht nur eine äußerst spannend lyrisch erzählte Geschichte, sondern auch ein Bilderbuch, das die riesige Größe seines Helden dadurch unterstreicht, dass Buchstaben nahezu seitenfüllend auftreten. Im Wald, am Himmel, auf der breiten Brust des Riesen oder über den Dächern der Stadt finden sich die beschreibend gereimten Textpassagen wie beispielsweise „Rumms und Kawumm, im Wald geht was rum! Die Sterne leuchten, die Luft wird heiß, der Riese Knurr tanzt wild im Kreis!“ Was Knurr zu sagen hat, wird ebenfalls in großen Lettern ausgedrückt. Die rettende Einladung, die die piepsenden Mäuse dem Riesen andienen, kommt dagegen entsprechend klein gestaltet daher.
Wenn wir die Symbolfigur des Riesen nah besehen, wird sie überraschend oft recht menschlich beschrieben. In den Geschichten und Erzählungen sind die Riesen grob in zwei Kategorien aufteilbar: die einen agieren, finstere und oft brutale Wesen, die anderen sind als vertrottelt oder harmlos dargestellt, und manchmal haben sie auch noch etwas von der einstigen Weisheit der alten Ur-Riesen aus Sagen und Legenden behalten dürfen. Riesen sind unter Bergen, in Wäldern und Mooren oder auch an Seen und am Meer behaust und wohnhaft. Befreundet sind sie manchmal mit Drachen, und in ihrem Riesenleben haben sie es oft mit Zwergen zu tun. In auffallend vielen Bilderbüchern sind Riesen einsam und ängstlich.
Dass sich das Buch wunderbar ins Rollenspiel verwandeln lässt, Reim und Lyrik Bedürfnisse von Kindern unterhaltsam zufriedenstellt und zu alledem auch die Integrationskraft von gemeinsamen Festen und Feiern ins Blickfeld rückt, macht es zu einem „riesigen Schatz“ für die Kita-Bibliothek.
Heinz Janisch/Astrid Henn: Der Riese Knurr.
Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2017, 32 Seiten | € 13,00 | ab 4
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Platsch, Blubber, Schnabbeldiplapp – ab ins Wasser... (Juli 2017)
Henry Schwan ist ein begeisterter Schwimmer. Er paddelt und plantscht vergnügt im kühlfrischen See herum und trifft dabei auf eine Ente, die bedröppelt am Seeufer sitzt und nicht schwimmen mag. „ Schnabbeldiplapp, … Du bist doch eine Ente, ein schnabeliger Kurzhals. Ihr Entlein seid doch alle super Schwimmer!“ ermuntert Henry die kleine Ente Emil, die sich trotzig dem kühlen Nass verweigert. Kurzerhand packt Henry den wasserscheuen Vogel in seine quietschgelbe Döschwo Ente und gemeinsam fahren sie in Richtung Hallenbad davon.
„Zweimal Schwimmbad, bitte“ sagt Henry an der Kasse“. Kurz darauf wird hinter den Türen der Umkleidekabinen diskutiert, ob man überhaupt ins Wasser gehen soll aber dass man „Schnabbeldiplapp“ natürlich ins Becken steigt. Am und im Becken zeigt sich Henry Schwan als mit allen Wassern gewaschener Schwimmlehrer, doch sein Schützling zeigt kein Interesse an schwimmhelfendem Spielmaterial jeglicher Art. Im Gegenteil, Emil entwickelt alle möglichen Ausreden. Er will unbedingt seine vergessene Brille holen, muss aufs Klo und bricht heulend in Tränen aus als Henry sanften Druck anwendet: „Nein, ich will aber nicht!!!“ Buhuuh!“ Wieviel Buhuuh, das ist zeigen die übergroß gesetzten Lettern. Badebemützt steht Henry der kleinen Ente gegenüber, die breit heulend ihren Schnabel verzieht und um deren Bürzel viele Tränen fliegen.
Da zum Schwimmen immer auch das Tauchen, Gleiten und Hineinspringen gehören zeigt sich Henry als emphatisches Beispiel in diesen Disziplinen. „Aah … Swusch!“ platscht es beim Springen ins Becken, und auf Willys Schultern macht es richtig Spaß trocken und sicher durch das Becken zu kreuzen. Alles ist gut bis Emil Ente übermütig wird, schaukelt und wackelt. Von der sicheren Schwanschulter gefallen bemerkt er, dass man im Wasser nass wird und plärrt wieder los. Allerdings schwimmt er dabei einfach weiter und der Schwimmlehrer nutzt diese Sitaution für viel positive Verstärkung. Durch ihr Können und viel Lob gestärkt taucht Ente Emil alsbald mitten im tierisch vollen Schwimmbecken ab und auf und paddelt quietschvergnügt kreuz und quer umher. Den ganzen Tag! Und so wurde das ein richtig schöner Schwimmbad-Tag, der allerdings wieder mit einem Heulkonzert endete. Aber diesmal war der Grund ein anderer: Klein Emil will einfach nicht aus dem Becken raus.
Schwimmenlernen ist für viele Kinder ein Spagat zwischen Angst und Freude, und Ente Emil zeigt in „Schnabbeldiplapp“ als starke Identifikationsfigur, wie emotionsintensiv es im Wasser zugehen kann. Schwan Henry hat den Part des Schwimmpädagogen, der dafür Sorge trägt, dass sich das Kind bei dem Spiel mit und im Wasser letztlich sicher und geborgen fühlen kann. Wunderbar locker vermittelt Günther Jakobs was es bedeutet, sicheren Boden zu verlassen und die Angst vor dem Wasser zu überwinden.
Ein rundum witzig illustriertes Bilderbuch, das nicht nur Mut macht ins Wasser zu gehen und sich frei zu schwimmen sondern auch mit vielen Interjektionen zur Lautmalerei und zum Spiel mit der Sprache anregt.
Anregungen zur spielerischen und gestalterischen Anschlusskommunikation
"Schnabbeldiplapp, plapp, plapp plapp, Zackel die zack Zack“ - in derlei Lautmalereien wird mit den Tönen, die beim Aussprechen eines Buchstabes oder von Silben eines Wortes entstehen, sozusagen ein klingendes Bild „schreibend gemalt“. Lautmalerei finden wir auch als Kunstform in der Sprache der Comics und Trickfilme: Beispielsweise als Wörter wie "Peng", "Puff", "Bumm" oder "Schlürf".
Sammeln Sie mit den Kindern lautmalerische Wortspiele wie „Ene, mene miste“, Lirum Larum“, „Paperlapap“, "Klatsch Klatsch, Brumm Brumm" oder „Aramsam“, „klapperdiklapp“, „Simsalabim“ und schreiben jeweils ein Wort auf einen kleinen Zettel. Schaffen Sie gemeinsam mit den Kindern unterschiedliche Kategorien: glitzernde Wörter, komische Wörter, weiche Wörter etc. und ordnen die Begriffe diesen Kategorien zu.
Dann füllen die Kinder die wortähnlichen Lautgebilde in Wörterdosen, die sie vorher passend gestaltet haben: eine glitzernde Dose, eine komische Dose, oder eine regenbunte Dose; fertig ist der Vorrat.
Wer will, sucht sich aus den Dosen die Wortgebilde, die er gerne hat, stellt die Wortgebilde vor, die er gar nicht mag und erzählt, weswegen das der Fall ist. Die Kinder können sich auch Wortgebilde aussuchen, die besonders schön klingen, weil sie viele Vokale haben oder diejenigen, die den gleichen Anfangsbuchstaben haben wie ihr eigener Name.
Mit viel Phantasie lassen sich Worte auch in eine Bildsprache umsetzen: Kinder zeichnen beispielsweise, wie die Lautgebilde »sapperlot« oder »putt-putt rassel ratatat« aussehen könnten.
Der Wortvorrat in diesen Dosen gibt immer wieder Anlass für Gedanken und Gespräche zu Wörtern, Wortbedeutungen, Wortschatz und Sprache.
Auf der webside des Carlsen Verlags haben sie die Möglichkeit Günther Jakobs Bilder von „Schnabbeldiplapp“ als pdf-Datei herunterzuladen und als großformatiges Bilderbuchkino einzusetzen: https://www.carlsen.de/bilderbuchkino
Wie illustriert man ein Bilderbuch? Günter Jakobs zeigt im Zeitraffer wie er eine Seite seines Bilderbuchs „Schnabbeldiplapp“ zeichnet: https://www.youtube.com/watch?v=oXO445jF76o
Günther Jakobs: Schnabbeldiplapp. Ein wasserscheues Bilderbuch. Hamburg: Carlsen 2017, 32 Seiten | € 12,99 | ab 4
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Mit Worten und Weltwissen erzählen (Juni 2017)
Was brauchen Kinder, zumal solche aus bildungsfernen Familien, um in Geschichtenwelten anzukommen und im Erzählen Zugang zu sich und zu anderen zu bekommen? Wie unterstützen frühe literarische Erfahrungen und Erlebnisse die Entwicklung der kindlichen Sprach- und Ausdrucksfähigkeit? Jochen Hering, langjähriger Professor für Literatur und Mediendidaktik an der Universität Bremen und erfahrener Praktiker in Sprach- und Leseförderprojekten liefert in seinem Buch Kinder brauchen Bilderbücher. Erzählförderung in Kita und Grundschule eine umfassende Palette möglicher Antworten.
Seinem Thema nähert sich der Autor über einen Rückblick in seine eigene Lesekindheit und skizziert wie Kinder, die mit Büchern aufwachsen, ihre zukünftige Lesemotivation aufbauen. Er umreißt, was Kindern fehlt, die mit eingeschränkten literarischen und sprachlichen Erfahrungen heranwachsen und somit in ihrer sprachlichen Entwicklung schon früh benachteiligt sind. Das Anliegen für Bildungsgerechtigkeit in der frühkindlichen literarischen Grundversorgung zieht sich als roter Faden durch die Texte in seinem Buch. Zur Tatsache, dass solche Kinder außerhalb des familiären Umfeldes Erwachsene brauchen, die sie sprachlich und literarisch „huckepack“ nehmen, formuliert Jochen Hering den Begriff „Huckepack-Kinder“.
Im zweiten Kapitel widmet er sich umfassend dem Erzählen und zeigt neben Geschichtenstrukturen auch Wege auf, die Kinder dabei unterstützen, sich selbst als sprechende und erzählende Personen zu erfahren. Das dritte Kapitel beleuchtet anhand einer umfassenden Auswahl von Bilderbüchern, dass deren Erzählstrukturen Kindern unterschiedliche Kognitionsleitungen abverlangen, und vermittelt Wissen darüber, wie Bilderbücher die kindlichen Erzählfähigkeit anregen können.
Dass sich Kinder in Rollenspielen und Gesprächen beiläufig Erzählfähigkeit aneignen, welche Erzählschemata Kinder in der Begegnung mit Literatur aufnehmen und wie empathiefördernd diese sein kann, umreißt Kapitel vier. In diesem geht der Autor auch auf den Wortschatzerwerb, die sprachfördernde Situation des dialogischen Vorlesens und auf den medienspezifischen Mehrwert von Hörspielen ein.
Dass der Alltag vieler Kinder von Erlebnissen mit diversen Bildschirmen geprägt ist, und was es für Kinder bedeutetet wenig oder keine altersgemäßen literarischen Angebote zu erleben, erläutert Hering in Kapitel fünf. In einem Vergleich, in dem allerdings Unklarheiten bleiben, beleuchtet er die Medienspezifik von Fernsehen, Spielkonsole und Bilderbuch und setzt sich mit dem Zusammenhang von intensiver audiovisueller Mediennutzung und sprachloser Kindheit auseinander.
Anhand der Frage „Woran erkennen wir ein gutes Bilderbuch?“ und zahlreicher Beispiele zeigt Hering im sechsten Kapitel die Kriterien auf, die für ihn eine reflektierte Bilderbuchauswahl ausmachen. Dabei geht er auf die Bedeutung von Leerstellen im Buch, auf die Erzählkraft und die Qualität der Bilder ein.
Dass die Auswahl eines Bilderbuchs sich an den Lebensthemen und Kompetenzen des Kindes ausrichten sollte, wird im siebten Kapitel dargestellt. Dazu wird aufgezeigt und vermittelt, welch unterschiedlich hohe Anforderungen verschiedene Bildsprachlichkeiten und Erzählmuster an Kinder stellen und welche pädagogischen Konsequenzen daraus abzuleiten sind.
Einen hohen Praxiswert hat das achte Kapitel, in dem Prinzipien und Anregungen zur Erzählförderung, wie Rituale und dialogisches Mit-Erzählen, im Mittelpunkt stehen. Dabei geht der Autor auf Erfahrungen aus einem Erzählprojekt in Bremen ein. Im neunten Kapitel finden sich konkrete Praxisideen, die den Leser animieren und inspirieren sich selbst in der Praxis der Leseförderung zu erfahren oder eigene Bilderbücher zu gestalten.
Wer sich den Band vornimmt, den erwarten Eindrücke zu über 100 Bilderbüchern, eine Fülle an Material und Informationen, ergänzt durch einen Anhang mit Sachwortverzeichnis, umfassender Literaturliste und einen durchgängigen Fußnotenapparat. Die Begeisterung des Autors dafür, dass Kinder Bilderbücher als geistige und soziale Anregung brauchen, prägt den Charakter dieses Handbuchs. Nicht zuletzt vermag dies, und die deutliche Haltung für Chancengleichheit, auch beim Leser den Blick dafür zu schärfen, wie lebensprägend literarische Erfahrungen in früher Kindheit sind.
Verbunden mit den relevanten Erkenntnissen aus der Entwicklungspsychologie, aktuellen Forschungen und Fallbeispielen verdient dieses Kompendium die intensive Lesezeit, die es erfordert, um letztendlich als gelebte Literatur im realen Kinderleben anzulanden. Die vielfältigen Erfahrungen, die Jochen Hering in der Praxis gesammelt hat, und sein didaktisches Wissen sind in vielen literatur- und sprachpädagogischen Zusammenhängen von Nutzen.
Fazit: Kinder brauchen Bücher ist ein sehr lesenswertes Werk, das in verdichteter Form umfangreiches, theoretisches und praktisches Grundlagenwissen für all die pädagogischen Fachkräfte liefert, die Interesse haben, literarisches und sprachliches Lernen zu gestalten und gemeinsam mit Kindern literarische Wohlfühl- und Bildungsmomente zu erleben und auch zu genießen.
Jochen Hering: Kinder brauchen Bilderbücher. Erzählförderung in Kita und Grundschule.
Seelze: Tulipan Klett-Kallmeyer, 253 Seiten| € 29,95
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Im Buchstabenboot durchs Wörtermeer ins Geschichtenland … (Mai 2017)
„Ich bin ein Kind der Bücher“, erzählt uns das Zopfmädchen auf der ersten Doppelseite. „Ich komme aus einer Welt voller Geschichten und treibe auf meiner Phantasie.“ Dass dem so ist zeigt das Bild: die kleine namenlose Erzählerin sitzt lesend auf einem Floß, ihre Beine stecken in einem Meer aus Wörtern. Das Buch in ihren Händen ist das Buch vom Wirkungsvermögen von Geschichten, in dem sie zu Hause ist. Ein leeres Blatt Papier ist das Segel, das zusammen mit der Fantasie der Protagonistin diese Reise durch die Geschichten der Weltliteratur antreibt. Bei ihrer Segeltour durchs Wörtermeer von Dr. Doolittle über Robinson Crusoe bis hin zu Pinocchio findet sie einen Mitstreiter, der sie fortan begleitet.
Die zwei entdecken Menschen, die zwar lesen, aber trotzdem nicht mehr wissen wo Geschichten wohnen. Sie folgen Wörtern, die ihnen den Weg weisen, und klettern über Berge aus Märchen. In der Dunkelheit geheimnisvoller Wortwelten entdecken sie literarische Schätze oder verlieren sich in den märchenhaften Zauberwäldern von „Es war einmal…“. Wenn dann der Mond aufgeht, steigen die Kinder über die Himmelsleiter zu den Wolkenschafen aus Abendliedern, wo sie gebettet und behütet vom Klang der Worte schlafen und träumen können. Auf dem Mond gelandet, erfreuen sie sich ihrer lauten Vokalrufe und schreien das A so laut sie wollen ins All. Ihre Welt, verrät uns eine kunterbunte Doppelseite, haben sie sich aus Geschichten gebaut, und das wilde Sammelsurium eines Suchbildes lädt den Leser ein, den Geschichten nachzusinnen, aus denen sich die Kinder diese Welt geschaffen haben. Im letzten Bild finden wir den großen Schlüssel, der literarische Welten aufschließen kann. Versehen ist er mit einem Anhänger, auf dem wir schwarz auf weiß nachlesen können, dass die Fantasie frei ist und somit ein jeder im Hort der Erfindung willkommen ist.
Ein wunderschöne, zärtliche und innige Geschichte darüber, dass Bücher Heimat geben, dass Worte finden und Texte schaffen Freiheit gestattet und der Mensch Geschichten braucht und nicht nur vom Brot alleine lebt. Denn Lebensglück braucht mehr, braucht lichte, farbige und wortreiche Erlebnisse, wie Geschichten, die Sinnhorizonte liefern und Gemeinschaft stiften. In unserem Dasein ist viel Platz für Geschichten. Geschichten zu erzählen, selber zu lesen oder vorzulesen leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zu einem Lebensgefühl, das von der Kraft der Gedanken und Worte zehren kann. „Wo die Geschichten wohnen“ ist ein Buchschatz, der uns tief erspüren lässt: Geschichten sind ein wesentlicher Faktor des Glücklichseins.
Kinder sind große Liebhaber von Geschichten und Geschichten werden aus Fantasie und Wortschätzen gemacht.
- Sammeln Sie mit den Kindern Wortvorräte und schaffen Sie unterschiedliche Kategorien: schöne Wörter, glitzernde Wörter hässliche Wörter, Schimpfwörter, weiche Wörter. Sie oder die Kinder schreiben jeweils ein Wort auf einen kleinen Zettel.
- Dann füllen die Kinder die Wörter in Wörterdosen, die sie vorher passend gestaltet haben: eine glitzernde Dose, eine dunkle gefährliche Dose oder eine regenbunte Dose. Fertig ist der Vorrat.
- Ebenso können Sie mit den Kindern Wortschätze finden, die in einer Märchendose, einer Dose für Autogeschichten, einer Dose für Gedichte, einer Dose für Gartengeschichten oder einer Dose für Zwergengeschichten einen Vorrat an Wörtern bereithalten.
- Wer will, sucht sich aus den Dosen die Wörter, die er gerne hat, stellt die Wörter vor, die er gar nicht mag und erzählt, weswegen das der Fall ist.
- Die Kinder können sich auch Wörter aussuchen, die schön klingen, weil sie viele Vokale haben, oder diejenigen, die den gleichen Anfangsbuchstaben haben wie ihr eigener Name.
- Manchmal lassen sich Worte auch in eine Bildsprache umsetzen: Kinder zeichnen bei Wörtern wie beispielsweise „Sonnenstrahl“ oder „Herzklopfen“ eine Sonne oder ein Herz und ergänzen das Wort mit den dazugehörigen Buchstaben.
- Der Wortvorrat in diesen Dosen ist ein Fundus, aus dem Geschichten entstehen können, und gibt immer wieder Anlass zur Metakommunikation mit Gedanken und Gesprächen zu Wörtern, Wortbedeutungen, Wortschatz und Sprache.
Oliver Jeffers / Sam Winston: Wo die Geschichten wohnen.
München: Mixtvision 2017, 40 Seiten | € 14,95 | ab 5
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Ei, ei, ei… (April 2017)
Alle Jahre wieder kommt der Osterhase, bringt zuverlässig die Eier und das erste große Fest im Jahreskreislauf in Schwung. Bereits in alten Volksbräuchen ist das Ei, als Wunder der Natur, das Symbol von Fruchtbarkeit und ewiger Wiederkehr des Lebens. Trotz seiner Fragilität ist das Ei ein wunderbarer, perfekt konstruierter Gegenstand, das selbst das Gewicht eines großen Lexikons unbeschadet aushält. Wieso das Ei gerade an Ostern eine so große Rolle spielt, dafür gibt es viele Erklärungen. Zum einen durften früher in der Fastenzeit keine Eier verspeist werden, sodass große Mengen an Eier zusammenkamen, die man sich an Ostern großzügig gegenseitig schenkte. Zum Anderen wurde früher der Zins in Eiern erbracht und der Stichtag der Zahlung war Ostern. Jedenfalls gab und gibt es heute in vielen Ländern den Brauch Eier zu färben, zu verzieren und mit den rohen oder hartgekochten Ostereiern wurden früher alle möglichen Spiele und Wettspiele durchgeführt.
So sorgt das Osterfest dafür, dass jedes Frühjahr das Hühnerei, das biologisch dazu dient Nachkommenschaft zu erzeugen, in das österliche Blickfeld gerät. Dabei entstehen manche Fragen. Damit man bei deren Beantwortung nicht ins Herumeiern kommt, ist Wissen gefragt, und wer ein Sachbuch rund um das Ei sucht, der wird in dem von Britta Teckentrupp beeindruckend gestalteten Sachbilderbuch „Das Ei“ mehr als fündig. Zu den spannenden naturwissenschaftlichen Informationen erzählen ihre traumhaft schönen Bilder außergewöhnliches rund um das Ei. Die sagenhaft vielfältigen Formen und Farben der Vogeleier faszinieren genauso wie die Darstellung ihrer gefiederten Erzeuger. Dabei sind alle Vogeleier in Originalgröße abgebildet. Das Wachstum der Hühner-Embryos zum Küken ist beeindruckend schön gezeichnet, die Eier von Elefantenvogel, Strauß, Emu, Huhn und Kolibri sind im Größenverglich zu bestaunen. Die Vielfalt der Vogelnester zeigt Vögel als meisterhafte Bauherren, die Eier der Insekten bestechen durch ihre sehr individuellen Ausführungen, deren Beschreibung manchem Wortschatz auf die Sprünge helfen kann. Traditionen rund ums Ei, sein Vorkommen in Märchen und Mythen, Kunst und Religion runden das ungewöhnlich künstlerische Sachbilderbuch ab. In den fünfzig wundervollen Bildern begegnen sich Kunst und Naturwissenschaft - und keine Eierfrage bleibt unbeantwortet.
- Der Sprachgestalt bewusst zu werden erfordert, dass Kinder ihre Aufmerksamkeit nicht dem Inhalt, sondern der Gestalt der Sprache zuwenden. Das Sprachspiel ums „ei“ bietet sprachanalytische Erlebnisse: „Ei“ kommt als Diphtong, der Verbindung von zwei Vokalen, in vielen Worten vor. Suchen Sie gemeinsam mit den Kindern nach solchen Worten, in denen der Diphtong „ei“ zu finden ist. Schreiben Sie das gefundene Wort in Druckbuchstaben zweimal untereinander, wobei Sie im unteren Wort „ei“ nicht schreiben, sondern eine Lücke lassen. Ein Kind ersetzt in diesem Wort das „ei“ durch ein gezeichnetes Osterei. Mit solchen Bildwörterspielen sind viele Erstlesebücher gestaltet.
- Gestalten Sie einen Osterbaum mit bunten Eiern, auf denen das ABC in Großbuchstaben geschrieben steht.
- Beschriften Sie Ostereier mit kurzen Gedichten wie beispielsweise dem Vierzeiler von Frantz Wittkamp: „Warum haben alle Hasen/ große Augen, lange Nasen/ und besonders große Ohren?/ Hasen werden so geboren."
- Das Eierrollen ist ein alter Brauch für Kinder: die hartgekochten Eier werden auf einer schiefen Ebene heruntergerollt. Wessen Ei am weitesten kommt, ist Gewinner. Eierwettlaufen, wobei das Ei auf einem Suppenlöffel liegt, oder Eierticken, wobei zwei Spielpartner die Eier mit dem stumpfen oder spitzen Ende gegeneinanderstoßen gehören ebenfalls zur traditionellen Spielkultur am Osterfest.
Britta Teckentrupp: Das Ei.
München: Prestel 2016, 96 Seiten | 19,99 Euro | ab 5
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Auf der phantasievollen Spur luftiger Grüße (März 2017)
In der Grimmstraße wohnt ein Junge, der früh morgens frohgemut aus der Haustür stürmt und sich auf den Weg zur Schule begibt. Vorbei an Häusern, hinter deren beleuchteten Fenstern sich die Menschen auf den Tag einstimmen. Auf seinem gewohnten Weg trifft er den alten Mann mit seinem Hund und ist schon in der Andersen-Straße angekommen, als er in einem Hauseingang eine Katze entdeckt. Die lockt ihn miauend in einen Hausflur hinein, der voller Botschaften und Zeichen ist. Ein gezeichnetes Bild liegt auf dem Boden, der Junge hebt es auf und folgt der Katze in eine offene Wohnungstür. Erstaunt betrachtet er das Zimmer mit vielen Bildern an der Wand, einem Spiegel und einem Kronleuchter, und wird von der Katze immer weiter in die fremde Wohnung geführt. Wir folgen dem Jungen und erkennen unschwer, dass hier Bücher und Mäuse ein wunderbar literarisches Zuhause haben. Immens viele Kleinigkeiten und Details gilt es zu entdecken, die Vermutungen zulassen, Gedanken anregen und uns immer tiefer in die textlose Bildgeschichte hineinziehen. Wer wohnt in dem mit Buchstaben beschrifteten Karton unter der Treppe, hinter dessen Fensterklappe zwei stechende Augen hervor lugen? Wer sind die zwei Kinder, deren Porträts an der Wand hängen? Was verbirgt sich hinter der kleinen Tür im Uhrenkasten, und wer hat wohl sein „Mensch ärgere Dich nicht-Brett“ auf den Dielen liegen lassen? Die Tür vom Vogelkäfig ist offen, in einer niederen, halbgeöffneten Tür kringelt sich ein Drachenschwanz. Der furchtlose Junge aber folgt der Katze Zimmer um Zimmer, geht die Treppen hoch und lässt sich von den Bildern leiten wie von den Botschaften einer Schnitzeljagd. Bis er auf dem Dachboden angekommen ist und ein Mädchen entdeckt, das zwischen einem Meer von Bildern und daraus entstandenen Papierfliegern kniet. Mit großem Vergnügen werfen die zwei Kinder ihre zum „Luftigruß“ gefalteten Flugbotschaften in den Himmel während die Katze zufrieden zwischen ihnen hockt und die Mäuse im Hintergund begeistert zuschauen.
Das eigentliche Ende dieses märchenhaft schönen Buchs ist das Gedicht von von Aleš Šteger, das uns Mut macht, unserem Herzen und unserer inneren Stimme zu folgen und die eine richtige Tür zu finden: „Nur eine Tür ist deine. Dein katzenenges, mäuseleises Türchen.“
Wie erwähnt, erzählen die Bilder die Geschichte ganz ohne Worte. Wer aber Buchstaben erkennt und schriftaffin ist, entdeckt in Maja Kastelics monochromen, in Erdtönen gehaltenen Aquarellen tausend Botschaften in Schrift und Zeichen. So ist „Luftigruß“ ein echter Schatz für alle diejenigen, denen es am Herzen liegt, dass Kinder in einem literacyfreundlichen Klima groß werden und die Symbole und Schriftzeichen spielerisch entdecken dürfen, bevor sie in der Schule das Alphabet erobern werden. „Luftigruß“ wartet mit all dem auf, was Kinder schätzen, wenn sie sich auf den Weg begeben, Schrift und Zeichenwelten zu erforschen. Listen, an die Wand geschriebene Botschaften, Zeitungsstapel, Schränke voll Bücher, Briefkästen und Aushänge dokumentieren, dass Schrift und Zeichen viele Funktionen haben. Und genau diese Funktionen wollen Kinder erleben, denn Schrift und Zeichen sind dann für Kinder interessant wenn sie wissen, für was man sie gebrauchen und nutzen kann.
Somit regt dieses Buch Kinder einerseits zum Erzählen und Sprechen an, andererseits aber zeigt es wie spannend und vielfältig die Schrift unser Leben gestaltet und vermittelt Kindern reichlich Lust, die gezeigten Funktionen von Schriftlichkeit selbst erleben zu wollen. Nicht zuletzt deswegen gibt es im Anhang auch noch eine Faltanleitung, die zeigt wie wir selber kreativ werden, „Luftigrüße“ bauen und so unsere Gedanken per Luftpost losfliegen lassen können.
Maja Kastelic: Luftigruß. Mit einem Gedicht von Aleš Šteger.
Münster: Bohem Press 2016, 36 Seiten | € 14,95 | ab 4
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Sprachspiele im Bilderrätsel, Sprachwitz in Redensarten (Februar 2017)
Paare suchen, Paare finden: Memory-Spiele sind einfach nicht wegzudenken aus unserer Spielkultur. Dabei stammt das Prinzip dieses Spiels aus Japan und wurde dort bereits im 12. Jahrhundert mit Muschelhälften, in deren Innenseiten Bilder gezeichnet waren, gespielt. Beruhigend, dass es dieser Spieleklassiker immer wieder in neuem Gewand auftaucht und begeistern kann: „Versteckt! Entdeckt“ mit Collagen und Zeichnungen der Illustratorin Antje Damm zeigt sich sprach- und wortstark und bietet wunderbare Anregungen zur lustvollen sprachlichen Bildungsarbeit. „Die Wände haben Ohren“ illustriert von Philip Waechter, verbildlicht genial und witzig die schönsten deutschen Sprichwörter als Memospiel und ist für jeden sprachliebenden und sprachwitzigen Erwachsenen eine unterhaltsame kulturelle Pflichtlektüre…
Apfel-Bäckchen-Gesicht, Kapuzinerkresse-Außerirdischer-Gesicht, Linsen-Sommersprossen-Gesicht… 24 merkwürdige Gesichter gibt es im „Versteckt! Entdeckt?“ Memory zu bestaunen. Sie bestechen insbesondere dadurch, dass aus Alltagsgegenständen ruckzuck Gesichter werden: eine kitzekleine Kaffeebohne verwandelt sich zum Leberfleck im Gesicht einer Dame, eine knallrote Chilischote findet sich als krumme Nase in einer Teufelsfratze. Der Dutt auf Omas Kopf entpuppt sich als Wollknäuel und schnurgerade Spaghetti werden zur Haarpracht. Was könnte der rote Knopf sein? Das dazu passende Kärtchen bringt die Auflösung: er ist die Nase eines Clowns. Werden die 24 Kärtchen mit den Gegenständen und die 24 Kärtchen mit den Gesichtern auf einen jeweils eigenen Stapel gelegt, kann zuerst eine Karte vom Stapel mit den Gegenständen umgedreht werden und die Kinder können sich austauschen, was beispielsweise aus der Karotte werden könnte. Dann wird das entsprechende Kärtchen vom Stapel mit den Gesichtern umgedreht und bringt die Auflösung: „Aha, kein Karottensalat und auch kein Hasenohr. Die Karotte sitzt als Nase im Gesicht des Schneemanns.“ Neugierig und fragelustig erkunden Kinder die Abbildungen der der Gegenstände, die der auslösende Feuerfunken zum Mit- und Weiterraten, zur Versprachlichung von allerlei Vermutungen und Phantasien sind. Wer sich diesem ästhetischen Worte- und Bilderentdecken widmet, wird viele Anknüpfungspunkte zur Sprachförderung finden und reichlich Wort- und Sprachschätze heben können. Und nicht zuletzt regt Antje Damms Gestaltungskunst dazu an, selbst nach Gegenständen zu fahnden, die sich im Bild kreativ verwandeln lassen.
Antje Damm lässt sie sich von ihren vier Töchtern zum Schreiben, Zeichnen, Fotografieren und Collagieren inspirieren. Dabei entstehen so ungewöhnliche Bilderbücher wie ihr Klassiker "Frag mich" oder ihre aktuellen Titel „Der Besuch“ und „Warten auf Goliath“, alle erschienen im Moritz Verlag.
Im Sprichwort steckt viel wahrer Sinn, drum höre ganz genau nun hin …
„Sprichwörter (Proverben, Parömien) sind traditionell-volkstümliche Aussagen betreffend ein Verhalten, eine Verhaltensfolge oder einen Zustand, die zumeist eine Lebenserfahrung darstellen.“ Sprichwörter, so ist weiter auf Wikipedia zu lesen, „sind wie die Redewendungen ein wichtiger Teil des Thesaurus in fast jeder Sprache.“
Ein Wolf im Schafspelz sein, sich etwas hinter die Ohren schreiben und Perlen vor die Säue werfen: das sind Redensarten oder im Alltag verwendete Sprüche die wir hören oder selbst verwenden. Sprichwörtlich zeigt sich, dass diese Umgangssprache einen starken Sprachhof hat, und wenn Philip Waechter mit „Die Wände haben Ohren“ diese Sprachhöfe zeichnet, dann wird aus dieser Sprachform bildstarkes, charmant witziges Ratematerial, wie etwa das folgende: ein Pappkästchen, gefüllt mit Garnrollen und einigen Stecknadeln; davor liegt eine Nähnadel und zwischen den Fadenrollen ragt der Oberkörper eines kleinen, begeistert plaudernden Männchens hervor. Solche kleinen Szenen gilt es zu erraten, um dann die passende Textkarte, in unserem Falle „Aus dem Nähkästchen plaudern“, anlegen zu können. Die durch das Bild ausgelöste Raterei wird manchmal komisch und erheiternd, manches Sprichwort springt den einen oder die andere förmlich an, je nachdem wie kundig die Rategruppe ist. Wer nur mäßig geübt oder gar unkundig ist in Sachen sprichwörtlicher Sprachkultur, dem kann geholfen werden: ein kleines Booklet erklärt Ursprung und Bedeutung, und so „erfährt man spielerisch, dass etwa schwarze Schafe schon in der Bibel unerwünscht waren, weil Schafe wegen ihrer Wolle gehalten wurden“. Ich binde Ihnen keinen Bären auf, wenn ich schreibe, dass es kaum jemand gibt, dem diese Art der Spiel- und Sprachkultur keinen Spaß macht.
Antje Damm: Versteckt! Entdeckt?
Memospiel mit 48 dicken Pappkarten in einer Schubladenbox.
Frankfurt: MeterMorphosen | ca. 15,00 € | ab 5
Philip Waechter: Die Wände haben Ohren.
Ein Memospiel in Wort und Bild mit 88 Karten und einem Erklärungsbuch in einem aufwändig als Haus gestalteten Pappkarton.
Frankfurt: MeterMorphosen | ca 19,00 € | ab 10
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.
Witz und Humor – lyrisch im Alltag verschwurbelt (Januar 2017)
„…Der Kukuck in der Kuckuksuhr/ der wurde viel zu dick. / Er passte nicht mehr durch die Tür / und hauchte nur tick tick. / Tick Tick, Tick Tick, Tick Tick, Tick Tick“ Da auch in der Kinderlyrik ein Happy-End gefragt ist, erfahren wir in der letzten Strophe wie dem Tier geholfen werden kann: „Der Kuckuck in der Kuckucksuhr/ macht´ eine Magerkur, dann kam er wieder durch die Tür und schlug danach zwölf Uhr. / Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, / Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, / Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, / Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck“
Rhythmisches Sprechen und, dem Reim sei Dank, ein wohliges Sprachgefühl sind mit den mit wundervollen Sprachschätzen dieses kleinen Lyrikbandes zu erleben. Erwin Grosche ist ein meisterlicher Poet des Alltags. Er schmiedet Verse über allerlei Geräte vom stöhnenden Fön über den wisch-waschigen Scheibenwischer bis zur Luftpumpe, er bedichtet aber auch Hunde, die drei Ecken haben, das Fremde, das solange fremd bleibt bis es begrüßt und berührt wird oder den wütenden Ingo. Immer wieder wird in seinen Gedichten mit den Bausteinen der Sprache gespielt, zum Lauschen und Sprechgestalten ermuntert. Und das ist sehr gewünscht - unterscheidet sich doch Lyrik von Erzählungen und Alltagssprache auch dadurch, dass sie deutlich mehr und intensivere Betonungen aufweist. Somit fordern Grosches Gedichte eine andere Sprechweise heraus: intensiver und gestaltender und eben betonter. So geht es in seinen Texten meist kurios und lautmalerisch zu. „Vor allem Spaß sollen sie machen, dann kommt die Liebe zur Sprache von ganz alleine“ findet Erwin Grosche und das ist mit der titelgebenden, scheppernden „Nach dem Spülen“-Gedicht garantiert: „Und Löffel zu Löffel ins Löffelfach / Und Gabel zu Gabel ins Gabelfach / Und Messer…“. Dieses Gedicht braucht Spielfreude, die haben Kinder glücklicherweise, viele Messer, Gabeln und Löffel, die gibt es überall, und, nicht zwingend aber gut brauchbar, einen Besteckkasten. Wirkungsvoll gesprochen und mit Übermut und Stille in Szene gesetzt, entfalten sich so Sprachklang und die geräuschvolle Untermalung zu Chaos und Rhythmus zugleich. „Scheibenwischer, Scheibenwischer“ wischen bewegt und geräuschvoll hin und her, „Die Schere“ hört man schneiden, und so verlangen das „wisch wasch“ und das „schnipp schnapp“ nebenbei und immer wieder, die gar nicht einfache Lautverbindung, das „Sch“ zu bilden.
Ein Rundum sprachstarkes, sehr witzig illustriertes Lyrikbändchen mit Versen und Gedichten, die zu bewegter Sprache anregen und herausfordern prosodische Gestaltungsmittel wie tief und hoch, langsam und schnell, laut und leise, betont und unbetont intensiv zu nutzen. Der Band gehört zu der von mir sehr geschätzten Lyrik-Reihe „Gedichte für neugierige Kinder“ herausgegeben im Boje Verlag.
Zum Sprechgestalten und Bespielen von „Nach dem Spülen“
● Lesen Sie sich zunächst einmal textsicher und finden Ihre Vortragsvariante.
● Nach einigen Vorträgen, sprechen Sie das klangvolle Besteckeinräumen mit den Kindern gemeinsam und klatschen dabei den Sprechrhythmus. Dabei erleben die Kinder die Kontrastbildung laut-leise und den Taktwechsel Dreier-, Zweiertakt.
● Der Ich-Text, der zwischen den Strophen auftaucht, ermuntert Kinder sich selbst in Sprache und Spiel variantenreich auszuprobieren und Löffel, Gabeln und Messer als Klangwerkzeug zu erleben. „Nach dem Spülen“ ist auch bestens in verteilten Rollen vorzutragen.
● Möchten Sie das Gedicht mit den Kindern szenisch spielen, kann es so beginnen: Mit einem kleinen Löffel wird an einer Reihe aufgehängtem Besteck entlanggestrichen, Messer, Gabel und Löffel werden vorgestellt und ein Erzähler berichtet, dass es jetzt ein Gedicht frisch aus der Küche gibt, das zukünftig immer beim Besteckeinräumen gesprochen und gespielt werden sollte.
● Die Hommage an unsere Esswerkzeuge eignet sich durch seine Klangqualitäten bestens zum Aufführen in vielen Spielarten und auch dazu, akustisch auf Kassette, CD, oder MP3 gespeichert zu werden.
Erwin Grosche: Und Löffel zu Löffel ins Löffelfach
Köln: Boje 2016, 62 Seiten | € 16,95 | ab 5
Sylvia Näger, Freiburg;
Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Erzieherinnen und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik und Medienpädagogik.
Langjährige Herausgeberin der Edition "Bilderbuchkino" und Autorin pädagogischer Fachbücher.